Deutfd)**
Zeitung
für bildende Kunst und Baukunst.
üunftblatt
Organ
der deutschen Kunstvereine.
Unter Mitwirkung von
Kugler in Berlin — Passavant in Frankfurt — "Waagen in Berlin — Wiegmann in Düsseldorf — Schnaase
in Berlin — Förster in München — Eitelberger v. Edelberg in Wien
herausgegeben von Dr. F. ESggerS in Berlin.
JrflO.
Sonnabend, den 5. März.
1853.
3tthult: Paul Delaroche's „Marie Antoinette" und Louis Gallait's „Egmont und Hörn". W. Lübke. — Ueber den Gang der christlichen Kunst in Spa-
nien, von J. D. Passavant. (Fortsetzung.) — Kunstwerke des Mittelalters in Osnabrück. III. W. Lübke.
Beiblatt. Versteigerung der Friedländer'schen Sammlung zu Leipzig. — Zeitung. Berlio. Düsseldorf. Trier. Salzburg.. — Krmstvereine,
Der Lübecker Kunstverein. — Auswahl von Neuigkeiten des deutschen Kunsthandels. — Bücher- und Zeitschriftenschau. —■ Anzeigen.
Paul Delaroche's „Marie Antoinette" und Lonis Gallait's
„Egmont und Hörn."
iNicht der rein äusserliche Umstand, dass diese beiden
Bilder in kurzer Aufeinanderfolge uns in Deutschland vorge-
führt worden sind, veranlasst die gemeinsame Besprechung der-
selben. Tiefer liegende Gesichtspunkte sind es, im Wesen
beider Werke begründete, die zu solcher Doppelschau unwill-
kürlich drängen. Beiden Meistern ist so mancher verwandte
Zug eigen. Beide schöpfen gern die Stoffe zu ihren Darstel-
lungen aus dem Strome vaterländischer Begebenheiten; Beide
greifen am liebsten nach den mordbefleckten Blättern der Ge-
schichte, bei deren Berührung schon die Seele in bangem Schau-
der erbebt. Nur dass der Belgier das Gebiet des Grausigen
betritt, der Franzose die Seite des Larmoyanten ausbeulet,
jener Blut, dieser Thränen malt. Im Uebrigen aber begegnet
man in beiden Meistern innerhalb homogener Sphäre so ent-
scheidenden Gegensätzen, dass die Versuchung nahe genug
liegt, dieselben in Worten abzuspiegeln.
Unter solchen Gegensätzen wollen wir nicht etwa Das ge-
meint haben, dass der Eine uns aristokratische, der Andre ple-
bejische Gewallthaten schildert, denn darin sehen wir keinen
Unterschied. Näher kommt man dem Mittelpunkt der Sache,
wenn man erwägt, dass Gallait den Moment nach der That
auflassle, Delaroche einen Augenblick des Vorher auf die
Leinwand bannte. Der Franzose spekulirt hierin mit raffmiren-
der Berechnung auf die tiefsten Saiten menschlicher Empfin-
dungsscala. Er zeigt uns das zarte Weib, zeigt uns eine der
höchslgestellten ihres Geschlechtes, verlassen von Allem, was
der Schwachen zur Stütze, zum Trost gereichen könnte, um-
ringt von den Furien des Hasses, der Rachgier, zeigt sie uns,
mit orebrochnen Schritten dem unabwendbaren blutigen Verhäng-
niss entgegenwankend, unrettbar verloren. Das ist das Schwert
des Damokles, ist der ängstigende Alp eines Traumes, der uns
einen theuren Menschen in drohender Gefahr vor Augen führt,
während ein Bleigewicht die zu Hülfe eilenden Glieder lähmt.
IV Jahrgang.
Die Königin schreitet aus dem Bilde auf uns zu. Ringsum
spärlich erleuchtete Räume, wo das grauende Morgenlicht kaum
mit dem Dämmerdunst schwelender Lampen den Kampf zu be-
ginnen wagt. Mühsam erkennen wir in dem Düster die Gestal-
ten der Männer, in deren Seelen weit trüber noch die Fackeln
wüster Leidenschaften flackern. Nur auf die edle Gestalt der
stolzen Gefangenen fällt — man weiss nicht, von wannen —
ein bleicher, kalter Morgenstrahl. Er bringt ihr den Kuss des
Todes.
