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KARL CHRIST
kaner von Quaracchi für ihren Ordensheiligen Bonaventura mit guten Gründen in
Anspruch genommen1). Der Palmbaum setzt die von einem Unbekannten erweiterte
Fassung der Vitis mystica voraus, die wohl kaum vor des Heiligen Tode (1274)
entstanden ist. Damit ergibt sich als wahrscheinliche Zeitgrenze der Palma das
letzte Viertel des 13. Jhs.; noch gegen Ende dieses Jahrhunderts setzt die hand-
schriftliche Überlieferung ein, die lateinische wie die volkssprachliche.
Ebensowenig wie den Verfasser kennen wir die unmittelbare theologische Quelle
der Allegorie. Nur hinsichtlich des Schemas ergeben sich allgemeine Vergleichs-
punkte mit der verwandten Literatur. Auch in dem Palmbaum führt der Weg der
Seele zu Gott über die von der griechischen Mystik übernommene, in der christ-
lichen weitergebildete Trias des mystisch-asketischen Aufstiegs der Reinigung,
Erleuchtung, Einigung, der Via purgativa, illuminativa, unitiva2). Innerhalb dieses
auch von dem hl. Bernhard3) und von Bonaventura angenommenen Schemas sind
die einzelnen Stufen des mystischen Weges sehr verschieden. Es ergibt sich für den
Palmbaum mit seinen sieben Zweigen keine engere Verwandtschaft zu ähnlichen
Darstellungen des Weges der Beschauung oder, was gleichbedeutend ist, des inneren
beschauenden Gebetes, auch wenn die Wanderung mit der beliebten heiligen Sieben-
zahl gemessen wird4).
Der deutsche Text ist den Germanisten längst bekannt. Nachdem neuerdings
WaltherDolch5) auf die niederländischen F assungen hingewiesen und auch die wich-
tigste der lateinischen, den Codex Amplonianus, herangezogen, hat Philipp Strauch
sich gründlich und vielseitig mit der Palma contemplationis befaßt6). Er hat die
Stellung der Palmbaumallegorie in der geistlichen Literatur des Mittelalters ge-
würdigt, ihre Reflexe in der christlichen Kunst beachtet, die weite Verbreitung auf
dem deutschen Sprachgebiet verfolgt, die lateinische Überlieferung, die wahr-
scheinliche Quelle der volkssprachlichen, untersucht und nach den beiden ältesten
Handschriften, der Erfurter und der Bamberger, veröffentlicht. Strauch hat sieben
Handschriften der lateinischen Fassung und nicht weniger als 59 der deutschen
und niederländischen nachgewiesen.
Q Bonaventura, Opera omnia T. VIII, Ad claras aquas 1898, S. LXIII.
2) Vgl. J. Zahn, Einführung in die christliche Mystik, 3.-5. Aufl. Paderborn 1922, S. 136.
3) Vgl. R. Linhardt, Die Mystik des hl. Bernhard von Clairvaux, München 1923, S. 177.
4) So bereits Augustin, De quantitate animae, cap. 33 (Migne 32, 1073). Mehrfach bei dem hl. Bernhard s.
Linhardt a. a. O., S. 179. Aus der lateinischen Literatur nenne ich noch Bonaventuras Incendium amoris s. de
triplici via, cap. 3, die unter seinem Namen gehenden Traktate De septem gradibus contemplationis und De
septem itineribus aeternitatis (Verf. Rodulfus de Bibraco), vgl. Bonaventurae opera, Quaracchi T. VIII (1898),
S. CXI, CXIV; aus der deutschen Mystik die Sieben Staffeln des Gebetes (Deutsche Mystiker, hrsg. von
F. Pfeiffer, Bd. 1, Leipzig 1845, S. 387), des Mönchs von Heilsbronn Buch der sieben Grade, Meister Eckharts
Spruch von den sieben Graden des schauenden Lebens (Pfeiffer, Bd. 2, S. 618). Ein späteres Beispiel ist die
Seelenburg der hl. Teresa.
°) Die Verbreitung oberländischer Mystikerwerke im Niederländischen. T. 1, Weida i. Th. 1909, Leipziger
Philos. Dissertation, S. 33.
6) Palma contemplationis, in den Beiträgen zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur Bd. 48,
1924, S. 335.
