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Eggers, Friedrich [Editor]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 5.1854

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https://doi.org/10.11588/diglit.1198#0126
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118

Hieraus ist leicht zu ersehen, warum ich bei meiner Eintheilung
nach Erläuterung der früheren Kunstverhältnisse mit der historischen
Entwickelung des Portraits anhebe und dasselbe als die ersprieß-
lichste Grundlage für alle Zweige der Malerei betrachte, denn in
ihm und seiner historischen Entwickelung sprechen sich die Bedingun-
gen des Schönen zuvörderst am deutlichsten aus und es kann die
Aufgabe einer Eintheilung der Malerei nach ihren Gegenständen nur
die sein, die Erkenntniß dieser Bedingungen zweckinäßig zu fördern.

Es ist aber in dem geschichtlichen Gange der Malerei wahr-
zunehmen, daß alle ihre Zweige, wie ihr höchster, mit dem Wesent-
lichen beginnen; denn ihrem Wesen nach universell, sieht man von
ihr schon früh, wenn auch mehr oder weniger instinktiv, aste ihre
'Seiten wesentlich berührt. Erst mit der Störung ihres anfängli-
chen, naturwüchsigen Verhältnisses der Entwickelung werden ihre Be-
dingungen dadurch fraglich, daß man ihr Hauptziel, die Offenbarung
des Göttlichen, aus dem Auge verlor.

Da indeß dem Geiste das Streben inue wohnt, sich überall
selbst zu wissen, also auch in der Welt der Erscheinungen, so ist die
Kunst eine Nothwendigkeit, denn sie offenbart den Geist der Er-
scheinung. ; Ihre Schwankungen in der Zeit ihres Verfalles, vor-
nämlich durch einen überwiegenden Verstandesantheil hervorgegangen,
dev das harmonische Verhältniß störte, das bis dahin seinen Halt
in der Religion hatte, sind nichts anderes, als die nothwendigen
Vorläufer einer Periode, in welcher allmählig die bedeutsamen gro-
ßen Resultate des primären Bildnerttiebes klar werden. Die Kunst,
von nun ab nicht mehr so ausschließlich im Dienste der Religion,
wird sich nun mehr Selbstzweck und somit endlich eine mehr selbst-
bewußte.

Vornämlich dem kunstphilosophischen Scharfblick eines Rubens
war es Vorbehalten, die Gründe des Kunstverfalles anszusinden und
durch die malerische Darlegung der Bedingungen des Schönen die
Kunst wieder zu befestigen. Zu der Stellung eines Reformators in
dieser Hinsicht berufen, fühlte er sich gedrungen, mit der hohen Vir-
tuosität die Form geistig zu beherrschen, ihr zugleich ein didaktisch-
stylistisches Gepräge zu geben, dessen genaueres Verständniß bisher
den Aesthetikern nicht erschlossen war, weil eine philosophische Bil-
dung lediglich als solche, wie sehr sie sich auch das Ansehen des
Gegentheils geben mag, nicht vermögend ist, den geistigen Sinn der
malerischen Terminologie zu verstehen. Die wissenschaftliche Erläu-
terung des Ruben'schen Sthles erschien mir daher besonders geeignet
für die Lösung der bisherigen Kunstprobleme, weshalb ich mich ver-
anlaßt fand, ihn zum Centralpunkt meines Werkes zu machen.

Unter der Anführung des universellen Geistes dieses Meisters
gewinnt in Brabant die Malerei nach allen Richttmgen hin ein Ge-
präge, in dessen künstlerischer Deutlichkeit für den wahren Sachver-
ständigen fast jeder Aufschluß über sie am leichtesten zu finden ist.

Da nun die Wissenschaft bei Bettachtung der Malerei nur die
Aufgabe haben kann, die Bedingungen zu erläutern, unter welchen
sie zur Schönheit gelangt, so kann ihre Eintheilung am zweckmäßig-
sten auch nur da beginnen, wo die Schönheit am nächsten zu Tage
liegt, also mit dem Gegenstände der höchsten Realität, und da
schließen, wo sie am verborgensten ist, mit dem Gegenstände der nie-
drigsten Realität. Auf diesem Wege wird zugleich das Verständniß
gewonnen, wie sich der Künstler zum Gegenstände seines Vorwurfs
zu verhalten habe, da die Erkenntniß des Schönen zugleich die Be-
dingungen in sich schließt, wie unter allen Umständen, durch Besei-
tigung des Zufälligen, zum Wesen der Erscheinung zu gelangen sei.

Wenn Herr Rosenkranz vermögend wäre, die Autorität wahrer
Meister und besonders die eines Rubens im vollen Maße anzuer-
kennen, er würde nicht nöthig gehabt haben, sich aus eine beiläufige
Ansicht des Lord Byron zu stützen, um dadurch eine Eintheilung
der Malerei von unten nach eben zu begründen. Auch würde Herr

Rosenkranz mir eher den Vorwurf eines versteckten Copirens machen
können, wenn ihm die malerischen Intentionen der Bilder des Ru-
bens nicht fremd wären; nur will ich hierbei bemerken, daß ich mir
ein solches Eopiren, wenn man es so nennen darf, als ein Verdienst
aurechne.

