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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 5.1854

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https://doi.org/10.11588/diglit.1198#0368
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dem andrängenden Wogenschwall Trotz zu bieten, der läßt sich lieber
vom Strudel aus der Oberfläche mit forttreiben, um nur nicht un-
terzugehen. Das Publikum selbst, das in selbstvergessnem Leichtsinn
immer mit der Strömung schwimmt, gefällt sich bei den gemalten
Trivialitäten ebenso sehr, wie bei den immer mehr nach der bloß
sinnlichen Seite sich hinneigenden Schaustellungen. Die Oper mit
den charakterlosen Melodien der neueren Italiener, eines Donizetti
und Verdi, oder den raffinirten Effekten der modern französischen
Schule, das Ballet mit seinen seelenlosen, sinnbetäubenden Grimassen,
der Circus und was sonst noch auf bloß körperliche Weise die schau-
lüsterne Menge reizt, das sind die • Lieblingsvergnügungen von heute,
und nirgends, in Deutschland wenigstens, hat dieses hohle Treiben
eine breitere Grundlage. als gerade in Berlin, der Stadt der In-
telligenz! Ist es da ein Wunder, und muß man sie nicht mehr be-
mitleiden als anklagen, wenn auch die bildende Kunst in dem allge-
meinen Taumel ihrer hohen Ideale vergißt und in den herrschenden
Ton mit einstimmt?

Ehe wir uns indeß, nach diesen wenig tröstlichen Vorbemer-
kungen, aus die Besprechung des Einzelnen einlassen, möge, um die
diesmal ganz besondere Schwäche der Ausstellung einigermaßen zu
motiviren, der Hinweis auf das Münchener Unternehmen gestattet
sein, welches allerdings manche tüchtige Leistung den Sälen der
Berliner Akademie entzogen hat. Freilich reicht dieser Umstand noch
nicht hin, den völligen Mangel eines Bildes zu entschuldigen, wel-
ches durch seine innere Gewalt so mächtig den Beschauer ergriffe,
daß es einen erhellenden Glanz über die ganze Ausstellung verbrei-
tete. Vergebens würde man bis jetzt ein solches Bild suchen. Was
von geschichtlichen Darstellungen vorhanden, ist so gehaltlos, daß
man sich schwer entschließt überhaupt davon zu reden; auch auf dem
Gebiete der biblischen Historienmalerei würde es sehr dürftig
aussehen, wenn nicht ein Gemälde von einer heutzutage auf diesem
Felde seltenen Tüchtigkeit sich eingefunden hätte. Dies ist die
„Kreuzabnahme" von dem als Pensionär der Akademie in Rom wei-
lenden Oscar Begas.

Das Bild hat sehr große Dimensionen. Von dem nächtlich
finstern Hintergründe hebt sich das hoch in der Mitte aufragende
Kreuz ab. Mehrere Männer sind beschäftigt, den bereits vom Stamme
desselben gelösten Körper Christi vollends herunterzunehmen. Links
aus einer Leiter sieht man einen älteren, der mit dem Beistände ei-
nes jüngeren, von der anderen Seite emporgestiegenen Mannes den
Leichnam behutsam hält, während ein unten am Boden stehender
'kräftiger Jüngling, von welchem man nur die Rückseite erblickt, ihn
in Empfang nimmt. Da diese Figur nur das Körperliche der Hand-
lung vertritt, so hat der Künstler in feinen: Takte sie so gestellt, daß
wir das uns weniger interessirende Gesicht nicht erblicken, die volle
Kraftanstrengung dagegen klar vor Augen haben. Von der linken
Seite tritt der ehrwürdige Joseph von Arimathia heran, in blauem
Gewände und dunkelrothem Mantel, den Kopf von einem gelben
Tuche umwunden. Er ist im Begriff, den Uebrigen beizustehen. Von
der anderen Seite naht in hellgrünem Gewände, den ergreifendsten
Seelenschmerz im edlen Angesichte, die herrliche Jünglingsgestalt des
Johannes, voll Verlangen nach dem theuren Leichnam die Arme
emporhebend. Es ist ein fein psychologischer Zug, daß die Wirk-
lichkeit der körperlichen Hülfeleistung bei den einzelnen Gestalten in
dem Maße sich abschwächt, in welchem diese von geistigem Weh
durchbebt werden. Daher kommt es denn auch, daß nicht, wie bei
Rubens, die ungeheuere Kraftentwickelung athletischer Gestalten das
Auge von der tieferen Bedeutung der Handlung ablenkt, und daß
andererseits nicht, wie bei manchen mittelalterlichen Darstellungen,
der Seelcnschmerz dem Vorgänge die ganze körperliche Grundlage
gleichsam entzieht, sondern daß das Element körperlicher Bewegung,
so weit es unerläßlich war, vollkommen betont wird, ohne dem gei-

stigen Inhalte, der mit Recht bei der ganzen Darstellung vorherrscht,
Abbruch zu thun.

