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Beilage zum Diözesan-Archiv von Schwaben — 1891

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https://doi.org/10.11588/diglit.20709#0020
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dem Todbett, sondern sie hat diesen Weg schon in früher
Jngend gefunden und betreten und ist ans ihm gewandelt bis
zu ihrem Tod, ihr Leben war nicht Verirrung und nicht Lüge
und Täuschung, nicht hysterische Ohnmacht des Willens, welche
die Leidenschaft nicht zügelt, sondern ein wahrhaftig von Gott
kommender außerordentlicher Berns, den sie verdienstlich machte
durch Selbstverleugnung und Krenzesnachfolge, durch Uebnng
der heroischen Tugenden. Darum war ihr Leben heilig und
selig ihr Tod. In ihrem Leben .wollte sie keine Heilige, son-
dern eine arme Sünderin sein, und in ihrem Sterben wollte
sie nicht offenbar werden lassen, daß sie eine Heilige in ihrem
Leben gewesen sei, auch im Sterben wollte sie nichts anderes
sein als eine arme Sünderin. Im Leben und im Sterben
ging sie den Weg zum Frieden, nicht zum Geigerschen Frieden,
der nur ein Frieden des Todes ist, ein leerer Frieden, ein
freudeloser Frieden, ein unbelohnter Frieden, ein seelenloser
Frieden, ein unverklärter Frieden, sondern sie ging den Weg
zum ewigen Frieden, der, in der Anschauung Gottes, im Besitz
Gottes im Himmel, in der ewigen Seligkeit besteht.

Damit verlassen wir die hysterische Nonne und wenden
unsere .Aufmerksamkeit einer anderen Persönlichkeit zu, die
wie die gute Betha bei dem Geigerschen Ausflug in eigener
Chaise fährt.. Diese Persönlichkeit ist

der hinkende Teufel.

Geiger sagt: Wir lassen uns ans die Frage des Tenfelö-
glanbcns nicht näher ei». Wir haben in diesem Punkte unsere
eigene Ansicht. Welche eigene Ansicht über den Tcnfels-
glauben Geiger hat, das sagt er nicht in bestimmten, klaren
Worten, sondern deutet sie in einer Berufung ans Nippolds
treffliche Schrift (Die gegenwärtige Wiederbelebung des Hexen-
glaubens. Berlin 1875) an mit den Worten: die Wieder-
holung des Teufels- und Hexenglaubcns hat seit Nippolds
Schrift in den letzten 12 Jahren weitere Fortschritte gemacht.
Wir müssen hier bedauern, daß trotz der Nippoldschen Schrift
in diesen langen Jahren der Teufels- und Hexenglaube weitere
Fortschritte gemacht hat. Daran kann die Nippoldsche Aufklärung
sicher keine Schuld tragen. Geiger beruft sich darum auf
eine nicht ganz unzeitgemäße Schrift von Georg Läugin: Der
Wunder- und Dämonenglaube der Gegenwart im Zusammen-
hang mit Religion und Christentum. (Ein Beitrag zur Cha-
rakteristik der herrschenden Strömungen in der römischen und
protestantischen Kirche. Leipzig, Otto Wigand. 1887.) Leider
macht uns Geiger weder mit den Strömungen in der katho-
lischen noch der protestantischen Kirche bezüglich des Wnnder-
nnd des Dämonenglaubeus bekannt. Er sieht vielmehr von
den katholischen Strömungen ab unb betont die Erscheinungen
auf protestantischer Seite und sagt hierüber: Vielleicht dürste
cs auch manchen Erscheinungen auf protestantischer
Seite gegenüber am Platze sein, an das ernste Wort eiilcs
Irrenarztes über die Lehre vom Teufel zu erinnern. (Jdeler,
Versuch einer Theorie des religiösen Wahnsinns. I. Halle 1848.
S. 19 f.) „Wer dieselbe in der Muse des Studierzimmers
bearbeitet, findet an ihr eine vortreffliche Gelegenheit, seine
Gelehrsamkeit, seine orthodoxe oder rationalistische Dcnkweise,
seinen dialektischen Scharfsinn glänzen zu lassen, unbekümmert
um die praktischen Folgen, welche sich ans dem Geltendmachen
seiner Ansichten ergeben werden. Denn wer berechnet wohl
je die Wirkung, welche eine wissenschaftliche Lehre im Leben
hervorbringen wird, wenn er an sie sein ganzes Denken ge-
setzt und sich daher mit der tiefsten Ueberzengnng von ihrer
Wahrheit durchdrungen hat? Sehen wir uns nun in der
Weltgeschichte nach der praktischen Bedeutung der Teufelslehre