Ich habe große Hochachtung vor der philosophischen Gewandt-
heit des Herrn Rosenkranz, nur sollte er zu diesem seinen Verdienste
noch das eines Hegel hinzugesellen, dessen Behutsamkeit in Dingen
der Malerei, die seinem Fache entfernter liegen, den Beweis giebt,
daß er hier in einem ungewöhnlichen Grade ein Wissen seines Nicht-
wissens besitzt. Schwerlich würde er sich dann zu einem Urtheil
verstanden haben, wie das über „urweltliche" Landschaft in seinem
Aufsatze; auch würde derselbe sich gehütet haben, den von ihm ge-
legentlich angeführten großen Meistern Namen von Künstlern hinzu-
zusügen, die nicht weit über eine gemeine Verständlichkeit realistischer
Verhältnisse hinausgekommen find.

Wie aber endlich Herr Rosenkranz der Meinung -sein kann, als
habe -„der Unterschied der Größe" bei meiner Eintheilung der Ma-
lerei besümmend eingewirkt, ist um so unbegreiflicher, als sein in
Rede stehender Aufsatz es genugsam erkennen läßt, daß er von dem
Inhalte meines Werkes eine nähere Kenntniß genommen hat. Nur
in Beziehung auf die ttinstlerische Würdigung der Größenverhältnisse
will ich mir erlauben, aus meinem Werke das Nachstehende anzu-
sühren, woraus leicht zu entnehmen, ob und wie diese Meinung des
Herrn Rosenkranz begründet ist.

„Bei der geringen Meinung, welche man im Durchschnitt von der Tendenz
der Genremalerei hat, hat sich anch die Meinung festgesetzt, daß für diesen Zweig
der Kunst nur ein kleines Raumverhältniß für ihre Darstellungen geeignet sei,
indem nian ihr Streben im Vergleich zur Vorstellung der höher:: Realität, für
so geringfügig erachtet, daß die Prätension, welche sie zu machen habe, schon in
dieser Art ausgesprochen werden müsse, obgleich sehr bedeutende Meister, unter
diesen ein Belasquez und Murillo ihre Genrebilder meist lebensgroß aus-
führten, von denen gleichwohl kleine Bilder der Heiligengeschichte epistiren, welche
zur Genüge darthun, mit welcher künstlerischen Feinheit sich diese Meister anch
unter solchen Umständen zu bewegen wußten. Die vorgefaßte Meinung erblickt
darin mehr Willkür, als Absicht oder richügen Gefühlstakt, der das hohe Ver-
mögen das Schöne zu offenbaren, mit sich führt.

Wenn ein praktischer Zweck ein kolossales Maaß für Kunstwerke nothwendig
machte, so wurde man auch bald gewahr, daß man sich auch anderer Mittel als
der gewöhnlichen bedienen müsse, wenn das Vermögen und die Erkenntniß,
welche sich in kleineren Verhältnissen bewährten, in den ungewöhnlich großen
nicht unersprießlich werden sollten.

Man hob diesem zufolge das Ursächliche der Formenwirkung in dem Grade
hervor, daß der Schönheitssonds, der an die Lebensbedingnngen der Erscheinung
geknüpft ist, nichts von seiner Kraft einbüßte, welche zu erreichen der Künstler
sich gedrungen fühlt, gewisse Uebertreibnngen und Modificationen ins Leben treten
zu lassen, die von der concreten Wahrheit oft sehr abweichend sind. Es ist
demnach ein solches Kunstwerk kein in allen Theilen vergrößertes natürliches
Verhältniß der darzustellenden Erscheinung, sondern die zu offenbarende Schön-
heit erheischt hier Bedingungen, die von einem um so größer:: bildnerischen In-
teresse sind, als der lebendige Sinn des Räumlichen dadurch zu einem noch
größer:: Verständniß gebracht wird. Weder der praktische Zweck, noch der be-
handelte Gegenstand bestimmen den Werth solchen Verständnisses, der sich ledig-
lich in der Behandlung zu erkennen gibt; denn beides sind nur äußere Anlaffe,
an welche die Kunst ihre inner:: nothwendigen Consequenzen knüpft, um zur
Schönheit zu gelangen, die kein ausschließliches Eigenthum einer einzelnen Er-
scheinung ist. Es geht daraus hervor, daß der Gegenstand an sich der Kunst
keinen Zwang auferlegt, in einem bestimmten räumlichen Maaße zu beharren;
denn die Kunst meint mehr sich selbst, als den Gegenstand ihrer Behandlung,
und wird kraft ihres Sthles dadurch erst eine freie.

Wenn nun Murillo und Velaöqucz den Gegenstand des Genre fast
ausschließlich in Lebensgröße tractiren, während sie zum öfter:: den seiner Reali-
tät nach höher stehenden Gegenstand im kleinen Raume geben, so offenbart
sich darin nicht weniger jener Zug der niederländischen Meister: die durch fal-
schen Schönheitsbegriff in das Proletariat hinabgedrückte niedere Realität wieder
zu ihrem Naturrechte zu erheben, was ganz im Einklang nüt der Geistesrichtung
einer Nation stand, durch die sie sich selber frei zu machen wußte. Beide
Meister fanden daß, wenn es angemessen erscheint, einen in einer höhern Reali-
tät enthaltenen großen Inhalt anch groß anszndrücken, es eben nicht unange-
 
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