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Clemen, Paul [Hrsg.]
Belgische Kunstdenkmäler (Band 2): Vom Anfang des sechzehnten bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts — München, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.43818#0126
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Als Vorbild dienten noch einmal die italienischen Villen des 16. Jahrhunderts, die Bauten
von Palladio und Sansovino. In dem Neupalladianismus dieses ersten belgischen Klassi-
zismus wird der antikisierende Charakter dieser Vorbilder wieder aufgenommen. Säulenhallen,
reiche Vestibüle und Treppenanlagen, Terrassen mit Balustraden eingefaßt, Attiken mit
Statuen und Vasen geschmückt sind die Merkmale dieser reich und elegant ausgestatteten,
aber allzu verstandesgemäß ausgedachten Schloßbauten. Die Wassergräben und Türme sind
vollständig verschwunden. Die großen Baumalleen des 17. Jahrhunderts sind allein noch
von der barocken Disposition geblieben, zwischen ihnen liegen die unregelmäßigen Garten-
anlagen, die mit niedlichen Gartenhäusern, als Tempel ausgebildet, Schweizerhäuschen,
chinesischen Türmchen, Pagoden, Obelisken und Statuen ausgestattet sind1)-
Die Bauperiode, die in Belgien wie in ganz Mitteleuropa die zweite Hälfte des ig. Jahr-
hunderts erfüllt und bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts führt, kann man nur als eine
Periode des künstlerischen Niedergangs und Verfalles ansehen. Sie bringt eine Formen-
sprache hervor, die auch hier katastrophal für die alten, an sich meist so reizvollen und
künstlerisch empfundenen Bauwerke wirkt, die den malerischen Stimmungswert der überliefer-
ten, in vielen Jahrhunderten gewachsenen Architekturbilder aufhebt, die noch vorhandenen
älteren Bauteile durch ihre Aufdringlichkeit erdrückt. Gefühls- und empfindungslos, wenn
auch maßstäblich korrekt und historisch-mechanisch nachgearbeitet, wirken jene unechten
Burgen und Schlösser mit ihren pseudomittelalterlichen, meist zu Unrecht militärisch begrün-
deten Formen für unsere heutige Zeit und unser Lebensgefühl zumeist nur wie schlechte
Karikaturen und Theaterkulissen.
’) Vortreffliche Aufnahmen solcher klassicistischer Bauten aus Belgien bringt das Werk von
P. J. Goetghebuer, Choix des Monumens, Edifices et Maisons les plus Remarquables du Royaume
des Pays-Bas, Gand 1827. Weitere Abbildungen enthalten in der Collection Goetghebuer der
Universitätsbibliothek zu Gent, die eine ausgedehnte Materialsammlung von Aufnahmen aller
Art enthält.

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