Diese Figuren bilden in einfach klarer Composition die Haupt-
gruppe. ' Während nun hinter Joseph ein klagendes Weib mit ver-
hülltem Haupte die Darstellung abschließt, erweitert sie sich nach der
anderen Seite durch eine Nebengruppe. Hier ist die Mutter des
Herrn ohnmächtig zu Boden gesunken, und zwei Frauen sind um sie
beschäftigt, ihr wieder aufzuhelfen. Die Eine beugt sich mit dem
Ausdruck innigsten Mitleides über das edle gramerfüllte Antlitz Ma-
riens, während die Andere, gleichsam mehr die körperliche Seite der
Hülfeleistung repräsentirend, die. kraftlos Daliegende emporzuziehen
sucht und zugleich sin gespannter Aufmerksamkeit sich nach der Haupt-
gruppe umwendet. Hierdurch ist eine ungezwungene Verbindung bei-
der. Gruppen zu einer einzigen, in ruhigem Gleichgewicht pyramidal
aufsteigenden herbeigeführt. Diese Andeutungen werden genügen,
einen Begriff von der wohl durchdachten Composition des Ganzen
zu geben. Aber sie reichen nicht hin, die edle Charakteristik der
Gestalten, die würdige Bewegung, den ergreifenden Ausdruck zu schil-
dern. Ebensowenig vermögen wir von dem reichen, kräftigen und
dabei doch harmonisch zusammengestimmten, nirgends verletzenden
oder durch einen Einzeleffekt beunruhigenden Kolorit eine Vorstellung
zu geben. Man merkt, daß der junge Künstler die alten italienischen
Meister, besonders Rafael und Daniel da Volterra, fleißig studirt
und ihrem Stylgesetze Manches zu verdanken hat, während Anderes
wieder, z. B. der fein empfundene, edel modellirte Körper Christi
an die Behandlungsweise der Caracci und des Guido Nein erinnert.
Wir haben es also auch hier mit einem Werke zu thun, welches ei-
nen Hauch von Eklekticismus an sich trägt, dabei aber eine solche
Fülle gesunden Lebens, eigener Schöpferkraft und Empfindungswärme
in sich schließt, daß wir, weit entfernt, wie vor den eklektischen
Schöpfungen des vorigen Jahrhunderts erkältet zu werden, vielmehr
im Gemüthe ergriffen und zum Mitgefühl erregt sind. Als Altar-
bild würde das treffliche Werk an seinem rechten Platze sein.

(Fortsetzung folgt.)

Die allgemeine deutsche Gemälde-Ausstellung in München.

in.

Ich kann nicht an die Fortsetzung meiner Arbeit gehen, ohne
ein Wort der Trauer über das gänzliche Fehlschlagen aller auf die
Ausstellung gebauten Hoffnungen. Sie fing so schön an. Man zählte
täglich 600 bis 900 Besucher; schon in den ersten Tagen war die
Zahl von 8000 Loosen eingeschrieben und mehrere Bilder hatten
Käufer gefunden. Da brach aus einer Untiefe, die Keiner gesehen,
ein Feind hervor, an den Niemand gedacht. Zögernd zwar trat
man vor der gefürchteten Seuche den Rückzug au, aber als sie bald
mit gefräßiger Gewalt um sich griff, und Jung und Alt schonungs-
los ergriff, und es schwer und schwerer ward, ihr nur die Hälfte
des Raubes wieder zu entreißen, da bemächtigte sich ein panischer
Schrecken der Bevölkerung. Das eben noch frohbelebte München
verödete; die Einwohner verließen in Schaaren die Stadt; die Gäste
blieben aus; der Zug der unaufhörlich rasselnden Wagen führte nur
Todte; stumm war die Stadt und nur die Glocke des Sacristans
unterbrach das Schweigen der Straßen. Alle Heiterkeit war ver-
schwunden, aller Verkehr stockte; es schien, als solle der Rest der
Bevölkerung in Trauer sich kleiden. Wo blieb da die Stimmung
für die Kunst, die Ruhe, sich in die heiteren Schöpfungen des Ta-
lents zu versenken? Stundenlang saß ich allein mit dem Aufseher
in einem der Bildersäle und machte meine Studien. Kein Bekann-
ter kam und tauschte seine Bemerkungen mit mir aus, kein Fremder
 
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