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Uebergang zur christlichen Anschauungsweise bildet. In den
zu dieser Lünetle gehörenden Zwickeln stürzt die Philosophie
des Plato und Aristoteles die Griechischen Götterbilder.
Es bleiben uns nur noch die vier grossen, unter den Lü-
netten an den kürzeren Seiten des Saales, sowie die an den
Wänden zwischen den Fenstern befindlichen Bilder in ihrer
Farbenpracht zu erwähnen übrig. Von jenen sind gegenwärtig
zwei im Entstehen begriffen, nämlich an der Ostseite links unter
dem Orakel zu Delphi der Zug des Apollo auf den Par-
nass, als Darstellung der geistigen Erhebung des Griechen-
thums; ein trefflich componirtes Bild, das uns die ganze Erha-
benheit des Gottes, in dem sich das geistige Element der Grie-
chen verkörpert hat, vorführt; und rechts unter den Eleusini-
schen Mysterien der rauschende Zug des Bacchus auf den
Parnass1) (warum nicht lieber auf den Cithäron?), das Sinn-
bild der in üppiger Fülle ausströmenden Naturkraft, die die
sinnliche Seile des Menschen erfüllt und berauscht. Ueber letz-
teres vermögen wir, da es kaum zur Hälfte vollendet ist, noch
kein Unheil abzugeben, noch weniger über die beiden Gegen-
stücke an der Westseite des Saales, zu denen der Künstler
erst mit Anbruch des Winters die Cartons entwerfen wird. Sie
werden rechts unter dem Prometheus den Beginn des Grie-
chenlebens in der Hochzeit des Peleus und der Thetis,
links unter dem Sokrates das Verlöschen des Griechenthums
in der Hochzeit des Alexander und der Roxane dar-
stellen. Als vollendet dagegen, in doppelter Bedeutung des
Wortes, sind die an den Fensterwänden unter den betreffenden
bunten Friestheilen auf Mosaik-Goldgrund ausgeführten edlen
Gestalten der einzelnen Künste anzusehen, wozu dann noch
über der Thür zum Thurmzimmer Homer mit den drei in
Knabengestalt erscheinenden Stämmen Griechenlands und ihm
Gegenüber die Alles durchdringende und belebende Poesie
kommt. Drei Fensterwände waren auf jeder der beiden langen
Seiten des Saales geboten, es war daher Nichts angemessener,
als auf jede der drei Wände dort eine der bildenden, hier eine
der darstellenden Künste zu bringen. Sie sind sämmtlich in
grossem, vielleicht im Verhältniss zu dem darüber laufenden
Friese etwas zu grossem Maassstabe ausgeführt. Zwischen den
Fenstern der Nordseite die Baukunst als feste, ernste Gestalt
mit der Thurmkrone auf dem Haupte, links die Malerei, rechts
die Skulptur; gegenüber der Baukunst, also unter jenem Eros,
dem Gotte der Harmonie, die Tonkunst mit ihren, sogar völlig
modernen, Instrumenten, daneben links die leichte Tanzkunst
und rechts die Schauspielkunst mit der tragischen und ko-
mischen Maske. Wenn bei den letzteren sechs Gestalten der
Künstler uns an des Dichters acht griechisch gedachte Verse
erinnert:
Das Leben soll sich frisch in Farben regen,
Die Säule soll sich an die Säule reih'n,
Der Marmor schmelzen unter Hammer's Schlägen,
Der leichte Tanz den muntren Reigen schlingen,
Der Strom der Harmonieen dir erklingen,
Die Welt sich dir auf einer Bühne spiegeln,
so hat er damit nichts Anderes als den Gesammteindruck aus-
gesprochen, den die heiteren, lebensvollen Bilder des Saales
auf den mit Griechischem Geiste vertrauten Beschauer machen
müssen.
