Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 5.1854

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.1198#0330
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
316

ten achtet sie der anderen nicht, die sich mit gleichem Rechte entge-
genstellen. Ein unabweislicher Streit facht sich an. Was zu för-
dern wäre, wird verletzt, Unantastbares angegriffen. Nicht mit
absichtlicher Schuld: im Drang der Umstände, die es nicht anders
gestatten; im Recht der eigenen Größe, die sich nicht aufrecht er-
halten kann, wollte sie nachgeben. Dieser Widerspruch kann nicht
dauern. Das Absolute herrscht nur als Einheit und Harmonie.
Wo sie bedroht ist, stellt es sie her mit letzter Entscheidung. Wer
sich nicht biegen will, stürzt, wer sich über Befuguiß mächtig glaubt,
erfährt- im Untergange das- Maaß seiner Kraft; gerecht im Sinne
des Absoluten, das an die Ferse der Schuld die Strafe heftet; im
Sinne der hohen Gestatten als Zwang einer fremden Gewalt, die
tückisch und ungekanut nichts als Verderben bringt. In anderer
Form kann' sich das Absolute nicht darthun. Sein Ausspruch ist
stumm. Den Schatz seiner Besonderheiten hat es an die hohen Ge-
stalten vertheilt. Für sich hält es nichts zurück, als die eine und
gleiche Allgemeinheit, die darüber steht; versöhnt bei ungefährdetem
Frieden, zerstörend beim Kampf; in beiden Fällen zu dem klaren
Erweis, das Mächtigste bewahre seinen Halt nur durch Einhalt der
Grenze, durch die es zum Individuum wird.

In diesem Verhältniß ist die Tragik begründet. Nicht das
Absolute in sich ist tragisch; es übt unabänderlich nur das dunkele
Strafamt ewiger Nothwendigkeit, das keinem irdischen Richter zu-
steht. Weder Götter noch Menschen können diesen; Loose entgehn,
wenn der Doppelsinn des Lebens sie täuschend antreibt. Was da sein
und wirken soll bedarf der Trennung, welche aus eigene Füße
stellt. Die höchsten am meisten trauen dem sicheren Anschein dieses
verbürgten Rechts. Doch mit der Selbstständigkeit der besonderen
Zwecke ist auch deren Vermittelung das Problem der Lebendigen.
Zwingt sie ihr Lebensboden zum Widerstreit und hält ihr Muth
den zugleich falschen Kampf für ihr wahres Heil, dann ohne Er-
barmen kehrt ihnen das Leben sein anderes Antlitz zu. Das Schick-
sal zertrümmert, die am festesten dazustehn glaubten.

Damit liegt der tragische Schwerpimkt in der selbstständigen
Kraft, welche die Individuen nur durch tragische Schuld wieder ein-
büßen. Wo den besonderen Lebenskreisen und Charakteren selbst-
ständiges Gelten versagt ist, bleibt echte Tragik ohnmöglich. Sym-
bolische Gestalten, die statt sich selber nur unbestimmtere Allgemein-
heiten andeuten, bringen es wohl zum Ernst, zu Scherz- und Anmuth,
aber zur Tragik nicht. Auch die Erhabenheit gönnt den Dingen
zwar eigene Form und scheinbaren Halt, doch nur um sie grenzen-
los zu überflügeln.

So hat in Mythologie, Sagen und Kunst Griechenland mit
seinen hadernden Göttern, seinen individuellen Stämmen, Staaten
und Helden zuerst tragische Kämpfe durchlebt und künstlerisch dar-
gestellt.

Der Tragik bleibt dessenohngeachtet noch der Nachklang alter
Erhabenheit. Auch das Geschick ist mächtiger als die Mächtigsten
und, selber unmeßbar, offenbart es sich nur an der Höhe des Stur-
zes vom Gipfel zum Untergang. Je höher die Individuen, je heller
der Blitz, der sie niederwirst, jemehr streift das Tragisch^ an das
Erhabene.- Immer jedoch mit dem Unterschiede, daß auch die Schuld-
vollsten das Geschick nicht ihrer Hoheit, sondern der Ueberhebung
wegen zügelt und ftrcift.

Ueberhaupt ist die Hoheit nicht die letzte ideal plastische Form.
Nur die erste. Individuelle Gestalt und begründeter Inhalt sollen
sich gleichartig durchdringen. Dann müssen auch Beide gelten in
gleichem Werth. Das wesentlich Bedeutsame muß dem Individuel-
len freieren Spielraum geben, und es nur zum Silberblick reinen
Metalls von Schlacken säubern. Erst dadurch belebt sich die ernste
Hoheit zu freier Schönheit, und tritt ans dem Reich des Er-
habenen völlig heraus^.

