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358

Man ist in unsren Tagen nicht mehr fähig, über die Grenzen des
Darstellbaren sich klar zu werden. Als das Römerreich an diese Grenze
gelangt war — ich erinnere an gewisse Bilder in Pompeji — ward die
Axt an seine Volkskraft gelegt.
Wollen die Ästheten nichts aus der Geschichte lernen? Kann die
Geschichte und ihre furchtbare Tragik nicht eine Anklage werden gegen
die Theorien einer Ästhetik, die jede Grenze des Erlaubten und Schönen
verloren hat?
Mit dieser Perversität hat sich der Begriff des Sezessionismus selbst
besudelt und darum muß die Sezession als solche diesen Fluch tragen —
und der Unschuldige mit dem Schuldigen leiden.
Ich bin überzeugt: wenn der Deutsche Kaiser den Entwicklungsgang
der Münchener Sezession seit 1887 miterlebt hätte, er hätte eine andere
Anschauung von Sezession; und so können wir ihm seine jetzige Anschauung,
die an den pornographischen Leistungen der Berliner Sezession orientiert
ist — obgleich dort auch viel ehrliche Kunst war und ist — nicht übel-
nehmen. Auch die Münchener Sezessionisten haben vor zwei Jahrzehnten
schon die Befreiung der Lichtwelt und der Stoffwelt gefeiert — aber
es war kein Bacchanal und keine Orgie. Auch wo man den nackten Körper
feierte in seiner Licht-- und Luftumflossenheit, geschah es nicht in der Be-
tonung sexueller Motive. — Franz Stuck hat das Problem der „Sünde"
gemalt — aber mit dem michelangelesken Zuge der Tragik. Die Keusch-
heit der Uhdeschen Kunst lag über vielen Bildern auch der andern Maler,
die Reinheit der Berglandschaft brauste wie gesunder Odem durch die in
Farbenlust entfesselten Landschaften. — Ich glaube, daß die Berliner Sezes-
sion auf den Weg der von vr. Schmidt genannten Gleichberechtigung tritt,
sobald sie sich der großen, sonnenreinen und schönheitsfrohen Tage ihrer
Mutter — der Münchener Sezession besinnt; wenn sie ein großes Reine-
machen anhebt und sich der Elemente entledigt, die ihre Atmosphäre ver-
pesten.
Wer Heuer durch die Münchener Internationale ging, wo Sezessio-
nisten und andere zusammen sind, der sah, was man schon lange weiß,
daß heutzutage eigentlich jeder gute Maler ein Sezessionist ist in dem
abgeklärten Sinne der Münchener Theorie um 1890.
Wenn diese Anschauung in Berlin durchdringt, wird man auch dort
erfreulichere Zustände finden und die moderne Kunst näher an den Thron
und an die Staatsaufträge heranrücken sehen. In der diesjährigen Aus-
zeichnung an Dettmann, einem waschechten Sezessionisten alten „romanti-
schen" Schlags — ist für mich die Richtlinie aufgezeichnet der künftigen
konzilianten Kunstpolitik der Regierung.
Möge von dieser Entwicklung auch der christlichen Kunst Gutes zuge-
führt werden!
 
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