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km Krche,schule u.Sisus
Erscheint monatlich in einem kiest ;u Z2-4S Zeiten u. enthält viele
Dextillustrationen, sowie Kunstbeilagen. Preis sür das Vierteljahr
2 svark. Lu bestehen durch alle Postämter und Buchhandlungen.

Dezember 1918

Sechzigster Jahrgang

Nr. 12

Die erste Friedensweihnacht.
^^udwig Richters schönste Radierung ist seine „Christnacht". Da tragen die
Engel einen Christbaum vom Himmel auf die Erde. Sie schweben über
einer friedlichen deutschen Kleinstadt. Die Weihnachtsglocken läuten auf
der alten Stadtkirche und eben steigt der Pfarrer im Talar von seinem still
gelegenen Hause hinab zur Kirche, zur Lhristmette.
Gebe Gott, daß wir in solch stiller Einkehr diese erste Friedensweihnacht
feiern dürfen, vielleicht kommt's auch anders. Über wie's auch kommen mag,
die neuen deutschen Wege weisen nach dieser stillen Innerlichkeit, nach dieser
Einkehr, die wieder Himmelsglocken läuten hört und Gebetshände aufhebt zu
dem Vater der Geister, der so wunderliche, erschreckende Wege mit seinem deutschen
Volke, dem Volk der weihnachtlichen Traulichkeit gegangen ist.
Vie Welt, auch die deutsche Welt, ist jetzt voll von vorwürfen, daß ein
überspanntes Rlachtgefühl, ein Taumel der Weltbeherrschung uns in den Rbgrund
gerissen hat. Ls hat sich an der deutschen Seele in der Tat Ehristi Wort erfüllt:
„was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewänne und nähme doch
Schaden an seiner Seele". Die große Frage, die jetzt vor uns steht, heißt:
wie wollen wir den Schaden an der deutschen Seele wieder gut machen?
Tröltsch hat gesagt, daß an unserem Niederbruch auch die Tatsache schuldig sei,
daß wir zu wenig auf die Stimme der Wissenschaft gehört haben.
Man kann hinzufügen: wir haben auch zu wenig auf die Stimme der
Kunst gehört.
Rls die Napoleonische Geißel auf Deutschland niederfuhr, traf sie ein Geschlecht,
dar zu den Füßen Schillers und Goethes, Humboldts und Fichtes saß. Daher
dieser unglaublich rasche Rdleraufschwung vor hundert Jahren.
Uber unser von Gott geschlagenes Geschlecht? Dubois Repmond hat schon
1876 geklagt, daß die Deutschen aus ihrem Waffensieg keine geistige wieder-
gebürt zu schaffen verstanden, und ein Engländer hat gemeint, eben weil wir
Deutsche aufgehört haben, der Weltseele die idealen Ströme des Geistes zuzu-
führen, eben darum seien auch die andern Weltvölker verroht. Und mußte
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