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MÜNSTER
Substanz bewahrt. Neben Flicken mit altem Glas finden sich
wiederum besonders an den hellen Gläsern der Rahmung
Überglasungen. Bei dunklen Farbgläsern ist die rückseitige
Verwitterung wie üblich weit fortgeschritten; Transparenzein-
bußen gegenüber den beständigeren weißen Teilen sind somit
nochmals zum Nachteil der Gesamterscheinung verschoben.
Schwarzlotabrieb begegnet indessen vorwiegend auf klaren
weißen Gläsern (vgl. Profilfigur im Vordergrund von ioc)202.
Ikonographie, Komposition: (Io 8,46-5920’bzw. Io 10,22-39). Eine
besonders begründete, anhaltende Vorliebe für die im Spätmit-
telalter nur sehr vereinzelt in Szene gesetzte Begebenheit muß
gerade in Ulm vorausgesetzt werden, denn das Thema erschien
dort um 1480 gleich zwei weitere Male: 1. im Ratsfenster (Abb.
14), und 2. im Zyklus der sogenannten Erbacher Rundschei-
ben (heute Berlin, KGM), die mit einiger Sicherheit aus dem
Ratssaal des Ulmer Rathauses stammen (Taf. XXIIId).
Als maßgebliches Vorbild der vorliegenden Fassung kommt
zuallererst das gleichnamige Wandgemälde im Kreuzgang des
Prager Emausklosters in Betracht (Textabb. 18)204. Eine engere
Übereinstimmung mit der Gruppe der Steiniger links und ins-
besondere der vordersten Profilfigur des »Chorführers« mit
der weit ausholenden Geste läßt sich kaum denken.
Der umlaufende Medaillonreif wird im Gegensatz zur unteren
Fensterhälfte nurmehr von Engeln bevölkert und steht in die-
ser Hinsicht noch dem Kompositionsprinzip der sogenannten
Astaler-Werkstatt nahe; vgl. hierzu bereits S. 2 8f.
Farbigkeit: Christus trägt wie überall im Fenster einen mittel-
blauen, gelb gefütterten Mantel mit gelber Agraffe, hier aller-
dings über rosavioletter Tunika; Nimbus rot mit gelbem Kreuz
und Rahmen; in seinem Gefolge drei Apostel: Petrus mit ro-
tem Mantel, gelber Mantelschließe und hellbraunem Buch;
Nimbus grün mit weißem Rand. Johannes in geknöpftem pur-
purvioletten Rock unter grünem Mantel mit weißem Futter;
Nimbus rot mit gelbem Rand. Im Bogensegment 10a Apostel
in Rot mit gelb/weißem Buch; Nimbus rosaviolett mit weißem
Rand; Inkarnate (komplett erneuert) hellbraun. Die Schar der
Steiniger (9/ioc): im Vordergrund Profilfigur in weiß/grau-
violett geteilter Schecke und weiß/dunkelblau geteilten Bein-
lingen, weißem Kopf und weißen Händen. Hinten links ein
zweiter in rotviolettem Rock, gelbem Gürtel und grün/rot ge-
teilten Beinlingen; rechts ein dritter in grünem Rock, gelbem
Gürtel und weiß/rot geteilten Beinlingen; Inkarnate und Stei-
ne der beiden hellbraun. Im Bogensegment rod erneuerter
Scherge in rot/blauviolett geteiltem Lendner und weißen Bein-
lingen, Kopf und Hände blaßbraun und weiß. Pflanzenboden
in diversen Grüntönen. Über dem Geschehen ein wäßrig hell-
blauer Wolkenkranz mit roten Feuerzungen; darin zwei grün
gekleidete Engel mit weißen Inkarnaten vor purpurviolettem
Grund. Im Kreis dunkelblauer Würfelgrund.
Medaillonrahmen identisch mit 4—6 a—d; im äußeren Reif um-
laufend angeordneter Engelreigen (Inkarnate durchgehend
weiß): 9b: Engel in blauer Albe mit weißen Flügeln; 9a: Engel
in Grün mit blauen Flügeln; 10a: Engel in Rotviolett bzw.
