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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 5.1854

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https://doi.org/10.11588/diglit.1198#0247
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235

einem fortdauernden Wechselprozeß alterirend: derartige Arbeiten be-
dürfen zu ihrer Bewältigung ihr natürliches Maß von Zeit. Eine
solche Forderung auszusprechen kann den Künstlern der Gegenwart
nicht zum Vorwurf angerechnet werden; da möge man nur einen
flüchtigen Blieb werfen auf die Sammlung von Haudzeichnungeu
des Herzogs von Sachsen-Teschen; selbst bei den Arbeiten der gro-
ßen Geister des XVI. Jahrhunderts, welche Sorgfalt, welche Mühe,
welch' zweifelhaftes Sinnen, welche Umgestaltungen ihrer ersten Ge-
danken für ihre nochmals vollkommensten Kunstwerre! Zudem, so hören
wir, wird die geforderte Arbeit sehr zeitraubend durch den sestgestellten,
sehr bedeutenden Maßstab, der dem Zwecke allerdings entsprechend
sein und alle Pfuscherei und Unklarheit entfernt halten dürste, aber
doch die einzelnen Zeichnungen zu einem Riesensormat hinaustreibt
und mindestens sieben derartiger Blätter sind zur Halbwege voll-
ständigen Entwickelung des Baues nothwendig. — Endlich möge
eine billige Beurteilung der Sachlage in Erwägung ziehen, daß von
den gebildeteren und talentreicheren Künstlern,, welche für die Lösung
dieser Ausgabe als die besonders berufenen dürften anznsehen sein,
schwerlich irgend Wer sich finden möchte, der für den Augenblick
beschäftigungslos und nicht theilweise schon gebunden durch bereits
übernommene Pflichten, der schönen Arbeit die sämmtliche, bis zum
Ablieferungstermine noch übrige Zeit, widmen könnte. Die eben
ausgesprochenen Ansichten und Situationen dürsten — wenn wir
nicht irren — ziemlich von allen außerhalb von Oesterreich leben-
den Künstlern gecheckt worden und hierdurch der in dem Programm
enthaltene Wunsch für das bedeutungsvolle Werk eine große Zahl
von künstlerischen Kräften sich bemühen zu sehen und sie nutzen zu
können, füglich nicht in Erfüllung zu bringen sein. Zn dieser An-
gelegenheit wünschen wir gern allen übrigen Künstlern voran, einem
österreichischen Künstler den Sieg; doch thut es uns wehe, daß durch
die angeführten Äußerlichkeiten einem großherzig empfundenen Wil-
len nicht wird genügt werden können und die Gränzen des Kampf-
seldes ihm entgegenlansend enge zusammen gezogen werden sollen.

Sollte man noch geneigt sein, die öffentlich doeumentirte Ab-
sicht ausrecht zu erhalten, so wäre bei dem Thatbeftmde eine Ab-
hülfe immer noch möglich: Verlängerung des Abliesernngs-
termines der geforderten Arbeiten um einige Monate.

Wir glauben der Sache wie den Künstlern schuldig zu sein,

diesen Wunsch öffentlich auszusprechen und ihn als eine Bitte der

. . > - . >

gnädigsten Erwägung des durchlauchtigsten Protektors der Unterneh-
mung in Ehrfurcht anheim geben zu dürfen.

Andeutungen zu einer Geschichte der Physiognomien.

Von A. von Eye.

(Schluß.)

Mit' dem Anfänge des 17. Jahrhunderts macht sich im Gegen-
theil ein merkwürdiger Ansatz zu neuern Entfaltungen bemerkbar.
Die Haltung richtet sich ans; die Züge werden wieder fest und be-
stimmt und dieses selbst in höherem Grade, als es je vorher der
Fall gewesen. Aber die wohlthätige Unmittelbarkeit aus dem An-
fänge des vorigen Jahrhunderts ist für immer dahin. Die Natur
trägt und hebt nicht mehr den Geist, sondern dieser sucht jene zu
erfassen und zu bilden. Aber er findet noch immer in ihr selbst
kräftige Werkzeuge für sein Bemühen; er ergreift den Stoff mit
gelvaltiger Hand und umschreibt noch großartige Formen. — Was
sind das für Gesichter vor und während des 30jährigen Krieges,
die Züge wie aus Eisen geschmiedet! Es ist, als ob sie besonders
zugerichtet seien, um eine so schwere Zeit zu tragen. Andrerseits
mußten auch solche Gesichter aus solcher Zeit hervorgehen. — Wir

bekommen kein besseres Bild davon, als wenn wir bie. großen Kupfer-
werke mit Portraits damaliger Zeitgenossen durchgehen, z. B. die
van Dhk'schen Portraits oder die Gesandten beim westfälischen
Friedensschlüsse, von Anselm van Hülle gemalt und von ver-
schiedenen trefflichen Künstlern in Kupfer gestochen: lauter höchst
ansdrucks- und bedeutungsvolle Gesichter; wir fühlen uns fast klein
einer solchen Versammlung gegenüber. Aber zugleich überschleicht
uns ein unheimliches Gefühl. Ueberall derselbe Ernst und die
Schwere der Zeit, dieselbe Strenge der Lebensanschauung; kaum
eine Spur von heiterer Hingabe an das Gefühl des Daseins, von
Mitleiden mit unbeachtet gebliebenen Regungen der Seele.