KARL CHRIST
kaner von Quaracchi für ihren Ordensheiligen Bonaventura mit guten Gründen in
Anspruch genommen1). Der Palmbaum setzt die von einem Unbekannten erweiterte
Fassung der Vitis mystica voraus, die wohl kaum vor des Heiligen Tode (1274)
entstanden ist. Damit ergibt sich als wahrscheinliche Zeitgrenze der Palma das
letzte Viertel des 13. Jhs.; noch gegen Ende dieses Jahrhunderts setzt die hand-
schriftliche Überlieferung ein, die lateinische wie die volkssprachliche.
Ebensowenig wie den Verfasser kennen wir die unmittelbare theologische Quelle
der Allegorie. Nur hinsichtlich des Schemas ergeben sich allgemeine Vergleichs-
punkte mit der verwandten Literatur. Auch in dem Palmbaum führt der Weg der
Seele zu Gott über die von der griechischen Mystik übernommene, in der christ-
lichen weitergebildete Trias des mystisch-asketischen Aufstiegs der Reinigung,
Erleuchtung, Einigung, der Via purgativa, illuminativa, unitiva2). Innerhalb dieses
auch von dem hl. Bernhard3) und von Bonaventura angenommenen Schemas sind
die einzelnen Stufen des mystischen Weges sehr verschieden. Es ergibt sich für den
Palmbaum mit seinen sieben Zweigen keine engere Verwandtschaft zu ähnlichen
Darstellungen des Weges der Beschauung oder, was gleichbedeutend ist, des inneren
beschauenden Gebetes, auch wenn die Wanderung mit der beliebten heiligen Sieben-
zahl gemessen wird4).
Der deutsche Text ist den Germanisten längst bekannt. Nachdem neuerdings
WaltherDolch5) auf die niederländischen F assungen hingewiesen und auch die wich-
tigste der lateinischen, den Codex Amplonianus, herangezogen, hat Philipp Strauch
sich gründlich und vielseitig mit der Palma contemplationis befaßt6). Er hat die
Stellung der Palmbaumallegorie in der geistlichen Literatur des Mittelalters ge-
würdigt, ihre Reflexe in der christlichen Kunst beachtet, die weite Verbreitung auf
dem deutschen Sprachgebiet verfolgt, die lateinische Überlieferung, die wahr-
scheinliche Quelle der volkssprachlichen, untersucht und nach den beiden ältesten
Handschriften, der Erfurter und der Bamberger, veröffentlicht. Strauch hat sieben
Handschriften der lateinischen Fassung und nicht weniger als 59 der deutschen
und niederländischen nachgewiesen.
Q Bonaventura, Opera omnia T. VIII, Ad claras aquas 1898, S. LXIII.
2) Vgl. J. Zahn, Einführung in die christliche Mystik, 3.-5. Aufl. Paderborn 1922, S. 136.
3) Vgl. R. Linhardt, Die Mystik des hl. Bernhard von Clairvaux, München 1923, S. 177.
4) So bereits Augustin, De quantitate animae, cap. 33 (Migne 32, 1073). Mehrfach bei dem hl. Bernhard s.
Linhardt a. a. O., S. 179. Aus der lateinischen Literatur nenne ich noch Bonaventuras Incendium amoris s. de
triplici via, cap. 3, die unter seinem Namen gehenden Traktate De septem gradibus contemplationis und De
septem itineribus aeternitatis (Verf. Rodulfus de Bibraco), vgl. Bonaventurae opera, Quaracchi T. VIII (1898),
S. CXI, CXIV; aus der deutschen Mystik die Sieben Staffeln des Gebetes (Deutsche Mystiker, hrsg. von
F. Pfeiffer, Bd. 1, Leipzig 1845, S. 387), des Mönchs von Heilsbronn Buch der sieben Grade, Meister Eckharts
Spruch von den sieben Graden des schauenden Lebens (Pfeiffer, Bd. 2, S. 618). Ein späteres Beispiel ist die
Seelenburg der hl. Teresa.
°) Die Verbreitung oberländischer Mystikerwerke im Niederländischen. T. 1, Weida i. Th. 1909, Leipziger
Philos. Dissertation, S. 33.
6) Palma contemplationis, in den Beiträgen zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur Bd. 48,
1924, S. 335.