PALÄOGRAPHISCHES ZUM KANON DES EUSEBIUS
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Zeichen auch in den verlorenen Partien von S das Schriftbild durchweg beherrscht
hat, verbürgt die genaue Abschrift aus karolingischer Zeit, die wir in der Hand-
schrift N1) besitzen. Hier sind die virgulae, deren Sinn als Trennungszeichen zwi-
schen den einzelnen Notizen der Schreiber offenbar sehr wohl begriffen hat, aller-
dings zumeist ohne jeden Formzusammenhang mit dem antiken jrapd/pagDog-Zeichen
als Querstriche, welche die ganze Breite des Schriftkörpers einnehmen, gestaltet.
S = N erweist sich in dieser, wie in anderen Formfragen2), als getreue Nachbildung
des hieronymianischen Originals und damit auch als dem eusebianischen griechischen
Kanon näherstehend, gegenüber der etwa gleich alten, bis auf eine Verstümmelung
am Anfang vollständig erhaltenen Handschrift O3), welche der letzte Herausgeber
des Kanons, J. K. Fotheringham, seiner Edition4) zugrunde gelegt hat.
Für eine abschließende kritische Ausgabe gewinnt aber vielmehr die Handschrift
N, ein Meisterstück der Turoneser Schreibschule des 9. Jahrh., praktisch, angesichts
der trümmerhaften Erhaltung von S, die allergrößte Bedeutung.
In O sind die virgulae — von wenigen Ausnahmen, wo eine ähnliche Form wie
in S gewahrt ist, abgesehen — entweder ■willkürlich nach dem Schreibgebrauch
der eigenen Zeit umgestaltet zu hakenförmigen Gebilden, wie sie die Periode der
lateinischen Unziale insbesondere für diakritische Zeichen liebte, oder sie sind auf
weite Strecken hin, namentlich im ersten Teil des Kanons, einfach fortgelassen.
Die Mitte sozusagen zwischen S und O nimmt die etwas jüngere Handschrift A
des 7. Jahrh.5) ein. Nicht Eigenwilligkeit, wie den Schreiber von O, wohl aber
Nachlässigkeit unterscheidet diesen Schreiber von dem sorgfältigeren, der S schrieb.
Je weiter herab man im Kanon kommt, desto mehr erlahmt sein Eifer in der
Setzung der virgulae, die bei ihm jedoch wie in S durchweg xtzpcr/ptt^og-ähnliche
Gestalt haben. Zu Anfang dagegen setzt er das Zeichen, wenn auch nicht regel-
mäßig, so doch häufig.
A ist die einzige der alten Unzialhandschriften, welche vollständig, einschließlich
der beiden Vorreden des Hieronymus und Eusebius, erhalten ist, und man kann
nun feststellen, daß, wie der Kanon selbst, so auch die vorangeschickte (übersetzte)
Vo rrede des Eusebius virgulae aufweist, während sie in der zweiten, von
dem Bearbeiter Hieronymus verfaßten und hinzugefügten Vorrede fehlen.
Damit ist einmal der bündige Beweis geliefert, daß es sich bei den virgulae in der
Tat um aus dem Griechischen entlehnte jra^ä'/^acpoi handelt: sie fehlen in der
1) Cod. Berolin. Phillipps. 1872 saec. IX aus Tours, Faksim. im Anhang meines genannten Buches Tafel I, 2.
*) Vgl. darüber 1. c. S. 29ff.
3) Faksimileausgabe von Fotheringham The Bodleian manuscript of Jeromes Version of the chronicle
of Eusebius (Oxford 1905).
4) Eusebii Pamphili Chronici Canones latine vertit, adauxit, ad sua tempora produxit S. Eusebius Hierony-
mus. Ed. Johannes K. Fotheringham, Londinii 1923.
5) Aus St. Amand stammend, jetzt in Valenciennes (Cod. 495), wo während des Krieges eine Schwarzweiß-
Photographie für die Berliner Staatsbibliothek hergestellt wurde (Ms. simul. 19). Daraus die hier beigegebene
Faksimiletafel (Taf. 5), sowie zwei andere in meinem Buch Anhang Tafel I, 3 und II, 3.