Möge ein gütiges Geschick dem trefflichen Künstler Kraft
1) Wir glauben unsern verehrten Corresp. daran erinnern zu dürfen,
dass auch der zweigipflige Parnass, in der griech. Mythologie, die tiefsinnige
Bestimmung hat, dem Apollo wie dem Bacchus zum Ziel ihrer Züge zu die-
nen und dass wohl eine besondere Absicht hier die Wahl des Künstlers ge-
leitet haben möge. Beide Bilder sind übrigens im Laufe des Sommers be-
reits vollendet. D. Red.
und Muth erhalten, nicht bloss die beiden fehlenden Bilder die-
ses Saales, deren Gegenstände wir oben erwähnten, in gleicher
Vortrefflichkeit dem bereits Vollendeten hinzuzufügen, möge es
ihm vor allen Dingen durch die Huld des hohen Stifters dieses
so bedeutenden Werkes vergönnt sein, in dem dritten Saale,
dem sogenannten Thurmzimmer, in der schon in seinem ersten
Entwürfe beabsichtigten Weise, die Gedanken der beiden an-
dern Säle wie in einem geistigen Brennpunkt noch einmal zu-
sammenzufassen und so erst seinem Werke die volle geistige
Abrundung und Vollendung zu geben, die den eigensten Vorzug
der neueren deutschen Kunst ausmacht.
Deutschland wird dann um ein Werk reicher sein, welches
sich den bereits bestehenden und anderwärts von unsern gröss-
ten Geistern geschaffenen um so würdiger anreiht, als es durch
die selbständigste Eigenlhümlichkeit der Auffassung am ge-
eignetsten ist, das Bild von dem gegenwärtigen Reichthum un-
seres Vaterlandes an wahrhaft eigenthümlichen Künstlerindivi-
dualitäten zu vervollständigen und auch bei der Nachwelt ein
rühmliches Zeugniss von der deutschen Kunst unserer Tage
abzulegen. H. A. M.
Kunstwerke des Mittelalters in Osnabrück.
Von W. IiiibUe.
I.
Der oft angeführte Satz von dem zähen Festhalten des west-
fälischen Stammes am Althergebrachten gewinnt an Richtigkeit,
je weiter man nach Norden in's Land hineindringt. Hat man,
von Süden kommend, die Lippe überschritten, so mehren sich
die Spuren: abgeschlossen und auf sich selbst ruhend, wie das
vereinzelte Bauerngehöft in seiner Umgebung von alten Eichen,
so ist das ganze Land, so ist die Art des Anbaues, so die Sitte
der Bewohner. Wie der Hof durch seinen Zaun, so sind die
Ländereien unter einander durch mächtige Wallhecken und breite
Gräben abgegränzt, und es spricht sich in diesen Anlagen das
vorwiegende Gefühl für persönliche Selbständigkeit und Unab-
hängigkeit aus. Ungern vereint man sich zum Zusammenwoh-
nen in regelmässigen Dörfern; an ihrer Statt findet der Wan-
derer unzählige Bauerschaften, Gruppen von vereinzelt liegen-
den Gehöften, die unter einem Namen zusammengefasst werden.
Wo man indess Dörfer trifft, da haben diese vermöge ihrer ge-
raden, gepflasterten Strassen, der dichtgedrängten Bauart, der
sauber aus Ziegelsteinen errichteten, roth angestrichenen Häu-
ser mit ihren blanken Fenstern und grünen Laden mehr den
Charakter kleiner Städte.
Der Art der Bebauung entsprechen genau die Communika-
tionsmiltel. Sie bestehen hauptsächlich aus breiten Sandwegen
für Fuhrwerke, an deren Seite stets ein erhöhter, durch Pfähle
abgesonderter Damm für Fussgänger sich hinzieht. Diese Wege
führen von einer Bauerschaft zur andern und sind gleich den
einzelnen Grundstücken mit Gräben und hohen Wallhecken ein-
gefasst, so dass man stets in engstem Horizont eingeschlossen
ist. Eben so eng umgränzt ist der geistige Gesichtskreis der
Bewohner: was ausserhalb ihrer Marken vorgeht, kümmert sie
weniger, aber ihren eigensten Angelegenheiten wenden sie un-
geteilte Aufmerksamkeit zu. Ja, sie mögen von der Aussen-
welt nichts wissen; fremde Personen und fremde Einrichtungen
werden mit gleicher Scheu von fern betrachtet; eine ungewohnte,
fremdartige Kleidung schon macht sie stutzig, und erst dann
thaut ihr Wesen vertrauend auf, wenn sie die Laute des hei-
mischen Dialekts vernehmen oder wenn sie Euch Eure Ehr-
furcht vor den vielen aller Orten angebrachten Kruzifixen und
Heiligenbildern bezeugen sehn. Daher kommt es auch, dass
sie sich vor der Anlage der Chausseen fürchten, weil diese sie
Uebergang zur christlichen Anschauungsweise bildet. In den
zu dieser Lünetle gehörenden Zwickeln stürzt die Philosophie
des Plato und Aristoteles die Griechischen Götterbilder.
