XXVIII
KUNSTGESCHICHTLICHE EINLEITUNG
»Ulms Verfassung, bürgerliches und commercielles Leben im Mittelalter« von Carl Jaeger (i 83 i)2. Nicht unwesent-
lich ergänzt wurde diese Überlieferung durch die freilich nicht immer ganz vertrauenswürdigen Notizen im hand-
schriftlichen Nachlaß des Pfarrers Albrecht Weyermann, der punktuell und leider stets ohne Hinweis auf die
Bildgegenstände weitere ehemalige Standorte in den.verschiedenen abgegangenen Kirchen und Kapellen festgehalten
hatte (s. Reg. Nr. 107E). Zum Zustand der Glasmalereien im Münster an der Wende vom 19. zum 20. Jh. schließlich
schufen die in drei Auflagen 1890, 1907 und 1923 aktualisierten Baubeschreibungen des Münsterpfarrers Rudolf
Pfleiderer, ab 1907 das »Münsterbuch«, eine einzigartig genaue und verläßliche Grundlage ’.
Abgesehen von vereinzelten Einsichten in die künstlerischen Zusammenhänge der beiden Straßburger Importfenster
im Ulmer Münsterchor mit den Straßburger Fenstern in Tübingen durch den Ulmer Oberstudienrat und Landeskon-
servator Konrad Dietrich Hassler4 5 nahm die kunsthistorische Bearbeitung der Bestände erst 1912 mit der von
Paul Frankl als Dissertation vorgelegten Studie zur »Glasmalerei des 15. Jh. in Bayern und Schwaben« bzw. dem
daraus exzerpierten Separatum über den »Ulmer Glasmaler Hans Wild« ihren eigentlichen Anfang3. Während die
beiden vielbewunderten Straßburger Fenster im Chor des Münsters als Kernbestand des seinerzeit noch unter dem
Namen Wild vereinigten (Euvre in alle einschlägigen kunsthistorischen Darstellungen aufgenommen wurden, und auch
den durch ihre besondere tafelmalereiartige Darstellungsform ausgezeichneten Bessererscheiben bereits ein fester
Platz in der Entwicklung früher realistischer Malerei in Deutschland zugewiesen worden war (hervorzuheben sind hier
insbesondere die Gesamtdarstellungen von Hermann Schmitz, 1913, und Joseph Ludwig Fischer, 1914)6 *, blieben
die vier älteren Chorfenster weitgehend unberücksichtigt. Da hier in Ermangelung guter und vollständiger Aufnahmen
nicht auf einer hinreichenden Kenntnis des Gesamtbestandes aufgebaut werden konnte, führte die erstmals von
Pfleiderer 1890 vorgenommene und lange Zeit ungeprüft fortgeschriebene irrtümliche Verknüpfung mit einem den
Ulmer Quellen entlehnten, viel zu späten Datum um 1450 zu einer ebenso vernichtenden qualitativen Beurteilung wie
völligen Fehleinschätzung ihrer entwicklungsgeschichtlichen Bedeutung, von der zunächst nur das Medaillonfenster
ausgespart geblieben war, da es aufgrund seiner Kompositionsform enger mit den bayerischen Großmedaillonfenstern
der Zeit um 1400 zusammenzuhängen schien '.
In den dreißiger Jahren trat dann die Frage nach den Meistern in den Vordergrund des kunsthistorischen Interesses:
Eingeleitet durch die 1936 publizierten Quellenforschungen von Hans Haug und Hans Rott, die die Entthronung
des vermeintlichen Ulmer Glasmalers Hans Wild zugunsten des Straßburgers Peter Hemmel von Andlau und der mit
diesem verbundenen Werkstattgemeinschaft nach sich zogen,. folgte wenig später die von Frankl begründete Zu-
schreibung der Bessererscheiben an den in den Berner Rechnungsbüchern genannten Glasmaler Hans von Ulm und
dessen Identifizierung mit dem vielbeschäftigsten Ulmer Maler und Glaser Hans Acker8.
Die folgenden Jahrzehnte waren gekennzeichnet durch die verschiedenen Beiträge von Hans Wentzel und dessen
stets kritische, bisweilen polemische Auseinandersetzung mit den Forschungsergebnissen Frankls. Die von Wentzel
anläßlich der Bergung der Ulmer Farbfenster 1941 betreute Photoaktion des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft
lieferte erstmals eine lückenlose Dokumentation der Bestände9 und bot zugleich die seltene Möglichkeit eingehenden
Studiums der Originale. Seine anschließenden Stellungnahmen — im Rahmen einer dem Ratsfenster gewidmeten
2 Haid, 1789, S. 108f., Dieterich, Stadt Ulm, 1825, S. 67, und Jaeger,
1831, S. 585.
