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pfleiderer hat seine Forschungen in zwei Werken niedergelegt, im „Münster-
buch" von 1907 (Verlag I- Ebner, Ulm) und in seinem großen Werk: „Das
Münster zu Ulm und seine Kunstdenkmale" (Verlag Konrad Wittwer,
Stuttgart 1905). In Großformat sind Bilder auf 48 Tafeln der wissenschaftlichen
Einleitung beigegeben. Das Werk sollte in zweiter Auflage vorbereitet werden.
Ls ist gewidmet den „Kunstforschern und Kunstgelehrten als Unregung und
Grundlage weiterer Studien und den Ulmer Bürgern zu neuer freudiger Ver-
tiefung in die Schönheiten und Kunstschätze ihres herrlichen Münsters".
wir geben zuerst aus der Erläuterung des „Münsterbuchs" von 1907 einiges
und dann die Einleitung in das große Münsterwerk. Ls ist wertvoll, den Fort-
schritt der Forschung an diesen beiden Schriftstücken selbst zu beobachten. Line
dritte Darstellung vom Münster gab pfleiderer dann noch in seinem letzten Lied
auf sein geliebtes Kleinod im „Schwäbischen Heimatbuch" 1917 (Verlag Wilhelm
Meper-Ilschen, Stuttgart), wo er uns an einem glücklichen Tag des Jahres 1475
in das Gotteshaus der Humanistenstadt Ulm hineinführt. In den Zeiten des
Luther-Gedächtnisses haben wir auch einen geschichtlichen Unlaß, dieses größten
protestantischen Münsters in der Welt zu gedenken.
I. Aus dem kleinen Münsterbuch:
Ls vereinigen sich in der Gesamterscheinung des Münsters das Gewaltige und
Kühne mit dem Uuhig-Linfachen, der schlichte Lrnst des Langhauses mit der
Unmut und Formenfülle des Hauptturms — warum soll darin ein unversöhnlicher
Dualismus liegen, wie gesagt worden ist?
Bei Dehio-Vezold (Text II 5. 336/37) kommt der Bau ziemlich schlecht weg,
bis zur „kalten, abstoßenden Großheit". Unrichtig wird dem „Gewaltsmenschen"
Ulrich von Lnsingen aufgebürdet, den plan ins Maßlose gesteigert zu haben,
und die künstlerische Uatur des Mannes, der das Turmviereck mit Portalhalle
entwarf, soll „eine spröde und unliebenswürdige" gewesen sein. Freilich wird
auch die Portalhalle, an und für sich geistreich, als unzusammenhängend mit dem
Bau und in kleinlichen Teilungen aufgehend bemängelt, hören wir dagegen
wilh. Lübke, von dem wir wissen, daß er durch Jahrzehnte viele der besten
Stunden auf das Studium des Münsters verwendet hat:
„wir haben hier," sagt wilh. Lübke, „die großartigste Schöpfung des deutsch-
mittelalterlichen Bürgertums, der weit und breit in deutschen Landen keine andere
ebenbürtig zur Seite tritt. Mit richtiger Einsicht und besonnener Selbstbeschränkung
haben die Ulmer Bauherrn durch Reduktion des Grundplans, namentlich die
schlichte Gestaltung des Thors und verzichten auf ein Lsuerschiff, durch sparsame
Vereinfachung der Formen, durch Abweisung alles unnötigen Reichtums der Detail-
bildung sich die Möglichkeit bewahrt, ein Gotteshaus zu schaffen, das durch seine
gigantischen Dimensionen das stolze Machtgefühl damaligen Bürgertums (im
14. und 15. Iahrh.) und durch den schlichten Lrnst seiner Formgebung die an-
spruchlose Gediegenheit dieser Lebenskraft ausspricht, wenn daher dem Glanz
bischöflicher Kirchen gegenüber eine ans Trockene, selbst Nüchterne grenzende
Auffassung vorherrscht, die nicht frei von handwerklicher Derbheit ist, so haben
wir darin die charaktervolle Ligenart deutschen Bürgertums zu würdigen." Ls
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