Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Clemen, Paul [Editor]
Belgische Kunstdenkmäler (Band 1): Vom neunten bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts — München, 1923

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.43817#0197
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Wir finden sie in Schmelz
gearbeitet auf dem Kloster¬
neuburger Altar wieder, nun¬
mehr erfolgt ihre Weiterbil¬
dung bei Hugo von Oignies
in Filigranvoluten mit Ran¬
ken und kleinen Rosetten,
die sich vom Untergründe
lösen. Die verschiedene Ge¬
staltung des gleichen Motivs
ist für den Wandel der ver¬
schiedenen Anschauungen be¬
sonders charakteristisch. Aus
dem malerischen Prinzip
der karolingisch-ottonischen
Kunst entwickelt sich über
den Kolorismus der Gra¬
vierkunst die Auflösung des
Motivs, seine Durchleuchtung im Dunkel des Hintergrundes. Bezeichnenderweise bevorzugt
Hugo von Oignies das Helldunkel des Niellos, gestanztes Silber und den hellen Dekor des
Kristalls. Sein Filigranornament aus Blattwerk und Früchten ist mit Hirschen und Hunden
belebt, mit Tieren, die schnell beweglich sind, um den flüchtigen Charakter des Lichtes
festzuhalten. Ein ähnlicher Fries auf dem Dreikönigenschrein des Kölner Doms zeigt die
Entwicklung aus dem Flächenstil zur räumlichen Gestaltung besonders deutlich. In den
Arbeiten Hugo von Oignies halten dünne zierliche Stengel kleine Blätter, Weinlaub, Trauben
und Rosetten, die aus dem Dunkel hervorleuchten1)-
Seine Hauptwerke werden im Nonnenkloster Notre-Dame zu Namur aufbewahrt: ein
Reliquiar, paßartig ausgestaltet mit hellen Steinen auf Filigrangrund, ein Reliquienkreuz
mit Nielloplatten, der Fuß mit Tieren in Rankenwerk, das Petrusreliquiar von 1228 mit
Jägern, Hunden und Hirschen, besonders reich belebt. Trotz der gotisierenden Elemente
überwiegt bei diesen Arbeiten noch die Neigung zu dekorativen Prunkstücken, im Dekor
byzantinischer Emails ist das alte Prinzip noch in Einzelheiten festgehalten.

Abb. 12g. Remaclusschrein in Stavelot von 1265.


DER ELEUTHERIUSSCHREIN IN TOURNAI
Das gewaltigste Werk der Folgezeit, bis in alle Einzelheiten jedwede Möglichkeit des
künstlerischen und technischen Gestaltungsvermögens erschöpfend, ist der Eleutherius-
schrein der Kathedrale von Tournai. Er muß als das reichste Werk der mittelalterlichen
Goldschmiedekunst bezeichnet werden, eine Steigerung darüber hinaus ist undenkbar.
(Abb. 124—127.)
Im Gesamtaufbau mit Kleeblattbögen und Zwickeln, wie in ornamentalen Einzelheiten
wirkt der schöpferische Geist des Nicolaus von Verdun nach. Man kann sagen, daß

D Abb. bei Helbig a. a. O. und Otto von Falke, in der Illustrierten Geschichte des Kunst-
gewerbes, herausgegeben von G. Lehnert, I, S. 273.

IO1

147
 
Annotationen