3 Pfleiderer, 1890, S. 39, 42, 51, 68—72, 81, 83—85, und ders., 1907, S.
46f., 100—107, 126, 130—134, 174, 177—179, 220, bzw. ^923, S. 44p, 96—
103, 121, 124—127, 165 f.
4 Hassler, 1862, S. 80.
5 Frankl, 1912, S. 14—17, 19b, 36—44, 53—66, 71—73, 170, bzw. ders.,
Wild, 1912, S. 31, 38—52, 55—57.
6 Schmitz, 1913, I, S. 93 f. bzw. 97—101, und Fischer, 1914, S. 103 b,
118—121, 145.
Später, als man sich bereits anschickte, die zeitliche Ordnung der älte-
ren Ulmer Chorfenster mit Blick auf die nächsten Vergleichsobjekte im
fränkischen und thüringischen Raum insgesamt kritisch zu überprüfen,
hat Frankl, Astalermeister, 1936, S. 49-53, dann umgekehrt allein das
Medaillonfenster - genauso falsch - mit dem späten Datum 1449 ver-
bunden und damit für einige Verwirrung in der Forschung gesorgt.
8 Haug, 1936, S. 81 f., und Rott, 1936, S. 244—246, bzw. ders., 1938, S.
68—72. Die von Frankl, Passionsfenster, 1938, S. 257—263, im selben
Anlauf vorgenommene, höchst spekulative Verteilung der älteren Ulmer
Fenster an sämtliche aus den Ulmer Hüttenbüchern bekannten Meister
entbehrte dagegen jeglicher Grundlage und ist später auch nicht weiter
berücksichtigt worden - ausgenommen die noch heute im lokalen
Sprachgebrauch geläufige Zuschreibung der ältesten Chorfenster an den
Glasmaler Jakob, dessen Vereinnahmung als Stammvater der Ulmer Ma-
ler- und Glaserfamilie Acker allerdings ebenso hypothetisch bleiben muß
wie die Zuschreibung selbst.
9 Eine bereits um 1930, gleichfalls im Auftrag des Deutschen Vereins für
Kunstwissenschaft durchgeführte Photoaktion hatte die Chor- und
Langhausfenster nur in Teilen, die Glasgemälde der Besserer-Kapelle gar
nicht erfaßt.
KUNSTGESCHICHTLICHE EINLEITUNG
»Ulms Verfassung, bürgerliches und commercielles Leben im Mittelalter« von Carl Jaeger (i 83 i)2. Nicht unwesent-
lich ergänzt wurde diese Überlieferung durch die freilich nicht immer ganz vertrauenswürdigen Notizen im hand-
schriftlichen Nachlaß des Pfarrers Albrecht Weyermann, der punktuell und leider stets ohne Hinweis auf die
Bildgegenstände weitere ehemalige Standorte in den.verschiedenen abgegangenen Kirchen und Kapellen festgehalten
hatte (s. Reg. Nr. 107E). Zum Zustand der Glasmalereien im Münster an der Wende vom 19. zum 20. Jh. schließlich
schufen die in drei Auflagen 1890, 1907 und 1923 aktualisierten Baubeschreibungen des Münsterpfarrers Rudolf
Pfleiderer, ab 1907 das »Münsterbuch«, eine einzigartig genaue und verläßliche Grundlage ’.
Abgesehen von vereinzelten Einsichten in die künstlerischen Zusammenhänge der beiden Straßburger Importfenster
im Ulmer Münsterchor mit den Straßburger Fenstern in Tübingen durch den Ulmer Oberstudienrat und Landeskon-
servator Konrad Dietrich Hassler4 5 nahm die kunsthistorische Bearbeitung der Bestände erst 1912 mit der von
Paul Frankl als Dissertation vorgelegten Studie zur »Glasmalerei des 15. Jh. in Bayern und Schwaben« bzw. dem
daraus exzerpierten Separatum über den »Ulmer Glasmaler Hans Wild« ihren eigentlichen Anfang3. Während die
beiden vielbewunderten Straßburger Fenster im Chor des Münsters als Kernbestand des seinerzeit noch unter dem
Namen Wild vereinigten (Euvre in alle einschlägigen kunsthistorischen Darstellungen aufgenommen wurden, und auch
den durch ihre besondere tafelmalereiartige Darstellungsform ausgezeichneten Bessererscheiben bereits ein fester
Platz in der Entwicklung früher realistischer Malerei in Deutschland zugewiesen worden war (hervorzuheben sind hier
insbesondere die Gesamtdarstellungen von Hermann Schmitz, 1913, und Joseph Ludwig Fischer, 1914)6 *, blieben
die vier älteren Chorfenster weitgehend unberücksichtigt. Da hier in Ermangelung guter und vollständiger Aufnahmen
nicht auf einer hinreichenden Kenntnis des Gesamtbestandes aufgebaut werden konnte, führte die erstmals von
Pfleiderer 1890 vorgenommene und lange Zeit ungeprüft fortgeschriebene irrtümliche Verknüpfung mit einem den
Ulmer Quellen entlehnten, viel zu späten Datum um 1450 zu einer ebenso vernichtenden qualitativen Beurteilung wie
völligen Fehleinschätzung ihrer entwicklungsgeschichtlichen Bedeutung, von der zunächst nur das Medaillonfenster
ausgespart geblieben war, da es aufgrund seiner Kompositionsform enger mit den bayerischen Großmedaillonfenstern
der Zeit um 1400 zusammenzuhängen schien '.