Es bleiben uns nur noch die vier grossen, unter den Lü-
netten an den kürzeren Seiten des Saales, sowie die an den
Wänden zwischen den Fenstern befindlichen Bilder in ihrer
Farbenpracht zu erwähnen übrig. Von jenen sind gegenwärtig
zwei im Entstehen begriffen, nämlich an der Ostseite links unter
dem Orakel zu Delphi der Zug des Apollo auf den Par-
nass, als Darstellung der geistigen Erhebung des Griechen-
thums; ein trefflich componirtes Bild, das uns die ganze Erha-
benheit des Gottes, in dem sich das geistige Element der Grie-
chen verkörpert hat, vorführt; und rechts unter den Eleusini-
schen Mysterien der rauschende Zug des Bacchus auf den
Parnass1) (warum nicht lieber auf den Cithäron?), das Sinn-
bild der in üppiger Fülle ausströmenden Naturkraft, die die
sinnliche Seile des Menschen erfüllt und berauscht. Ueber letz-
teres vermögen wir, da es kaum zur Hälfte vollendet ist, noch
kein Unheil abzugeben, noch weniger über die beiden Gegen-
stücke an der Westseite des Saales, zu denen der Künstler
erst mit Anbruch des Winters die Cartons entwerfen wird. Sie
werden rechts unter dem Prometheus den Beginn des Grie-
chenlebens in der Hochzeit des Peleus und der Thetis,
links unter dem Sokrates das Verlöschen des Griechenthums
in der Hochzeit des Alexander und der Roxane dar-
stellen. Als vollendet dagegen, in doppelter Bedeutung des
Wortes, sind die an den Fensterwänden unter den betreffenden
bunten Friestheilen auf Mosaik-Goldgrund ausgeführten edlen
Gestalten der einzelnen Künste anzusehen, wozu dann noch
über der Thür zum Thurmzimmer Homer mit den drei in
Knabengestalt erscheinenden Stämmen Griechenlands und ihm
Gegenüber die Alles durchdringende und belebende Poesie
kommt. Drei Fensterwände waren auf jeder der beiden langen
Seiten des Saales geboten, es war daher Nichts angemessener,
als auf jede der drei Wände dort eine der bildenden, hier eine
der darstellenden Künste zu bringen. Sie sind sämmtlich in
grossem, vielleicht im Verhältniss zu dem darüber laufenden
Friese etwas zu grossem Maassstabe ausgeführt. Zwischen den
Fenstern der Nordseite die Baukunst als feste, ernste Gestalt
mit der Thurmkrone auf dem Haupte, links die Malerei, rechts
die Skulptur; gegenüber der Baukunst, also unter jenem Eros,
dem Gotte der Harmonie, die Tonkunst mit ihren, sogar völlig
modernen, Instrumenten, daneben links die leichte Tanzkunst
und rechts die Schauspielkunst mit der tragischen und ko-
mischen Maske. Wenn bei den letzteren sechs Gestalten der
Künstler uns an des Dichters acht griechisch gedachte Verse
erinnert:
Das Leben soll sich frisch in Farben regen,
Die Säule soll sich an die Säule reih'n,
Der Marmor schmelzen unter Hammer's Schlägen,
Der leichte Tanz den muntren Reigen schlingen,
Der Strom der Harmonieen dir erklingen,
Die Welt sich dir auf einer Bühne spiegeln,
so hat er damit nichts Anderes als den Gesammteindruck aus-
gesprochen, den die heiteren, lebensvollen Bilder des Saales
auf den mit Griechischem Geiste vertrauten Beschauer machen
müssen.