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Zeichen auch in den verlorenen Partien von S das Schriftbild durchweg beherrscht
hat, verbürgt die genaue Abschrift aus karolingischer Zeit, die wir in der Hand-
schrift N1) besitzen. Hier sind die virgulae, deren Sinn als Trennungszeichen zwi-
schen den einzelnen Notizen der Schreiber offenbar sehr wohl begriffen hat, aller-
dings zumeist ohne jeden Formzusammenhang mit dem antiken jrapd/pagDog-Zeichen
als Querstriche, welche die ganze Breite des Schriftkörpers einnehmen, gestaltet.
S = N erweist sich in dieser, wie in anderen Formfragen2), als getreue Nachbildung
des hieronymianischen Originals und damit auch als dem eusebianischen griechischen
Kanon näherstehend, gegenüber der etwa gleich alten, bis auf eine Verstümmelung
am Anfang vollständig erhaltenen Handschrift O3), welche der letzte Herausgeber
des Kanons, J. K. Fotheringham, seiner Edition4) zugrunde gelegt hat.
Für eine abschließende kritische Ausgabe gewinnt aber vielmehr die Handschrift
N, ein Meisterstück der Turoneser Schreibschule des 9. Jahrh., praktisch, angesichts
der trümmerhaften Erhaltung von S, die allergrößte Bedeutung.
In O sind die virgulae — von wenigen Ausnahmen, wo eine ähnliche Form wie
in S gewahrt ist, abgesehen — entweder ■willkürlich nach dem Schreibgebrauch
der eigenen Zeit umgestaltet zu hakenförmigen Gebilden, wie sie die Periode der
lateinischen Unziale insbesondere für diakritische Zeichen liebte, oder sie sind auf
weite Strecken hin, namentlich im ersten Teil des Kanons, einfach fortgelassen.
Die Mitte sozusagen zwischen S und O nimmt die etwas jüngere Handschrift A
des 7. Jahrh.5) ein. Nicht Eigenwilligkeit, wie den Schreiber von O, wohl aber
Nachlässigkeit unterscheidet diesen Schreiber von dem sorgfältigeren, der S schrieb.
Je weiter herab man im Kanon kommt, desto mehr erlahmt sein Eifer in der
Setzung der virgulae, die bei ihm jedoch wie in S durchweg xtzpcr/ptt^og-ähnliche
Gestalt haben. Zu Anfang dagegen setzt er das Zeichen, wenn auch nicht regel-
mäßig, so doch häufig.
A ist die einzige der alten Unzialhandschriften, welche vollständig, einschließlich
der beiden Vorreden des Hieronymus und Eusebius, erhalten ist, und man kann
nun feststellen, daß, wie der Kanon selbst, so auch die vorangeschickte (übersetzte)
Vo rrede des Eusebius virgulae aufweist, während sie in der zweiten, von
dem Bearbeiter Hieronymus verfaßten und hinzugefügten Vorrede fehlen.
Damit ist einmal der bündige Beweis geliefert, daß es sich bei den virgulae in der
Tat um aus dem Griechischen entlehnte jra^ä'/^acpoi handelt: sie fehlen in der
1) Cod. Berolin. Phillipps. 1872 saec. IX aus Tours, Faksim. im Anhang meines genannten Buches Tafel I, 2.
*) Vgl. darüber 1. c. S. 29ff.
3) Faksimileausgabe von Fotheringham The Bodleian manuscript of Jeromes Version of the chronicle
of Eusebius (Oxford 1905).
4) Eusebii Pamphili Chronici Canones latine vertit, adauxit, ad sua tempora produxit S. Eusebius Hierony-
mus. Ed. Johannes K. Fotheringham, Londinii 1923.
5) Aus St. Amand stammend, jetzt in Valenciennes (Cod. 495), wo während des Krieges eine Schwarzweiß-
Photographie für die Berliner Staatsbibliothek hergestellt wurde (Ms. simul. 19). Daraus die hier beigegebene
Faksimiletafel (Taf. 5), sowie zwei andere in meinem Buch Anhang Tafel I, 3 und II, 3.