In den dreißiger Jahren trat dann die Frage nach den Meistern in den Vordergrund des kunsthistorischen Interesses:
Eingeleitet durch die 1936 publizierten Quellenforschungen von Hans Haug und Hans Rott, die die Entthronung
des vermeintlichen Ulmer Glasmalers Hans Wild zugunsten des Straßburgers Peter Hemmel von Andlau und der mit
diesem verbundenen Werkstattgemeinschaft nach sich zogen,. folgte wenig später die von Frankl begründete Zu-
schreibung der Bessererscheiben an den in den Berner Rechnungsbüchern genannten Glasmaler Hans von Ulm und
dessen Identifizierung mit dem vielbeschäftigsten Ulmer Maler und Glaser Hans Acker8.
Die folgenden Jahrzehnte waren gekennzeichnet durch die verschiedenen Beiträge von Hans Wentzel und dessen
stets kritische, bisweilen polemische Auseinandersetzung mit den Forschungsergebnissen Frankls. Die von Wentzel
anläßlich der Bergung der Ulmer Farbfenster 1941 betreute Photoaktion des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft
lieferte erstmals eine lückenlose Dokumentation der Bestände9 und bot zugleich die seltene Möglichkeit eingehenden
Studiums der Originale. Seine anschließenden Stellungnahmen — im Rahmen einer dem Ratsfenster gewidmeten
2 Haid, 1789, S. 108f., Dieterich, Stadt Ulm, 1825, S. 67, und Jaeger,
1831, S. 585.
3 Pfleiderer, 1890, S. 39, 42, 51, 68—72, 81, 83—85, und ders., 1907, S.
46f., 100—107, 126, 130—134, 174, 177—179, 220, bzw. ^923, S. 44p, 96—
103, 121, 124—127, 165 f.
4 Hassler, 1862, S. 80.
5 Frankl, 1912, S. 14—17, 19b, 36—44, 53—66, 71—73, 170, bzw. ders.,
Wild, 1912, S. 31, 38—52, 55—57.
6 Schmitz, 1913, I, S. 93 f. bzw. 97—101, und Fischer, 1914, S. 103 b,
118—121, 145.
Später, als man sich bereits anschickte, die zeitliche Ordnung der älte-
ren Ulmer Chorfenster mit Blick auf die nächsten Vergleichsobjekte im
fränkischen und thüringischen Raum insgesamt kritisch zu überprüfen,
hat Frankl, Astalermeister, 1936, S. 49-53, dann umgekehrt allein das
Medaillonfenster - genauso falsch - mit dem späten Datum 1449 ver-
bunden und damit für einige Verwirrung in der Forschung gesorgt.
8 Haug, 1936, S. 81 f., und Rott, 1936, S. 244—246, bzw. ders., 1938, S.
68—72. Die von Frankl, Passionsfenster, 1938, S. 257—263, im selben
Anlauf vorgenommene, höchst spekulative Verteilung der älteren Ulmer
Fenster an sämtliche aus den Ulmer Hüttenbüchern bekannten Meister
entbehrte dagegen jeglicher Grundlage und ist später auch nicht weiter
berücksichtigt worden - ausgenommen die noch heute im lokalen
Sprachgebrauch geläufige Zuschreibung der ältesten Chorfenster an den
Glasmaler Jakob, dessen Vereinnahmung als Stammvater der Ulmer Ma-
ler- und Glaserfamilie Acker allerdings ebenso hypothetisch bleiben muß
wie die Zuschreibung selbst.
9 Eine bereits um 1930, gleichfalls im Auftrag des Deutschen Vereins für
Kunstwissenschaft durchgeführte Photoaktion hatte die Chor- und
Langhausfenster nur in Teilen, die Glasgemälde der Besserer-Kapelle gar
nicht erfaßt.