Möge ein gütiges Geschick dem trefflichen Künstler Kraft
1) Wir glauben unsern verehrten Corresp. daran erinnern zu dürfen,
dass auch der zweigipflige Parnass, in der griech. Mythologie, die tiefsinnige
Bestimmung hat, dem Apollo wie dem Bacchus zum Ziel ihrer Züge zu die-
nen und dass wohl eine besondere Absicht hier die Wahl des Künstlers ge-
leitet haben möge. Beide Bilder sind übrigens im Laufe des Sommers be-
reits vollendet. D. Red.
und Muth erhalten, nicht bloss die beiden fehlenden Bilder die-
ses Saales, deren Gegenstände wir oben erwähnten, in gleicher
Vortrefflichkeit dem bereits Vollendeten hinzuzufügen, möge es
ihm vor allen Dingen durch die Huld des hohen Stifters dieses
so bedeutenden Werkes vergönnt sein, in dem dritten Saale,
dem sogenannten Thurmzimmer, in der schon in seinem ersten
Entwürfe beabsichtigten Weise, die Gedanken der beiden an-
dern Säle wie in einem geistigen Brennpunkt noch einmal zu-
sammenzufassen und so erst seinem Werke die volle geistige
Abrundung und Vollendung zu geben, die den eigensten Vorzug
der neueren deutschen Kunst ausmacht.
Deutschland wird dann um ein Werk reicher sein, welches
sich den bereits bestehenden und anderwärts von unsern gröss-
ten Geistern geschaffenen um so würdiger anreiht, als es durch
die selbständigste Eigenlhümlichkeit der Auffassung am ge-
eignetsten ist, das Bild von dem gegenwärtigen Reichthum un-
seres Vaterlandes an wahrhaft eigenthümlichen Künstlerindivi-
dualitäten zu vervollständigen und auch bei der Nachwelt ein
rühmliches Zeugniss von der deutschen Kunst unserer Tage
abzulegen. H. A. M.
Kunstwerke des Mittelalters in Osnabrück.
Von W. IiiibUe.
I.
Der oft angeführte Satz von dem zähen Festhalten des west-
fälischen Stammes am Althergebrachten gewinnt an Richtigkeit,
je weiter man nach Norden in's Land hineindringt. Hat man,
von Süden kommend, die Lippe überschritten, so mehren sich
die Spuren: abgeschlossen und auf sich selbst ruhend, wie das
vereinzelte Bauerngehöft in seiner Umgebung von alten Eichen,
so ist das ganze Land, so ist die Art des Anbaues, so die Sitte
der Bewohner. Wie der Hof durch seinen Zaun, so sind die
Ländereien unter einander durch mächtige Wallhecken und breite
Gräben abgegränzt, und es spricht sich in diesen Anlagen das
vorwiegende Gefühl für persönliche Selbständigkeit und Unab-
hängigkeit aus. Ungern vereint man sich zum Zusammenwoh-
nen in regelmässigen Dörfern; an ihrer Statt findet der Wan-
derer unzählige Bauerschaften, Gruppen von vereinzelt liegen-
den Gehöften, die unter einem Namen zusammengefasst werden.
Wo man indess Dörfer trifft, da haben diese vermöge ihrer ge-
raden, gepflasterten Strassen, der dichtgedrängten Bauart, der
sauber aus Ziegelsteinen errichteten, roth angestrichenen Häu-
ser mit ihren blanken Fenstern und grünen Laden mehr den
Charakter kleiner Städte.
Der Art der Bebauung entsprechen genau die Communika-
tionsmiltel. Sie bestehen hauptsächlich aus breiten Sandwegen
für Fuhrwerke, an deren Seite stets ein erhöhter, durch Pfähle
abgesonderter Damm für Fussgänger sich hinzieht. Diese Wege
führen von einer Bauerschaft zur andern und sind gleich den
einzelnen Grundstücken mit Gräben und hohen Wallhecken ein-
gefasst, so dass man stets in engstem Horizont eingeschlossen
ist. Eben so eng umgränzt ist der geistige Gesichtskreis der
Bewohner: was ausserhalb ihrer Marken vorgeht, kümmert sie
weniger, aber ihren eigensten Angelegenheiten wenden sie un-
geteilte Aufmerksamkeit zu. Ja, sie mögen von der Aussen-
welt nichts wissen; fremde Personen und fremde Einrichtungen
werden mit gleicher Scheu von fern betrachtet; eine ungewohnte,
fremdartige Kleidung schon macht sie stutzig, und erst dann
thaut ihr Wesen vertrauend auf, wenn sie die Laute des hei-
mischen Dialekts vernehmen oder wenn sie Euch Eure Ehr-
furcht vor den vielen aller Orten angebrachten Kruzifixen und
Heiligenbildern bezeugen sehn. Daher kommt es auch, dass
sie sich vor der Anlage der Chausseen fürchten, weil diese sie