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lHumnm4/5 April W

Warum soll sich die religiöse Volkskunst in
den praktischen Dienst der Kirche stellen?
Vortrag auf der Tagung des Deutschen Pfarrervereins in Eisenach ldll.
-^^^enn wir auf den ernsten deutschen Pfarrertag an dem Fuß der wart-
I bürg kommen und da auch einmal von der Kunst reden, so mag das
manchem unter uns bei den Gegenwartssorgen unsrer Kirche ein etwas
leichtfertiges Unterfangen sein. Venn nicht nur Nietzsche hat in seiner „Fröhlichen
Wissenschaft" gesagt: Vie Kunst sei eine heitere, übermütige, schwebende, tanzende
Gaukelwelt, die uns über die Moral stelle, die uns von der Moral erlöse. —
Diese kirchlose Anschauung ist allerdings als Glaube an die Kunst in weiten Volks-
kreisen verbreitet und als Protest gegen die Kunst in weiten kirchlichen Kreisen
verteidigt. Unter Volkskunst verstehen wir aber nicht jene tanzende Gaukel-
welt, die unter der Maske der echten Kunst das Volksleben vergiftet in allen
drei Erscheinungsformen der Kunst, in Dichtung, Bildkunst und Tonkunst: Auf
der Bühne und im Buch, im Gemälde und auf der Postkarte, in der Operette
und dem Gassenhauer.
Uein, wenn wir von Volkskunst reden, so meinen wir die Kunst, von der
Goethe gesagt hat, daß sie nur so lange produktiv ist, als sie religiös, d. h. im
Abhängigkeitsgefühl von Gott bleibt; wir meinen die Kunst, die allzeit im
Zusammenhang mit Religion und Ethik der Völker stand, die Kunst, die die
katholische Kirche in ihren praktischen Dienst von ihrer Jugend an gerufen hat,
die Kunst, die auch unsre kunstlos genannte Kirche der Reformation immer
in Diensten gehabt hat, wenn auch ohne theoretische, ohne dogmatische, ohne
methodische Legitimation.
Auch die Kirche des Mannes da droben auf der Wartburg ist nie ohne die
religiöse Volkskunst ausgekommen. Als die letzten Meister der bildenden Kunst
nach Albrecht Dürer, Lukas Eranach und Holbein zu ihren Vätern sich ver-
sammeln wollten, blühte auf dem jungen Anger der reformatorischen Kirche die
blaue Wunderblume der Dichtkunst von der Wittenberger Nachtigall bis zum

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