Blauviolett mit grünen Flügeln; na: Engel in Moosgrün mit
weißen Flügeln; 11b: Engel in Purpurviolett, Flügel blauame-
thyst; nc: Engel in Blauamethyst mit grünen Flügeln; iid:
Engel in Grün mit purpurvioletten Flügeln; rod: Engel in
Purpurviolett bzw. Blau mit grünen Flügeln; 9b: Engel in
Grün mit violetten Flügeln; 9c: Engel in Purpurviolett mit
weißen Flügeln.
Diamantrhombenteppich wie überall im Fenster hell-/dunkel-
blau geviertelt mit gelben Kernrauten. In den Zwickeln Pro-
phetenbüsten vor grünem Rankengrund in weiß gerahmten
Paßbogenmedaillons; ii/m: Prophet in rotem Umhang, Är-
mel mittelblau, über der Schulter gelbe Agraffe; ii/i2d: Pro-
phet mit roten Ärmeln und blauviolettem Überwurf; Inkarnate
hell- bis mittelbraun.
Technik, Stil: Physiognomische Merkmale, etwa die vollen wul-
stigen Lippen der vorderen Profilfigur, weisen zurück auf den
Typenschatz der älteren Chorfensterwerkstatt (vgl. Abb. 100,
166).
LBW 41939-41950; CVMA G 8524-8529
i2-i4a-d AUFERWECKUNG DES LAZARUS
Fig. 23, Farbtaf. IX, Abb. 159, 165, 170
H./B.: 12a: 92,5/54, b: 92,5/53,5, c: 92,5/54, d: 92/55; 13a:
92>$/54, b: 92,5/54, c: 92,5/5 5, d: 93/5 5,5 cm.
Im Brustbereich des Lazarus (13 c) flüchtig eingeritzt eine
schlecht leserliche Glaserinschrift: (Georg) lr(...) 1892 (oder
1852). Der von Derix ausgetauschte Kopf des unteren Engels
in 13 d ist bezeichnet: 19)0.
Erhaltung: Der oberhalb der dreizehnten Zeile und somit be-
reits im geometrischen Maßwerkabschluß angesiedelte Kreis-
abschnitt des Medaillons war — wie der Rest des
Couronnements — im Krieg nicht ausgeglast worden und fiel
im Herbst 1944 einem Bombentreffer zum Opfer; große Teile
davon waren jedoch schon von Zettler erneuert worden (vgl.
Taf. XVd). Von den verbleibenden acht Rechteckfeldern sind
zwei (i2d und 13 a) vollständig und vier zu überwiegenden
Teilen von Zettler ersetzt worden. Nur die beiden zentralen
figürlichen Scheiben besitzen noch großteils alte Substanz; das
Feld mit Lazarus, Martha, Magdalena und den Juden beinahe
zu 100%. Anhaltspunkte zum Zustand vor 1869 geben die
beschriftete Skizze des gesamten obersten Medaillons und ein
Blatt des Feldes 13 d von Friedrich Dirr (Taf. XIV)205.
Neben den flächendeckenden Eingriffen Zettlers, der wie üb-
lich alle Kellnerschen Reparaturen eliminiert hat, und verein-
zelten Flickstücken aus altem Glas, findet sich eine bemerkens-
werte Ergänzung des 15. Jh., die von Wortmann, der Werk-
statt der Bessererscheiben zugeschrieben wurde (Taf. XVIIa)
206: Der weibliche Kopf im Gefolge Christi entspricht im tech-
nischen Aufwand der aus dem Halbton radierten Gesichts-
202 Von den Kartonvorlagen, die Friedrich Dirr 1870 im Zuge der Kell-
nerschen Restaurierung angefertigt hatte und die im Hinblick auf die
Sorgfalt der Durchzeichnung wie durch schriftliche Zusätze eine Vor-
stellung der damals noch intakten Teile vermitteln, werden noch drei
(für die Felder 9a—c) im Ulmer Münsterarchiv aufbewahrt.
203 Evangelium am fünften Sonntag in der Fastenzeit (Passionssonntag).
2(14 Vgl. Neuwirth, 1889, Taf. XXII, und Burger, 1913, S. 158, Taf.
XVI.
205 Ulm, StA, F3 Ans. 591/2.
206 Reinhard Wortmann, Neues über die älteren Chorfenster des
Münsters - Ausbesserungen von Hans Acker?, in: Schwäbische Zeitung
Nr. 266, 16. November 1974.