Die sogenannten spanischen Gesichter und Wallensteinsköpfe sind
vorherrschend hohe, gerunzelte Stirnen mit kurz verschnittenem oder
in völliger Länge herabwallendem Haare; Augen mit herbem, ja
starrem Blicke; scharsgeschnittene, große Nasen; schmale, gefurchte
Wangen; der kreisförmige Schnitt des Bartes die Strenge des Aus-
druckes noch vermehrend. Bis an's Boshafte und wahrhaft Dä-
monische geht der Charakter manches geistlichen Gesichtes in dieser
Zeit, z. B. das der beiden bambergischeu Bischöfe, Johann
Georg und Johann Gottfried, von denen der eine das be-
kannte Hepenhaus bauen ließ, deren beider abschreckende Gesichtszüge
Peter Jsselburg uns in trefflichen..Kupferstichen bewahrt hat.
Daneben zeichnen sich aber auch manche schöne, wohlthueude Ge-
sichter aus, z. B. das des Psalzgraseu Wolsgaug Wilhelm, von
W. Kilian gestochen, welches-in reinen, idealen Zügen Milde und
Entschlossenheit so paart, daß es auf äußeren Anstoß ankommt,
welcher charakteristische Ausdruck der vorherrschende werden wird.
Eine überaus anziehende Gesichtsbildung hat Otto von Guericke,
in der oben erwähnten Sammlnug der Gesandten des westphälischen
Friedens enthalten. Ziemlich mager im Antlitz, zeigt er doch in
dessen Ban große Regelmäßigkeit und voll ausgeprägte bedeutsame
Formen; unter dem allgemeinen Ausdrucke der Zeit ein äußerst mil-
des, aber ebenso geistreiches Innere verrathend. — Interessant ist
es auch, in demselben Werke die verschiedenen Nationalitäten zu ver-
gleichen, die darin in seltener Vereinigung, alle unter dem Schlag-
lichte des nämlichen Zeitgeistes sich zusammengestellt finden. Die
Spanier tragen alle Eigenthümlichkeit des letzteren in höchster Po-
tenz — wahrhaft katholische Gesichter, voll finsterer Majestät. Die
Franzosen tragen zrrm Theil schon Gesichter, die bei uns erst weit
später anfkommen. Ihrem Gesandten, Baron d'Avaneour, sieht man
schon, wir möchten sagen, die Revolution in den Augen glühen.
Sein Haar starrt laug und ungeordnet; sein Haupt ist so geneigt,
daß die Augenbrauen uns in gerader Linie entgegen treten. Aus
seinem unheimlich brennenden, aber nicht unklaren Blicke schaut eine
Seele, die bis zum letzten Halte angegriffen ist, aber eben die-
sen zusammenhält, um von da aus die Welt anzugreifen. Die
Deutschen haben, obwohl der leidendste Theil, sich doch den besten
Muth bewahrt — • freilich sind die betrübten Gesichter damaliger
Zeit nicht abgebildet worden. Die Niederländer verhehlen nicht das
bekannte Phlegma; die Schweden zeigen große innere Gemüthsrnhe,
deren wohlthnender Ansdruck nur zu oft durch den der Anmaaßnng
getrübt wird.

Nach dem 30jährigen Kriege macht sich im Leben wie in den
Physiognomien eine bedeutende Abnahme und Erschlaffung bemerk-
bar. Die Zeit war zu hart über die Menschen gegangen; sie hat-
ten sie ertragen, aber zugleich mit ihrer ganzen bisherigen Verfas-
sung sich mit ihr ins Grab gelegt. Alle bisherigen Formen waren
zerschlagen; es gab nur noch Schutt und Rohstoff, aus dem der
letzte übrig gebliebene Geist — zwar nunmehr geläutert bis auf den
kleinsten Rest der ihm anhaftenden Materie — neue Formen zu
bilden anfangen mußte. — Die Züge des Gesichtes verlieren zu--
nächst in hohem Grade das bestimmte, charakteristische Gepräge,
 
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