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Clemen, Paul [Hrsg.]
Belgische Kunstdenkmäler (Band 2): Vom Anfang des sechzehnten bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts — München, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.43818#0158
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von Beauvais und Aubusson überschattete. In Belgien wurzelte die Gobelinkunst als eine
nationale Industrie in dem breiteren Volkstum. Neben Brüssel waren eine ganze Reihe von
Städten und Städtchen Sitze von fruchtbaren Wirkerwerkstätten. Bereits im 15. Jahr-
hundert hatte hier die Bildwirkerei eine solche Ausdehnung angenommen, daß zahlreiche
Wirker außer Landes gingen und in Frankreich, Deutschland, Ungarn, in Italien und
anderen Ländern ihre Kunst heimisch zu machen suchten. Im 16. und im 17. Jahr-
hundert wurde Belgien geradezu die Seele der europäischen Teppichweberei; nach Hol-
land, nach Frankreich, nach England, nach den skandinavischen Ländern, überallhin ver-
breiteten belgische Wirker ihre Kunstfertigkeit. Selbst die französischen Manufakturen,
die Ludwig XIV. ins Leben rief, mußten sich in ihren Anfängen belgischer Tapetenwirker
bedienen.
Deutschland hat besonders in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vielen südnieder-
ländischen Wirkern, die infolge der religiösen Verfolgungen unter Alba das Land ver-
ließen, eine Freistatt geboten. An den Höfen der deutschen Fürsten im Norden und
Süden unseres Vaterlandes erschienen seit den fünfziger und sechziger Jahren des 16. Jahr-
hunderts Tapetenwirker aus den Niederlanden. Man kann ruhig sagen, daß die gesamte
Bildwirkerei der deutschen Spätrenaissance ein Ableger der Brüsseler Wirkerkunst ge-
wesen ist. Aber auch späterhin, in der Barock- und Rokokozeit, als bereits die großen
französischen Staatsmanufakturen in Wettbewerb traten, blieben die belgischen Teppich-
fabriken, die von Brüssel, Audenarde und Lille, in der Gunst des deutschen vornehmen
Publikums in Geltung. Domkapitel, Fürstenschlösser, adlige Landhäuser und Patrizier-
häuser in den Städten Deutschlands bezogen in erster Linie ihre Bildteppiche aus Brabant.
Heute noch kann man die flämische Bildwirkerei besser in Deutschland und Österreich
als in Belgien selbst kennenlernen1)- Überhaupt ist es das Geschick der vielbegehrten
belgischen Teppiche gewesen, in solchen Mengen außer Landes zu gehen, daß ihre Heimat
davon nur einen bescheidenen Rest behalten hat. Die Teppiche des 15. und 16. Jahrhun-
derts sind am besten in Spanien vertreten, besonders in den königlichen Sammlungen;
das hat seinen Grund in der leidenschaftlichen Teppichliebhaberei des spanisch-burgun-
dischen Hauses, namentlich Philipps II. Die spätere Zeit wiederum lernt man kaum
irgendwo besser als in Wien kennen2). Der Kunstsinn der österreichischen Statthalter und
des Hauses Lothringen hat diese Sammlungen geschaffen. Eine erstaunliche Menge von
niederländischen Bildteppichen sind in letzter Zeit infolge der allgemein erwachten Leiden-
schaft und gewaltiger Preissteigerung im Handel aufgetaucht. Namentlich Nordamerika,
das in dem Neuyorker Metropolitanmuseum und in der Sammlung Morgan zwei der wert-
J) Besonders reich an Brüsseler Teppichen des 17. und 18. Jahrhunderts sind die Schlösser
von Bamberg, Würzburg, Bruchsal, Karlsruhe, Mannheim — diese sind zurzeit von dem Groß-
herzog von Baden übernommen — München und Schleißheim. Der umfangreiche Bestand der
Münchner Residenz, der jetzt nach der Verfassungsänderung in den Staatsbesitz übergegangen
ist, ist kürzlich von der Photogr. Anstalt Riehn & Reusch in München photographiert worden.
2) Ein Verzeichnis mit Abbildungen eines Teils der Wiener Sammlung lieferte zuerst Birk
in dem Jahrbuch des Allerh. Kaiserhauses 1883 ff. Durch die beiden großen Wiener Gobelinaus-
stellungen im Belvedere-Schloß vom 1920 und 1921 ist die Bedeutung der Sammlung erst in
das volle Licht getreten. Zu beiden Ausstellungen ist ein ausführliches Verzeichnis, bearbeitet
von Ludwig Baldass mit Vorwort von Hermann Trenkwald, in der Staatl. Lichtbildstelle in Wien
erschienen. Die Lichtbildstelle hat auch eine Tafelveröffentlichung, wiederum mit Text von
Baldass, herausgegeben, auf die unser Text keinen Bezug mehr nehmen konnte.
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