MÜNSTER
Substanz bewahrt. Neben Flicken mit altem Glas finden sich
wiederum besonders an den hellen Gläsern der Rahmung
Überglasungen. Bei dunklen Farbgläsern ist die rückseitige
Verwitterung wie üblich weit fortgeschritten; Transparenzein-
bußen gegenüber den beständigeren weißen Teilen sind somit
nochmals zum Nachteil der Gesamterscheinung verschoben.
Schwarzlotabrieb begegnet indessen vorwiegend auf klaren
weißen Gläsern (vgl. Profilfigur im Vordergrund von ioc)202.
Ikonographie, Komposition: (Io 8,46-5920’bzw. Io 10,22-39). Eine
besonders begründete, anhaltende Vorliebe für die im Spätmit-
telalter nur sehr vereinzelt in Szene gesetzte Begebenheit muß
gerade in Ulm vorausgesetzt werden, denn das Thema erschien
dort um 1480 gleich zwei weitere Male: 1. im Ratsfenster (Abb.
14), und 2. im Zyklus der sogenannten Erbacher Rundschei-
ben (heute Berlin, KGM), die mit einiger Sicherheit aus dem
Ratssaal des Ulmer Rathauses stammen (Taf. XXIIId).
Als maßgebliches Vorbild der vorliegenden Fassung kommt
zuallererst das gleichnamige Wandgemälde im Kreuzgang des
Prager Emausklosters in Betracht (Textabb. 18)204. Eine engere
Übereinstimmung mit der Gruppe der Steiniger links und ins-
besondere der vordersten Profilfigur des »Chorführers« mit
der weit ausholenden Geste läßt sich kaum denken.
Der umlaufende Medaillonreif wird im Gegensatz zur unteren
Fensterhälfte nurmehr von Engeln bevölkert und steht in die-
ser Hinsicht noch dem Kompositionsprinzip der sogenannten
Astaler-Werkstatt nahe; vgl. hierzu bereits S. 2 8f.
Farbigkeit: Christus trägt wie überall im Fenster einen mittel-
blauen, gelb gefütterten Mantel mit gelber Agraffe, hier aller-
dings über rosavioletter Tunika; Nimbus rot mit gelbem Kreuz
und Rahmen; in seinem Gefolge drei Apostel: Petrus mit ro-
tem Mantel, gelber Mantelschließe und hellbraunem Buch;
Nimbus grün mit weißem Rand. Johannes in geknöpftem pur-
purvioletten Rock unter grünem Mantel mit weißem Futter;
Nimbus rot mit gelbem Rand. Im Bogensegment 10a Apostel
in Rot mit gelb/weißem Buch; Nimbus rosaviolett mit weißem
Rand; Inkarnate (komplett erneuert) hellbraun. Die Schar der
Steiniger (9/ioc): im Vordergrund Profilfigur in weiß/grau-
violett geteilter Schecke und weiß/dunkelblau geteilten Bein-
lingen, weißem Kopf und weißen Händen. Hinten links ein
zweiter in rotviolettem Rock, gelbem Gürtel und grün/rot ge-
teilten Beinlingen; rechts ein dritter in grünem Rock, gelbem
Gürtel und weiß/rot geteilten Beinlingen; Inkarnate und Stei-
ne der beiden hellbraun. Im Bogensegment rod erneuerter
Scherge in rot/blauviolett geteiltem Lendner und weißen Bein-
lingen, Kopf und Hände blaßbraun und weiß. Pflanzenboden
in diversen Grüntönen. Über dem Geschehen ein wäßrig hell-
blauer Wolkenkranz mit roten Feuerzungen; darin zwei grün
gekleidete Engel mit weißen Inkarnaten vor purpurviolettem
Grund. Im Kreis dunkelblauer Würfelgrund.
Medaillonrahmen identisch mit 4—6 a—d; im äußeren Reif um-
laufend angeordneter Engelreigen (Inkarnate durchgehend
weiß): 9b: Engel in blauer Albe mit weißen Flügeln; 9a: Engel
in Grün mit blauen Flügeln; 10a: Engel in Rotviolett bzw.
