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258
Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule und Haus
Nr. 9

gion oder Pädagogik, löst die Kunst auch da noch tiefe Eindrücke aus, wo die
Worte versagen. So ist die Kunst nicht bloß des Lebens Schmuck, sondern die frohe,
neues Leben weckende und das Leben gestaltende Wohltäterin der Menschheit.
Ist sie dies im vollen Sinn auch für Kranke?
Ist Kunst im Krankenhaus möglich? Aktive Ausübung künstlerischer
Tätigkeit ist im Stadium der Krankheit unmöglich oder doch, wie jede Berufs-
erfüllung, sehr beschränkt. Wunderbare Trostlieder können durch Krankheitsnot
angeregt sein, sie entquillen aber erst nach der Peilung dem dankbaren Perzen
des Geretteten. Kost nubNu Bboedus.
Ist der Kranke für künstlerische Einwirkung empfänglich, ist ästhetisches Ge-
nießen der Schönheit überhaupt im Schmerze möglich? Erfordert nicht jeder
Kunstgenuß ein inneres Gleichgewicht der Seele, das nur dem Gesunden eigen
ist? Ganz gewiß. Nur die spiegelklare ruhige Flut, nicht die aufgeregten sturm-
gepeitschten Wogen des Sees spiegeln die umliegende Landschaft wieder. Eine
krankhaft verstimmte Psyche kann nur ein verzerrtes Bild der Schönheit dar-
stellen. Aber ist nicht die Kunst so außerordentlich vielseitig? Will sie nicht alle,
auch die dunkelsten Gebiete des vielgestaltigen Lebens in ihren Bannkreis ziehen?
Die Welt des Kranken ist auf das Krankenzimmer beschränkt. Soviele Freuden
sind ihm versagt. Sollten nun nicht gerade die wenigen Möglichkeiten des Lebens-
genusses dem Kranken durch die Kunst verklärt werden? „Einen Schimmer von
Schönheit und Kunst muß auch das Nützliche bekommen" (Steinhaufen). Für die
den Alltag verschönernde Kleinkunst hat auch der Kranke Auge und Ghr. Für
Aufmerksamkeiten, kleine Freuden, an denen der Gesunde achtlos vorübergeht,
ist der Kranke dankbar. Darum sollen die Künste getrost hereintreten und herein-
scheinen ins Krankenhaus.
Worin liegt der Wert der Kunst für den Kranken? Die Kunst ist eine ideale
Kraft, sie hat keine realen Mittel, wie die Natur sie bietet, für Peilzwecke. Aber
indirekt kann sie einflußreich werden. Der Arzt heilt ja nicht die Krankheit,
sondern die kranke Person. Jede Menschenpersönlichkeit setzt sich aus realen und
idealen Werten zusammen. Das Geheimnis, der Reiz, die Aufgabe des Lebens
liegt in dem Zusammenspiel, in der Entwicklung, im Kampf dieser beiden Mächte
des Lebens, des Geistigen und des Sinnlichen. Die Waffen zur Überwindung
von Konflikten zwischen Geist und Sinn, zur Erlösung geistiger Werte aus sinn-
lichen liefert die Religion. Die Kunst nimmt an dieser weltüberwindenden Tätig-
keit teil durch die der Sinnenwelt entnommenen Mittel (vergl. Thristl. Kunstblatt,
April 1912, Beilage S. 3). Durch die Kunst geweckte Gefühlswerte stärken die
Psyche zur Selbstbehauptung, zur Überwindung des Schmerzes, zum Leiden ohne
zu Klagen. Solche intimen Wirkungen beschränken sich freilich auf ideal gerichtete
Naturen, religiös fühlende, edel gesinnte Charaktere. Aber bei allen Kranken
haben allgemein psychische Einflüsse große Bedeutung.
Die moderne Peilkunde weiß, wie kompliziert auch die einfachsten Lebens-
vorgänge sind; sie sucht daher alle die verschiedenen Lebensbedingungen und äußeren
 
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