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Bömer, Aloys [Editor]; Degering, Hermann [Honoree]
Mittelalterliche Handschriften: palaeographische, kunsthistorische, literarische und bibliotheksgeschichtliche Untersuchungen ; Festgabe zum 60. Geburtstage von Hermann Degering ; mit 1 Farbentaf. und 16 Taf. in Lichtdr. — Leipzig, 1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.44802#0057

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ALOYS BÖMER

in krampfhaften Verrenkungen. In M I—III nur Maria und Johannes unter dem
Kreuz, Maria links und Johannes rechts (allerdings mit der kleinen Variante, daß
in M II vor Maria noch ein kleiner betender Geistlicher kniet). Bei uns dagegen zur
Linken Johannes und Maria mit den andern Frauen zu einer Gruppe vereinigt und
im Hintergrund sie überragend noch ein Hoherpriester, der mit dem Zeigefinger
höhnisch auf die Stirn klopft und auf das Spruchband „Vere filius dei erat ille!“
hinweist, das ein zweiter Hoherpriester aus der zur Rechten stehenden Gruppe hoch
hält. Und was die Ausführung im einzelnen angeht, inM I—III die Gesichter nur wenig
durchgearbeitet, bei uns dagegen eine ganze Anzahl vortrefflich charakterisierter
Köpfe. Aber bei alledem doch in unserer Darstellung des Christuskörpers eine
offensichtliche Verwandtschaft mit M I—III und ebenso unverkennbar auch ein
Anklang in der Ornamentik. Wir brauchen nur auf den allen vier Stücken gemein-
samen Rahmen zu blicken: eine breite, durch kleine goldene (entweder mit einer
Rosette [M I und unser Stück] oder einem anderen Muster [M II, III] gezierte)
Quadrate in den vier Ecken und der Mitte jeder Seite in abwechselnd blau und
purpurrot gefärbte und weißgemusterte Abschnitte geteilte Leiste. In der Behand-
lung des Hintergrundes ist unser Bild an der Seite von M II und III über MI
hinausgegangen, indem es anstelle des archaistischen Goldgrundes, an welchem dieses
noch festgehalten, ein dreifarbiges Schachbrettmuster in Gold, Blau und Purpur mit
weißer Erhöhung verwendet hat. Wobei aber wieder nicht unbeachtet bleiben
darf, daß bei uns die Gesamtwirkung durch eine Verkleinerung des einzelnen Feldes
M II und III gegenüber nicht unwesentlich verfeinert ist. Durchweg überlegen er-
weist sich unser Missale endlich auch in der Ausführung der Initialbildchen. Man
vergleiche nur einmal bei der David-Darstellung den Kopf des Königs mit der von
MI. Und doch ist selbst hier an einer Verwandtschaft nicht zu zweifeln, wenn sie auch
nicht so deutlich zutage tritt, wie bei den zum Schluß noch kurz zu erwähnenden
Randverzierungen, bei denen wir in M I—III regelrechte, wenn auch primitivere
Formen unsers B-Typs vor uns haben (vgl. PL 188; Fig. 11. 67).
Ich glaube, daß es angesichts der vielfältigen von uns erkannten Übereinstim-
mungen des bildnerischen Schmuckes unseres Missale mit dem der von Byvanck
und Hoogewerff nachgewiesenen Arbeiten des Utrechter Karthäuserklosters nicht
zu gewagt erscheinen wird, auch die Entstehung des münsterischen Stückes dort-
hin zu verlegen. Wer den Utrechter Ursprung auch durch die Liturgie bezeugt wissen
will, sei daran erinnert, daß der übliche Kalender, aus dem wir die für Utrecht
charakteristischen Heiligen bequem hätten heraussuchen können, dem Bande leider
fehlt. Es muß ihm genügen, daß im Buche selbst neben dem Namensfest von St. Mar-
tinus, dem Patron des Utrechter Doms, auch seine Translatio gefeiert wird, daß dem
hl. Lebuinus und dem hl. Lambertus besondere Andachten gewidmet sind, und daß
an der Seite des hl. Remigius auch der hl. Bavo angerufen wird. Zeitlich möchte ich
die Entstehung des Werkes, das ohne Zweifel als eine der künstlerisch vollendetsten
Leistungen des Utrechter „Ateliers“ angesprochen werden darf, auch in die Jahre
um 1435 verlegen, denen B. u. H. das Cambridger Gezeitenbuch zugeschrieben haben.
 
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