Blauviolett mit grünen Flügeln; na: Engel in Moosgrün mit
weißen Flügeln; 11b: Engel in Purpurviolett, Flügel blauame-
thyst; nc: Engel in Blauamethyst mit grünen Flügeln; iid:
Engel in Grün mit purpurvioletten Flügeln; rod: Engel in
Purpurviolett bzw. Blau mit grünen Flügeln; 9b: Engel in
Grün mit violetten Flügeln; 9c: Engel in Purpurviolett mit
weißen Flügeln.
Diamantrhombenteppich wie überall im Fenster hell-/dunkel-
blau geviertelt mit gelben Kernrauten. In den Zwickeln Pro-
phetenbüsten vor grünem Rankengrund in weiß gerahmten
Paßbogenmedaillons; ii/m: Prophet in rotem Umhang, Är-
mel mittelblau, über der Schulter gelbe Agraffe; ii/i2d: Pro-
phet mit roten Ärmeln und blauviolettem Überwurf; Inkarnate
hell- bis mittelbraun.
Technik, Stil: Physiognomische Merkmale, etwa die vollen wul-
stigen Lippen der vorderen Profilfigur, weisen zurück auf den
Typenschatz der älteren Chorfensterwerkstatt (vgl. Abb. 100,
166).
LBW 41939-41950; CVMA G 8524-8529
i2-i4a-d AUFERWECKUNG DES LAZARUS
Fig. 23, Farbtaf. IX, Abb. 159, 165, 170
H./B.: 12a: 92,5/54, b: 92,5/53,5, c: 92,5/54, d: 92/55; 13a:
92>$/54, b: 92,5/54, c: 92,5/5 5, d: 93/5 5,5 cm.
Im Brustbereich des Lazarus (13 c) flüchtig eingeritzt eine
schlecht leserliche Glaserinschrift: (Georg) lr(...) 1892 (oder
1852). Der von Derix ausgetauschte Kopf des unteren Engels
in 13 d ist bezeichnet: 19)0.
Erhaltung: Der oberhalb der dreizehnten Zeile und somit be-
reits im geometrischen Maßwerkabschluß angesiedelte Kreis-
abschnitt des Medaillons war — wie der Rest des
Couronnements — im Krieg nicht ausgeglast worden und fiel
im Herbst 1944 einem Bombentreffer zum Opfer; große Teile
davon waren jedoch schon von Zettler erneuert worden (vgl.
Taf. XVd). Von den verbleibenden acht Rechteckfeldern sind
zwei (i2d und 13 a) vollständig und vier zu überwiegenden
Teilen von Zettler ersetzt worden. Nur die beiden zentralen
figürlichen Scheiben besitzen noch großteils alte Substanz; das
Feld mit Lazarus, Martha, Magdalena und den Juden beinahe
zu 100%. Anhaltspunkte zum Zustand vor 1869 geben die
beschriftete Skizze des gesamten obersten Medaillons und ein
Blatt des Feldes 13 d von Friedrich Dirr (Taf. XIV)205.
Neben den flächendeckenden Eingriffen Zettlers, der wie üb-
lich alle Kellnerschen Reparaturen eliminiert hat, und verein-
zelten Flickstücken aus altem Glas, findet sich eine bemerkens-
werte Ergänzung des 15. Jh., die von Wortmann, der Werk-
statt der Bessererscheiben zugeschrieben wurde (Taf. XVIIa)
206: Der weibliche Kopf im Gefolge Christi entspricht im tech-
nischen Aufwand der aus dem Halbton radierten Gesichts-
202 Von den Kartonvorlagen, die Friedrich Dirr 1870 im Zuge der Kell-
nerschen Restaurierung angefertigt hatte und die im Hinblick auf die
Sorgfalt der Durchzeichnung wie durch schriftliche Zusätze eine Vor-
stellung der damals noch intakten Teile vermitteln, werden noch drei
(für die Felder 9a—c) im Ulmer Münsterarchiv aufbewahrt.
203 Evangelium am fünften Sonntag in der Fastenzeit (Passionssonntag).
2(14 Vgl. Neuwirth, 1889, Taf. XXII, und Burger, 1913, S. 158, Taf.
XVI.
205 Ulm, StA, F3 Ans. 591/2.
206 Reinhard Wortmann, Neues über die älteren Chorfenster des
Münsters - Ausbesserungen von Hans Acker?, in: Schwäbische Zeitung
Nr. 266, 16. November 1974.