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Clemen, Paul [Hrsg.]
Belgische Kunstdenkmäler (Band 2): Vom Anfang des sechzehnten bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts — München, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.43818#0064
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Wie durch ein Wunder sind bei den Zerstörungen, denen die St. Gudulakirche wiederholt
ausgesetzt gewesen ist, die Fenster im polygonalen Hochchor, die während der Regentschaft
der Margarete von Österreich, um 1525, entstanden sind, in verhältnismäßig gutem Zustand
erhalten geblieben. Das der Zeit nach nächste große Glasgemälde, die Schilderung des
Jüngsten Gerichts, das der Bischof von Lüttich, Eberhard von der Marek, 1528 über dem
Hauptportal der Kirche anbringen ließ, hat durch mehrfache gründliche Restaurationen,
zuletzt durch Jean-Baptiste Capronnier, so sehr an authentischem Werte verloren, daß die
wenigen unberührten alten Stücke, die vor den Augen des akademischen Restaurators
Gnade gefunden hatten, den Urheber des Entwurfes nicht klar erkennen lassen. Von den
vielen Glasfenstern, die von den Habsburgern zum Schmucke der 1534 bis 39 errichteten
Sakramentskapelle mit der Darstellung des Hostienwunders gestiftet worden sind, haben sich
vier in mehrfach restauriertem Zustand erhalten. Bald nach den religiösen Wirren im 16. Jahr-
hundert waren erhebliche Beträge für die Wiederherstellung dieser Fenster von dem Kapitel
verausgabt worden, 1638 hat dann der »glasmeker en schryver« Jan van Bronckorst die Fen-
ster restauriert, und der nächste Restaurator fand 1718 nur noch viereinhalb von den sieben
Fenstern vor. Zuletzt hat Capronnier an den übriggebliebenen vier Fenstern gearbeitet, und zu
den vier alten ein ganz neues hinzugeschaffen, das die Verehrung des Hostienwunders
schildert (1848). Etwas besser ist der Zustand der beiden gewaltigen Glasmalereien von 1538
über den Querschiffportalen im Süden und Norden, die unter prunkvollen Triumphbogen
die fürstlichen Stifter feiern. Am besten haben die Nöte der Zeit und die Qualen der
Menschen überstanden die vier großen Glasbilder mit Darstellungen aus dem Marienleben
in der der Sakramentskapelle gegenüberliegenden Marienkapelle, die 1649 bis 1653 von der
Brüderschaft von Notre Dame de la Delivrance errichtet worden ist. Die nach Theodor
van Thuldens teilweise noch erhaltenen Kartons (im Musee du Cinquantenaire) von Jean
de la Baer gemalten Glasbilder, wurden lange Zeit als Zeugnisse des Kunstverfalls abfällig
beurteilt, aber vor gänzlicher Vernichtung schützten sie die Namen der Stifter, und vor
einer durchgreifenden Restauration der den akademischen Puristen des 19. Jahrhunderts
unerquickliche Stil.
Mit allen ihren Schäden und Verunstaltungen machen die Glasmalereien der Gudula-
kirche den Eindruck einheitlich durchdachter Schöpfungen von großer malerischer Gesamt-
wirkung. Sie lassen trotz der Charakterlosigkeit späterer Restauratorenarbeit die nieder-
ländische monumentale Glasmalerei auf zwei Stufen hoher Entwicklung würdigen. Die
älteren, vor der Mitte des 16. Jahrhunderts nacheinander entstandenen Malereien —
im Hochchor über dem Triforium, über dem Haupteingang der Kirche im Westen und
über den Querschiffeingängen im Süden und Norden, dann die vier Fenster der Sakraments-
kapelle — atmen den Geist und die heitere Anmut der Renaissance, sie erreichen in
mehreren Staffeln das antikisierende Kunstziel der Brüsseler Romanisten. Die über ein
Jahrhundert spätere Fensterfolge der Marienkapelle zeigt im schroffen Gegensatz zu den
klar übersichtlichen Renaissancewerken die rauschende Farbenpracht und den ekstatischen
Schwung der flämischen Barockmalerei.
Margarete von Österreich, seit 1507 Statthalterin der Niederlande, erscheint nach den
Rechnungen ihrer Hofhaltung eifrig bestrebt, den Ruhm ihres stolzen Hauses durch Stiftungen
von Glasmalereien zu verewigen. An der Stiftung der Ahnenbilder im Hochchor von
St. Gudula ist sie mit ihrer Familie beteiligt. Neben dem Mittelfenster, das unter Bal-

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