Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Clemen, Paul [Hrsg.]
Belgische Kunstdenkmäler (Band 2): Vom Anfang des sechzehnten bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts — München, 1923

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43818#0062
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
zehnten, die den Brügger Kamin einschließen, in den Niederlanden. Die Triumphbogen
spannen sich, dem starren Pfostensystem der spätgotischen Fensterarchitektur Hohn
sprechend, über die ganze Fläche der Fenster als Einrahmungen der wunderbaren Glas-
malereien dieser Zeit hinweg, die uns mehr noch als die Tapisserien der Zeit die fehlende
große heroisch-monumentale Wandmalerei, das gleichzeitige repräsentative Historienbild er-
setzen müssen.
Über dem frühesten großen Gemälde des Lancelot Blondeel hängt noch wie ein auf-
gelöster Vorhang jener überreiche Rahmen, in dem mit den sprudelnden Elementen der
neuen antikischen Form sich noch die flamboyante Gotik, der style ogival fleuri mischt,
wie er aus dem jetzt zerstörten Lettner von Dixmuiden zu uns sprach. Diese Überfülle
der Motive ist gebändigt und einem großen rhythmisch bewegten dekorativen Plan unter-
geordnet in dem Entwurf für den Kamin in Brügge. Bei dem späten Bild in Tournai
hat das tektonische Gefühl in dem Maler obgesiegt und wie in den Figuren so in dem
zweigeschossigen Aufbau alles unter das Gesetz einer reifen geläuterten Überlegung ge-
stellt. Bei dem Erstlingswerk von 1523 und noch bei den Bildern von 1545 ist es der
Geist der abtretenden Spätgotik, der mit seinem starken ungebrochenen Lebensgefühl die
neuen noch unverstandenen antikischen Glieder aufbläst. Aus der Erbschaft der Spät-
gotik stammt jener barocke Geist in der grotesken Richtung, den Robert Hedicke in den
Frühschöpfungen der flandrischen Renaissance sieht1). Und wenn das humanistische ge-
lehrte Element als das eigentliche Fundamentale in dem ganzen Komplex bezeichnet worden
ist, den wir mit dem Namen Renaissance getauft haben2), gilt das nicht wieder ganz be-
sonders von der frühen niederländischen Renaissance mit ihrem Hintergrund von alexan-
drinischer Gelehrsamkeit, von verspäteter Scholastik, von früher Philologenkunst? An
dem Anfang der Entwicklung steht die weltbürgerlich voltairesche Erscheinung des großen
Erasmus und des Hieronymus Busleyden Gründung des Collegiums der drei Sprachen in
Löwen, zwei Symbole des Neuen und des Alten und doch beide so eminent gelehrte Er-
scheinungen. Die Programme zu den großen Festwochen der niederländischen Städte
bei den Einzugsfeiern ihrer Fürsten, den ersten Äußerungen des Renaissancegeistes in der
flandrischen und brabantischen Gesellschaft, hatten gelehrte Latinisten entworfen, und es
ist die rationalistische und theoretisierende Luft von selbstgerechten Antiquaren, in der der
Klassizismus der Hochrenaissance geboren wird, die Welt des Dubroeucq, des Lambert
Lombard und des Floris. Durch alle diese Wirrungen und Wandlungen des niederländischen
Romanismus hindurch führt die Kunst des Lancelot Blondeel.

’) Robert Hedicke, Begriff und Wesen des Barock: Repertorium für Kunstwissenschaft XXXIV,
1911, S. 24. Vgl. auch die wichtigen allgemeinen Ausführungen desselben Autors in seinem Jacques
Dubroeucq von Mons, ein niederländischer Meister aus der Frühzeit des italienischen Einflusses,
Straßburg 1904, S. 3 ff., 211.
2) W. Weisbach, Renaissance als Stilbegriff: Historische Zeitschrift CXX, 1919, S. 250. Ein
umfassendes Bild der ganzen »Renaissance« gibt H. Pirenne in einem glänzend geschriebenen
Kapitel seiner Geschichte Belgiens, Gotha 1907, III, S. 360. Dazu F. Neve, La renaissance des
lettres et l’essor de l’erudition ancienne en Belgique, Löwen 1890.


 
Annotationen