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„Das Ernte-Dankfest wird am 3. Oktober gefeiert. Wir gedenken wieder
in der Pauluskirche den Altar mit Blumen und Früchten zu schmücken. Alle
unsere Freunde, die von ihrem Feld und Garten uns zu diesem schönen Zweck
mit Naturallieferungen in den Vorjahren erfreut haben, seien herzlich
gebeten, dies auch Heuer wieder zu tun und diese uns zugedachten Gaben
vorher anzumelden. Diejenigen Gemeindemitglieder und Freunde der Pauls-
kirche aber, die „ohne Ar und ohne Halm" leben, können in klingender Münze
ihr Interesse bekunden und diese Gaben an die Pfarrer der Paulskirche
senden. Alle Gaben gelangen nach dem Fest zur Verteilung an die Armen,
Kranken und Einsamen der Gemeinde."
In Württemberg hat unser Mitarbeiter Pfarrer Lauxmann in Zuffen-
hausen sogar ein Flugblatt über Kirchenschmuck am Herbst- und Erntedank-
fest ausgehen lassen.
So viel ich weiß, werden im bayerischen Frankenland im Maien die
Kirchen mit Birken und andrer Maienzier geschmückt. Auch ist bekannt ge-
worden, daß unser deutscher Kaiser ein Freund des gärtnerischen Schmuckes
unsrer Kirchen sei, wie er ja auch ein Freund der „offenen Kirchen" ist.
Mit welchem poetischen Zauber hat der alte Frommet seinen brennenden
Christbaum in der Dorfkirche geschildert.
Freunde, vergeßt einmal den dogmatischen Streit — und denket an unsre
Christenjugend, so wie Steinhaufen an sie dachte, als er seine Weihnachts-
geschichte zeichnete, die ich in diesem Jahre mit unsrem hochverdienten Ver-
leger Callwey unter den Weihnachtsbaum legen darf — als Volkskunst
zum Volkspreise — als praktischer Beitrag zu obiger Theorie — Freunde,
denket an unsre Jugend wie Wolsrum, der Heidelberger Komponist, an sie
dachte, als er ihr das Weihnachtsoratorium schenkte, oder wie Frommel,
als er ihr den Weihnachtsbaum anzündete — denkt an unsre Jugend,
wie sie sich jetzt zu Zehntausenden unsre Weihnachtsbilder und Konfirmanden-
bilder an die Wand der Stube besinnlich hängt. Denkt an das Jungvolk,
dem das moderne Leben so viel deutsche Poesie geraubt; und ihr werdet
mir wohl nicht mehr das Recht bestreiten, wenn wir auch von der Religion
und von der Kirche aus lebenveredelnde schöne Kunst spenden wollen.
Vielleicht erwächst unfern prinzipiellen Widersachern aus der Freude der
Jugend eine langsame stille Mitfreude an der Kunst.
Ich sprach neulich mit einem ergrauten Theologen unsrer Kirche.
Beini Abschied sagte er mir: „Nun, Sie sehen, daß auch ich in meinen alten
Tagen mich noch reformfähig erwiesen habe." — Ich antwortete ihm lachend:
„Das ist um so mehr möglich, als ich mich meinerseits rückwärts konzentriert
habe!"
Mau sollte sich in unsrer Kirche doch wenigstens in dieser ästhetischen,
peripherischen Frage auf einer Diagonale treffen können. David Koch
 
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