Die Tragik gewinnt durch diese Befreiung an Milde, was sie
an großartiger Herbigkeit einbüßt. Die Individuen sind menschen-
näher. Ihr Inhalt gehört ihnen enger an und breitet sich in ihnen
beweglicher aus. Das Schicksal verflicht sich bestimmter mit dem
besonderen Fall und erschüttert beruhigender. Ein Blick von Ae-
schylos auf sophokleische Tragik verdeutlicht den Unterschied.

Welch mannichfaltige Stufenfolgen find weiter noch denkbar.
Das Individuelle entwickelt in heiterem Spiel sich stets leichter und
froher; die tiefte Bedeutsamkeit scheint nur als leiser Zusammenhalt
durch. Die freie Schönheit wird zu gefälliger Anmuth, deren Lächeln
keine Tragik mehr zuläßt.

Entschlagen sich jedoch die Individuen ihres wahrhaften In-
halts, so bleiben sie voll nur von sich selbst. Sie ruhen nicht mehr
auf dem Stützpunkte ihrer Berechtigung. Als selbstständig voraus-
gesetzt pochen sie auf das Ungediegene und Subjective. Belieben
und Thorheit erscheinen als Herrscher. Sie entthronen die Götter,
verlachen den Ernst, begehren statt weisen Maaßes den Maaßstab
der Willkür, und ziehen den Zufall f>em leitenden Spruch der
Nothwendigkeit vor. Auch dieser Umkehr läßt das Absolute die freie
Bewegung, die letzlich zur Komik führt.

Zunächst scheint alle Schönheit verschwunden. Menschen und
Dinge sind dem entgegen, was sie und wie sie sein und erscheinen
müßten. Dieser Gegensatz, je hartnäckiger festgehalten, wird um
so häßlicher. Mißbildung, Laster, Sünde scheuchen in ihrem Be-
harren die Komik zurück. Sie fordern ernsthaften realen Ver-
tilgungskrieg. Die Komik verlangt einen gehobneren Boden. Ihr
wird behaglich erst aus den Gipfeln des Widerspruchs, den ihr
die.Thorheit zeigt. Die echte Thorheit genügt sich nur im Gewand
der Weisheit, der Tugend, der Heldenschaft, im vollen Anscheine
alles dessen, was Festigkeit giebt und Recht ertheilt. Auch die
Schlechten heucheln und lügen. Doch zu schlechtem realen Zweck.
Die Thorheit zwar nicht im Glauben des Guten, aber aus. eige-
ner Verkehrtheit in gutem Glauben. Sie will nicht schaden und
schadet nicht. Der Widerspruch ihres Seins und Scheines liegt
gleich von Anfang offen da. Er zerfällt und öffnet in seinem
Schwinden den Blick auf das Echte und Wahre. Die ewigen Göt-
ter nach wie vor thronen auf goldnen Stühlen, das Sittliche bleibt
noch die rechte Sitte, die Weisheit weise, die Heldenschaft Führer
und Haupt. Die Thorheit bewährt, daß nur sie verkehrt sei.

Was damit zu Grunde geht, ist nicht das dennoch Hohe und
Treffliche, und wie die Individuen in ihrem Widersinn dein We-
sentlichen nicht Abbruch thun, bringt auch ihnen der Sturz, mit dem
ihre Welle der Thorheit zerschäumt, weder Schmerz noch Leiden.
Sie lassen sie ruhig zerschellen, und steigen erquickt aus dem- gefahr-
losen Bade.

Wer in der Komik jedoch nur Muthwillen sieht und sie für-
leichtfertig ausgiebt, verkennt ihre Tiefe und Lieblichkeit. Ihre Tiefe
mißt sich nach der Kluft, die sie ausfüllt, und der Größe des Wi-
derspruchs, von dem- sie befreit. Welcher Abstand ist aber uner-
gründlicher als Menschenthorheit und Absolutes, und welcher Wider-
spruch schärfer als offene Verkehrtheit in der Maske des Besten und
Herrlichsten. Ihre Anmuth fließt aus der Güte des Absoluten, das
in der Sicherheit seines unfehlbaren Siegs dem Zufall, der Laune
die frohe Gestalt ihres Unwesens gönnt, und wie die Thorheit
harmlos deren scheinbaren Glanz zum hellsten Erweis des Wah-
ren macht. -

Auch diesem Erzeugen und Lösen so komischen Scheins sind
Erhabenheit und Symbol um so weniger fähig, in je höherem Grade
die Komik die Selbstständigkeit der Individuen voraussetzt. In dem
plastischen Ideal zuerst erzieht sich die Komik an der übertrie-
benen Hoheit, der falschen Tragik, an der Willkür, die überall
wuchert.
 
Annotationen