Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Interesse für Architektonisches mehr in den Hintergrund. Hundert Jahre nach Tessin
spricht man hier überhaupt nicht mehr von Architektur. De Wit') und Descamps* 2 3 4 5) haben
nur noch die Malerei im Auge, kaum daß bei ihnen die Plastik hier und da erwähnt
wird. Und so konnte selbst ein Architekt in der Stadt, in der Rubens, die goldene Sonne
Antwerpens, alles überstrahlte, sagen, daß im Vergleich zu dieser Malerei fast nichts in
der Architektur zu sehen sei. Freilich wird man nicht verkennen dürfen, daß die eigen-
artige Bauweise der Scheldestadt eine solche Anschauung begünstigen mußte. Der Stadt-
plan 3) von 1635 aus dem »Pompa Introitus Ferdinandi« (vgl. S. 230) oder ein Gesamt-
blick, wie ihn beispielsweise die Stadtansicht des Johann Baptista Bonnecroy (datiert
1658)4) über die mächtige Flut der Schelde nach der ganzen Stadt gewährt, zeigt ein
Flimmern höchst reizvoll abgetreppter Giebel und Türme, deren Gesamteindruck als gotisch
bezeichnet werden muß, 18 Jahre nach dem Tode des Rubens ! Aber von repräsen-
tativer Architektur im Sinne des Barock wird man nichts entdecken. Dieser Maler in
der Zeit des eigentlichen Antwerpener Barock wählte die malerische Ansicht schlechthin
— auf die Gefahr, sich mit dem »stylo barbarico« abfinden zu müssen. Auch jetzt noch
zeigt das Gesamtbild der Stadt ein Fehlen einheitlich gestalteter Barockanlagen, wie sie
dem französischen Raumideal entsprechen und in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
in Brüssel zum Ausdruck gekommen sind. Und doch ist auch heute noch Antwerpen
reich an architektonischen Denkmälern aus der Blütezeit seines künstlerischen Schaffens
— nur sind sie nicht sinnfällig leicht zu finden. Man baute selbst im 17. Jahrhundert in
spätgotischen Formen, die das barocke Innere umkleiden, und auch die echten Barock-
bauten, besonders die profanen, entwickeln sich ganz eigentlich nach innen zu. Ein Gegen-
satz von Innen- und Außenbau wird allenthalben bemerkbar, wie ihn schon Schnaase 5)
beobachtet hat. Fast alle Kirchen zeigen einen Kontrast des schmucklosen Äußeren und
der reich ausgestatteten Innenräume, und auch die Wohnhausbauten, die mit gleichgültigen
Fassaden in die Straßen schauen, entfalten einen üppigen Reichtum nach innen. Ja, selbst
die Straßen und Plätze, Höfe und Gärten, denen man es anmerkt, wie sie gegen Wind
und Wetter schützen, wirken wie Innenräume voll malerischen Reizes. Und eben dieses
Malerische wirkt so selbstverständlich, daß man es hier begreifen lernt, wie es jedes Auge
gefangennehmen mußte. Ja, man darf sagen, im Hinblick auf die Malerei scheint alles
Plastische und alle Raumgestaltung gedacht, und gerade die Antwerpener Binnenräume
in ihrer wechselseitigen Beziehung von Raumgestaltung und Ausstattung versinnlichen
diesen Verschmelzungsprozeß. Rubens selbst muß so gefühlt haben. Seine ganze universal
gerichtete Künstlerpersönlichkeit offenbart es. Er schreibt an William Trumbull: »Der
große Raum gibt uns viel mehr Mut, unsere Idee gut und lebenswahr darzustellen«6).
’) Jacobus de Wit, De Kerken van Antwerpen, herausgegeben von J. de Bosschere; Antwerp-
sche Bibliophilen Nr. 25. Antwerpen und Haag 1910.
2) F. B. Descamps, Voyage pittoresque de la Flandre et du Brabant. Nouvelle edition aug-
mentee de Notes par M. C. Roehn. Paris 1838. Deutsche Ausgabe, Leipzig 1771 (bey E. B.
Schwickert).
3) Abbildungen bei P. Genard, Anvers a. a. O. I zu p. 160 und H. Kehrer, Alt-Antwerpen,
München 1917, Abb. 9.
4) Ursprünglich im Antwerpener Rathaus, jetzt im Museum van Schoone Künsten. Katalog
1911, Nr. 796. — H. Kehrer, Alt-Antwerpen, Abb. 17.
5) Karl Schnaase, Niederländische Briefe. Stuttgart und Tübingen 1834, S. 212 ff.
6) Brief vom 13. September 1621, vgl. Otto Zoff, Die Briefe des P. P. Rubens. Wien 1918, S. 105.

186
 
Annotationen