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Iuni 1918

Sechzigster Jahrgang

Nr. 6


tmflliches KunflMalk
km Mche,schule ll-Sjölls
Erscheint monatlich in einem heft ru Z2-4S Seiten u. enthält viele
Textillustrationen, sowie Kunstbeilagen. Preis für das Vierteljahr
2 stlark. Lu bestehen durch alle Postämter und Buchhandlungen.

j /X. g. X!II.


Rembrandt im Zeichen der Kunstphilosophie.
von Hans Bodensieck, Pastor zu St. Marien in Dsnabrück.

Kunstgeschichte ist ein Rind der Romantik. Der historische Sinn erwachte,
> als Goethe die Schönheit des Straßburger Münsters wiederentdeckte und
Wackenroder seine „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders"
schrieb. Die einseitige Schätzung des klassischen Altertums durch Winkelmann und
seine Zeitgenossen wurde abgelöst durch eine fast ebenso einseitige Bevorzugung
des „germanischen" Mittelalters. Immerhin: die geschichtliche Gesinnung war da
- und brachte bald die ausgleichende Gerechtigkeit. Der unverfälschte Typus
des reinen Historikers trat auf, der mit den Mitteln einer strengen wissenschaft-
lichen Erkenntnis allen Erscheinungen der Geschichte gerecht zu werden und
jeden Künstler aus den Bedingungen seiner Zeit heraus zu verstehen sucht. Stil-
kritik und Zormanalyse kamen hinzu, um die Maler nach Schulen zu ordnen.
Die (Dualität ihrer Werke wurde auf dem Wege des Vergleichs abgewogen und
ihnen dementsprechend Rang und würde zugemessen. Das Ergebnis ist dieses,
daß der geschichtlich Gebildete die verschiedenen Meister, ob groß oder klein,
„verstehen" und bewerten kann, während eine irgendwie persönliche Stellung-
nahme verpönt ist und leicht in den üblen Ruf der Geschichtslosigkeit bringt.
Die Verdienste der Kunstgeschichte um eine sachlich wägende Urteilsbildung und
die Verhütung oberflächlicher Geschmacksäußerungen sind ohne Zweifel groß, aber
es ist doch eine Ironie, daß sie, im Dienste der reinen Objektivität aufgehend,
vergessen hat, wer einst an ihrer wiege Pate stand, nämlich das zu höchster
Einseitigkeit entwickelte künstlerische Erlebnis, die vorwiegend subjektiv
geartete, entschiedene Stellungnahme. Sowohl Winkelmann wie Wackenroder
„schwärmten" mit echt romantischer Empfindsamkeit, der eine für das Altertum,
der andere für das Mittelalter. Beide lassen die säuberliche Sachlichkeit des
strengen Historikers noch durchaus vermissen und denken nicht daran, sich jenem
matten Relativismus zu ergeben, der allen, auch den heterogensten Erscheinungen
der Geschichte gerecht werden will, wobei er sich denn häufig genug mit der
Gewandtheit eines Schlangenmenschen in die verschiedenen Dinge „einfühlt". Ist
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