Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
372

herein in das Irdische, und in das Endliche das Unendliche. Welch eine
erhabene Ewigkeits-Perspektive! nur leise angedeutet, nur dem Besinnlichen
sinnlich! — Einen eigenartigen Totentanz bietet das mit Meunierscher
Technik gemalte, bodenständige Bild, voll ernster Schwermut und satalistischer
Gelassenheit, das Albin Egger-Lienz zum Schöpfer hat: „Der Totentanz
von Anno 9-"
In mehr als einer Hinsicht bedeutend ist auch das Gemälde des Russen
Michael Nesterow in Kiew: „Das heilige Rußland". Unverkennbar ist hier
technisch und geistig der Einfluß Uhdes, man merkt aber auch russisches
Können und das Sehnen eines schwer gefährdeten, leidenden Volkstums
nach Kraft und Erneuerung. Ehe ich den Titel des Bildes kannte, deutete
ich es mir als Rußlands Wiedergeburt. In dem mit tiefem Schnee bedeckten,
eisigen Lande zieht Christus ein, es ist der starke, menschliche Christus, der
Gegenwärtige und im Erdenleben Wirkende, wie er durch die deutsche
Theologie erkannt worden ist, der Lebendige, der auch heute noch das Tote
lebendig macht. Er sieht hinweg über die in unmittelbarer Nähe sich vor
ihm breitmachende slawisch-orientalische Devotion der russischen Alten, er
schaut ein ganzes Volk in der Ferne, das bereit ist, in sein Reich einzugehen,
er sieht eine neue Zukunft über diesem Volke aufgehen. Und dem entspricht
es, daß der ehrwürdige, selbstlose Pope die Jugend dem geistigen König
und ewigen Kinderfreund zuführt. In ihr ist die Zukunft eines Volkes ver-
körpert. Wird der Volkskoloß gewillt und fähig sein, den Christus der Schrift,
und mit ihm neues Leben aufzunehmen? Zu diesen und ähnlichen Gedanken
regt das russische Meisterwerk an.
Ganz anders gerichtet, sinnlich schwüler, pessimistischer und unbefrie-
digender sind die Gedanken, die das Triptychon des Italieners Pietro
Chiesa „Die Legende der Thais" auslöst. Die Legende erzählt: Der liebes-
trunkene Held schaut die schöne Thais voll sinnlicher Reize, aber Jesus legt
die Hand auf die Augen, um sie zu verhüllen und ihn zu schützen gegen die
Verführung des Weibes. So schläft er ein. Aber beim Erwachen des Leibes
erwacht auch die Sehnsucht nach dem Weibe, und er spürt die Wollust der
Menschheit in sich. Soweit die zwei ersten Bilder. Das dritte führt dann
an das Sterbelager des Weibes, wo der von seiner Wollust Gepeinigte ruft:
„Stirb mir nicht. Es gibt nichts Wirkliches als das Leben der Erde und
die Liebe der Erdenwesen." Diese Leidenschaft und Seelenglut hat der
Italiener effektvoll wiedergegeben, im guten Sinn realistisch mit Anklängen
an Uhde sowohl hinsichtlich des visionären Christusbildes, als auch in
Hinsicht der Farben- und Lichtführung.
Was sonst noch an religiösen Bildern vorhanden ist, läßt sich kurz zu-
sammenfassen : Unter den Deutschen ist's das Triptychon: rsäomptor mnnäi von
F. Kunz im Saale des Münchener Künstlerbunds, das in der Mitte den
Kruzifixus, rechts den Johannes als Deuter und links eine anbetende
deutsche Familie darstellt, eine „Kreuzigung" von Albert v. Keller, auf
der der bartlose Christus in Gestalt eines deutschen Landmanns und
 
Annotationen