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die gleichen Triebkräfte erwecken, aus denen die einstige Kunstblüte hervorging,
und können auch die ihrer glücklichen Entfaltung entgegenstehenden Einflüsse in
weitgehendem Maße abschwächen oder fernhalten. Durch planmäßige Erziehung
vermitteln wir, was unter den einfachen Verhältnissen früherer Zeiten sich aus
der unmittelbaren Übertragung von Person zu Person von selbst ergab. Die
richtigen Ziele hiefür abzustecken und die Wege zu bezeichnen, auf denen sie zu
erreichen sind, ist die Aufgabe der vorliegenden Schrift. Sie will die Grund-
fragen der Volkskunst, ihr Wesen, ihre Lsuellen, ihre Forderungen, das Ver-
hältnis des Künstlers und der Allgemeinheit zu ihr, sowie die Kunsterziehung
in das Licht klarer, durch keine vorgefaßte Meinung getrübter Erkenntnis stellen.
Sie will auch die verloren gegangenen Wechselbeziehungen wiederherstellen
zwischen dem vaterländischen und dem künstlerischen Geist. Ferne liegt uns
aber jede Neigung zu engherziger Deutschtümelei, ebenso auch jeder Gedanke an
eine regelsüchtige Kunst. Nicht einer Erneuerung oder Wiederbelebung längst
entschwundener Ausdrucksformen suchen wir den Loden zu bereiten, sondern der
„Wiedergeburt" der Volkskunst aus den ursprünglichsten, ewig zeugungs- und
lebensfähigen Kräften unseres Volkstums.
So wendet sich das Buch nun an jeden Künstler und Kunstfreund, nicht
minder auch an alle für die öffentliche Aufklärung und die Erziehung unseres
Volkes berufenen Kreise und nicht zuletzt an jeden guten Deutschen, dem des
Vaterlandes Wohl am Herzen liegt. Möchte doch in voller Würdigung der
hohen Bedeutung einer zielbewußten, nationalen Kunstpflege die großzügige
Förderung, mit der man der modernen Bewegung die breitesten Entwicklungs-
möglichkeiten gab, nunmehr auch unfern, auf ungleich sicherem und erfolgver-
sprechenderem Boden stehenden Bestrebungen zur Wiedergeburt der Volkskunst
zustatten kommen! welch reiche Dauerfrucht würde sie tragen! wenn wir aber
in Verkennung der Zeichen der Zeit durch eigene Schuld die große Stunde ver-
säumen, welche uns die Volkskunst, diese feinste Blüte des deutschen Volkstums,
hätte bringen sollen, dann wird einstens die deutsche Geistes- und Kunstgeschichte
unnachsichtig und streng uns zur Verantwortung ziehen."


Schadows Grabmal des Grasen von der Mark.
Berlin, Dorotheenstädtische Pfarrkirche,
von Professor Paul Schubring.
H"^or zwanzig Jahren war's; da besuchte ein junger rheinischer Student zum
Z s erstenmal die Keichshauptstadt. Ein Freund hatte ihm geraten: „sieh
dir Schadows Grab des jungen Grafen an, das ist das beste Grabmal
von Berlin." Er tat es mit den Erwartungen, die die rheinische Kunst der
Gotik in ihm geweckt hatte, und war — bitter enttäuscht. Seitdem hat der
Student von ehemals viele Gräber vieler Zeiten und Zonen gesehen, die Papst-
gräber in St. Peter und die Fürstengräber in Broü, die sogen. Zchatzhäuser von
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