Hart neben ihr tauchen, halb verschwimmend in die allge-
meine Dunkelheit, zwei bewaffnete Männer hervor, die der Ver-
urtheilten als Eskorte dienen. In diesen ist es dem Maler wohl-
gelungen , jene blutige Zeit zu schildern. Der jüngere von
Beiden mit gebieterischer Haltung und abwehrend ausgestreck-
tem Degen scheint ebenso jeder Regung des Mitleids den Zu-
gang zu seiner Seele zu verwehren. Das ist der Repräsentant
jener eisernen Schreckensmänner, in deren Brust der Fanatis-
mus für eine eingebildete Idee jedes Mitgefühl für wirkliche
Schmerzen versteinert hatte. Der ältere, der mit gekreuzten
Armen sein Gewehr an die Schulter drückt und etwas gesenk-
ten, nachdenklichen Blickes einherschreitet, hegt neben dem
starren Republikanismus noch rein menschliches Empfinden im
Busen, wenngleich das eherne Pflichtgefühl es verstummen
macht. Zur Seite aber, hyänenbaft über die trennende Brust-
wehr vorgebeugt, stiert mit blutlechzendem Blick eine scheuss-
liche, einzahnige Megäre des Terrorismus das edle Opfer an.
Gleichsam um die verletzte Weiblichkeit in ihr ewiges Vorrecht
milden Erbarmens wieder einzusetzen, erscheint neben der Furie
ein junges Mädchen, dessen thränenschimmerndes Auge und
flehend ins Anschauen der Dulderin hineinwurzelnder Blick uns
mit der entmenschten Menschheit wieder versöhnt.
Gewiss sind diese Gegensätze wirkungsreich, gewiss mit
feiner Meisterschaft vom Künstler angelegt und durchgeführt.
Wie aber ist es mit der Hauptfigur des Bildes bestellt? Der
Maler hat in ihren Kopf die ganze Bedeutung der Situation zu-
sammenzudrängen gesucht. In sorgfältigster Modellirung hebt
er sich sowohl von dem einfach schwarzen Gewände und dem
10
Zeitung
für bildende Kunst und Baukunst.
üunftblatt
Organ
der deutschen Kunstvereine.
Unter Mitwirkung von
Kugler in Berlin — Passavant in Frankfurt — "Waagen in Berlin — Wiegmann in Düsseldorf — Schnaase
in Berlin — Förster in München — Eitelberger v. Edelberg in Wien
herausgegeben von Dr. F. ESggerS in Berlin.
JrflO.
Sonnabend, den 5. März.
1853.
3tthult: Paul Delaroche's „Marie Antoinette" und Louis Gallait's „Egmont und Hörn". W. Lübke. — Ueber den Gang der christlichen Kunst in Spa-
nien, von J. D. Passavant. (Fortsetzung.) — Kunstwerke des Mittelalters in Osnabrück. III. W. Lübke.
Beiblatt. Versteigerung der Friedländer'schen Sammlung zu Leipzig. — Zeitung. Berlio. Düsseldorf. Trier. Salzburg.. — Krmstvereine,
Der Lübecker Kunstverein. — Auswahl von Neuigkeiten des deutschen Kunsthandels. — Bücher- und Zeitschriftenschau. —■ Anzeigen.
Paul Delaroche's „Marie Antoinette" und Lonis Gallait's
„Egmont und Hörn."
iNicht der rein äusserliche Umstand, dass diese beiden
Bilder in kurzer Aufeinanderfolge uns in Deutschland vorge-
führt worden sind, veranlasst die gemeinsame Besprechung der-
selben. Tiefer liegende Gesichtspunkte sind es, im Wesen
beider Werke begründete, die zu solcher Doppelschau unwill-
kürlich drängen. Beiden Meistern ist so mancher verwandte
Zug eigen. Beide schöpfen gern die Stoffe zu ihren Darstel-
lungen aus dem Strome vaterländischer Begebenheiten; Beide
greifen am liebsten nach den mordbefleckten Blättern der Ge-
schichte, bei deren Berührung schon die Seele in bangem Schau-
der erbebt. Nur dass der Belgier das Gebiet des Grausigen
betritt, der Franzose die Seite des Larmoyanten ausbeulet,
jener Blut, dieser Thränen malt. Im Uebrigen aber begegnet
man in beiden Meistern innerhalb homogener Sphäre so ent-
scheidenden Gegensätzen, dass die Versuchung nahe genug
liegt, dieselben in Worten abzuspiegeln.