um, so erblicken wir eine Reihe von Jahrhunderten hindurch
in allen Ländern Europas flammende Scheiterhaufen, auf denen
zahllose Opfer einer infernalischen Justiz die endliche Be-
freiung ans den Folterkammern der Inquisition fanden; wir
erkennen, daß die Hexenprozesse ein wahres PandämonimN
eröfsneten, ans welchem religiöse Verfolgnngswut, Vernichtung
aller Rechte, Zerrüttung unzähliger Familien, ja ganzer
Länder, alle Greuel des finsteren Aberglaubens wie Furien
der Hölle auf das Menschengeschlecht einstürmten. Noch
heute quälen sich unzählige Gemüter, welche
jenem Wahne zum Raube wurden, in finsterer
Verzweiflung zu Tode, und wer täglicher Augen-
zeuge ihrer namenlosen Leiden ist, hat ein voll'
gültiges Recht/ ja die Verpflichtung, den Dog-
m a t i k e r n, welche für die E x i st e n z des T e n f e l s
eifern, die Frage vorznlegen, ob sie auch be-
dachten, was sie thnn, ob sie je ihre Lehre nach
den Früchten geprüft haben. Wie ist es möglich,
wenn man mit dem Dämonenglanben nicht ein müßiges Sp^
spekulativer Wortgefechte führt, sondern ihn in eine praktische
Lehre verwandelt, auch nur einen Augenblick den Frieden des
Herzens zu bewahren, in welchem sich oft genug tadelnswerte
Neigungen durchkreuzen, durch welche man alsdann den Ein-
gebungen Satans ansgesetzt zu sein fürchten muß? Dia"
soll den Teufel nicht an die Wand malen, sagt ein ehrliches
Sprichwort, wolches seinen Sinn darin hat, daß seine bestän-
dige Vergegenwärtigung ihm leicht einen ebenso verderblichen
als heimlichen Einfluß auf das Gemüt einränmt." Diese"
herrlichen Erguß Jdelers unterschreibt Geiger blindlings. Da
müssen nur mit Göthe in seinem Faust sagen:

„Den Teufet merkt das Völkchen nie,

Und wenn er cs am Kragen hätte."

Der Teufel ist jetzt sehr in Mißkredit geraten. Es gilt
für eine Schwachheit, die nicht zum guten Ton gehört, wenn »w
noch an ihn glaubt. Er ist ein Wicht, der kaum der Lege»
würdig ist, in die er nur vermittelst gewisser Verkleidung^
eingeschmuggelt wird. Fast erscheint cs lächerlich, ihn Jf1
zu nennen; wie sollte man also an seine Existenz, an le■ „
Eingreifen in die Dinge dieser Welt glauben? ' Welches I
der langen Rede Jdelers kurzer Sinn? der: es giebt «e«"
Teufel, und die Lehre vom Teufel ist verwerflich, weil sie ,
schrecklichsten Folgen herbeiführt. Woher kommt denn "
ihm die Lehre vom Teufel? Sie ist kein Glaubenssatz,
göttliche Offenbarung, sie ist vielmehr eine in der Muse•
Studierzimmers mit Gelehrsamkeit und Scharfsinn ausgesuy
Arbeit, eine wissenschaftliche Lehre, die nicht auf dem Gla" ^.
sondern auf der durch das ganze Denken gewonnenen U
zeugnng beruht. Die praktische Bedeutung der Teufels ^
sieht Jdeler in zwei Thatsachen, nämlich in den Greuel« ^
Hexenprozesse und in dem religiösen Wahnsinn, i" tltg '
die Teufels furcht unzählige Gemüter in finsterer Verzwell .
zu Tode quält. Wir finden den Grund der erstereu ' V
sache nicht in der kirchliche«« Lehre vorn Te««fel, so"de ^
dem weitverbreiteten epidemisch gewordenen Aberglaube! ^
in der allgemeinen Entartung des Gerichtsverfahren , .

letztere Thatsache aber, bei der wir auf die Uebcrt«e> ^
„unzählige G e m ü t e r" aufmerksam machen, erkla«
uns ans Störunge«! des leiblichen Organismus,
teuflische Wahnvorstellungen psychisch anknüpfen
(Fortsetzung folgt.)


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Stuttgart, Buchdruckerei der Aktiengesellschaft „Deutsches Volksblatt'
 
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