Unter solchen Gegensätzen wollen wir nicht etwa Das ge-
meint haben, dass der Eine uns aristokratische, der Andre ple-
bejische Gewallthaten schildert, denn darin sehen wir keinen
Unterschied. Näher kommt man dem Mittelpunkt der Sache,
wenn man erwägt, dass Gallait den Moment nach der That
auflassle, Delaroche einen Augenblick des Vorher auf die
Leinwand bannte. Der Franzose spekulirt hierin mit raffmiren-
der Berechnung auf die tiefsten Saiten menschlicher Empfin-
dungsscala. Er zeigt uns das zarte Weib, zeigt uns eine der
höchslgestellten ihres Geschlechtes, verlassen von Allem, was
der Schwachen zur Stütze, zum Trost gereichen könnte, um-
ringt von den Furien des Hasses, der Rachgier, zeigt sie uns,
mit orebrochnen Schritten dem unabwendbaren blutigen Verhäng-
niss entgegenwankend, unrettbar verloren. Das ist das Schwert
des Damokles, ist der ängstigende Alp eines Traumes, der uns
einen theuren Menschen in drohender Gefahr vor Augen führt,
während ein Bleigewicht die zu Hülfe eilenden Glieder lähmt.
IV Jahrgang.
Die Königin schreitet aus dem Bilde auf uns zu. Ringsum
spärlich erleuchtete Räume, wo das grauende Morgenlicht kaum
mit dem Dämmerdunst schwelender Lampen den Kampf zu be-
ginnen wagt. Mühsam erkennen wir in dem Düster die Gestal-
ten der Männer, in deren Seelen weit trüber noch die Fackeln
wüster Leidenschaften flackern. Nur auf die edle Gestalt der
stolzen Gefangenen fällt — man weiss nicht, von wannen —
ein bleicher, kalter Morgenstrahl. Er bringt ihr den Kuss des
Todes.
Hart neben ihr tauchen, halb verschwimmend in die allge-
meine Dunkelheit, zwei bewaffnete Männer hervor, die der Ver-
urtheilten als Eskorte dienen. In diesen ist es dem Maler wohl-
gelungen , jene blutige Zeit zu schildern. Der jüngere von
Beiden mit gebieterischer Haltung und abwehrend ausgestreck-
tem Degen scheint ebenso jeder Regung des Mitleids den Zu-
gang zu seiner Seele zu verwehren. Das ist der Repräsentant
jener eisernen Schreckensmänner, in deren Brust der Fanatis-
mus für eine eingebildete Idee jedes Mitgefühl für wirkliche
Schmerzen versteinert hatte. Der ältere, der mit gekreuzten
Armen sein Gewehr an die Schulter drückt und etwas gesenk-
ten, nachdenklichen Blickes einherschreitet, hegt neben dem
starren Republikanismus noch rein menschliches Empfinden im
Busen, wenngleich das eherne Pflichtgefühl es verstummen
macht. Zur Seite aber, hyänenbaft über die trennende Brust-
wehr vorgebeugt, stiert mit blutlechzendem Blick eine scheuss-
liche, einzahnige Megäre des Terrorismus das edle Opfer an.
Gleichsam um die verletzte Weiblichkeit in ihr ewiges Vorrecht
milden Erbarmens wieder einzusetzen, erscheint neben der Furie
ein junges Mädchen, dessen thränenschimmerndes Auge und
flehend ins Anschauen der Dulderin hineinwurzelnder Blick uns
mit der entmenschten Menschheit wieder versöhnt.
Gewiss sind diese Gegensätze wirkungsreich, gewiss mit
feiner Meisterschaft vom Künstler angelegt und durchgeführt.
Wie aber ist es mit der Hauptfigur des Bildes bestellt? Der
Maler hat in ihren Kopf die ganze Bedeutung der Situation zu-
sammenzudrängen gesucht. In sorgfältigster Modellirung hebt
er sich sowohl von dem einfach schwarzen Gewände und dem
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