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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 1.1854

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https://doi.org/10.11588/diglit.1203#0023
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utschen Kunstblattes.

M 5.

Donnerstag, den 9. März.

1834.

Inhalt: Herr Heinrich. Von Otto Roquette. — Johann Huß. Von Karl Ernst.


Herr Heinrich.

Eine deutsche Sage von Otto Roquette.

Stuttgart u. Tübingen bei Cotta. 1854.

Selten ist in Deutschland ein Dichter in so kurzer Zeit allge-
mein beliebt geworden, wie Otto Roquette. „Waldmeisters Braut-
fahrt" durchflog in schnell einander folgenden Auflagen das ganze
deutsche Land und machte den Namen des jungen Dichters alsbald
populär. Man begrüßte das liebliche Gedicht als eine gesunde
Reaktion des Lebens gegen die versistcirte Frömmelei, die forcirte
Verhimmelung der Redwitz'schen Muse, und man hatte Recht darin.
Ein so frischer Hauch naturfroher Poesie hatte lange in unsrem
Dichterwalde nicht geweht, und wenn man auch die lose Verflech-
tung der einzelnen Theile des Märchens nicht für einen künstlerischen
Organismus nehmen konnte, so erquickte man sich darum nicht min-
der gern an dem geistsprudelnden Inhalt der Dichtung und stimmte
in die jubelnden Gesänge ein, die so hell, so jugendmuthig die Lust
des Daseins priesen. Daß aber der Dichter nicht bloß auf lachen-
der Oberfläche zu scherzen, daß er auch den tieferen Inhalt des Le-
bens in glühender Seele zu erfassen wußte, bewies er in seinem
„Tag von St. Jakob". Das tönt uns aus den männlichen Ver-
sen des „Prologs", aus den geharnischten Gesängen dieser Dichtung
entgegen, und es bleibt für die Wirkung des Ganzen, für das pla-
stische Heraustreten der Grundidee nur zu beklagen, daß die Episode
des Verhältnisses von Valentin und Verena zu anmaßlich sich in
den Nahmen der großen geschichtlichen Vorgänge drängte und der
Composition des Werkes wie dem Interesse des Lesers durch Zwie-
spaltung Abbruch that. Trotz dieses Mißgriffes legte auch hier die
ungewöhnlich reiche poetische Begabung des Dichters überall glän-
zende Proben ab, sowohl in treffender Charakteristik der Personen
und in dramatischer Steigerung der Handlung, als in prägnanter
Schilderung der landschaftlichen Scenerie und in einer reich abge-
stuften lyrischen Betonung. Als geradezu meisterhaft verdienen die
„Alphornklänge" bezeichnet zu werden, die dem Gedicht als Einlei-
tung voraufgeschickt sind; denn sie bereiten in künstlerisch vollendeter
Weise auf Haltung und Gang desselben vor, indem sie von der
trefflich angeschlagenen allgemeinen Grundstimmung des Alpenlebens
anhebend bis zur Besonderheit der Stimmung jener Kampftage ge-
langen und in den Schlachtruf der tapferen Schweizer ausklingen.
Hierin wie in manchen anderen Zügen des Gedichtes gab sich ein
feines Gefühl für die Gliederung, für den architektonischen Aufbau
eines Kunstwerkes zu erkennen, und wenn trotzdem der Plan des
Ganzen an jener von uns bezeichneten Zerrissenheit leidet, so hat
dieselbe nicht sowohl in einem mangelnden Talente für Composition,
als vielmehr in einer Sorglosigkeit ihren Grund, die es unterließ,
die Conception der Grundanlage so scharf in's Auge zu fassen, wie

Literatur--Blatt.

eine ins epische Gebiet einschlagende Dichtung sie verlangt. Einmal
in diese Auffassung verstrickt, vermochte kein noch so bedeutendes
Compositionstalent die Mängel, die daraus mit Nothwendigkeit her-
vorwuchsen, zu vermeiden.

Einen weiteren Schritt auf der Bahn verwandter Dichtungs-
art hat Roquette nun in seinem kürzlich erschienenen „Herr Hein-
rich" gethan. Herr Heinrich ist jener erste deutsche Kaiser des
sächsischen Hauses, der neue Begründer des nach dem Untergange
des karolingischen Stammes in gränzenlose Auflösung gerathenen
deutschen Reiches. Das vorliegende Gedicht schildert, wenn wir mit
kurzen dürren Worten seinen Kern bezeichnen sollen, die Jugend und
den innern Entwickelungsgang jenes für Deutschland größten und
segensreichsten Herrschers. Es behandelt also einen Stoff, der wie
nur irgend einer unsre Sympathieen von vornherein für sich erobert,
der bei entsprechender Behandlung sowohl unser poetisches als unser
vaterländisches Interesse mächtig in Anspruch nimmt. Die Wahl
dieses Stoffes ist um so glücklicher zu nennen, je häufiger wir be-
gabte Poeten heutzutage nach dem Entlegensten, Fremdartigsten
Haschen sehen, um daran ihre gestaltengebende Kraft zu versuchen.
Wir sind nun zwar gewiß nicht gemeint, auf poetischem Gebiet schutz-
zöllnerischer Weise Zollschranken zu errichten und den Import aus-
ländischer Stoffe zu verhindern; wir wissen sehr wohl, daß ein wah-
res, allgemein menschliches Interesse, wie die Poesie es als Grund-
lage verlangt, sich nicht an die Begrenzung auf eng nationales Ge-
biet kehrt, und daß die Wünschelruthe des Poeten eben so gut auf
fremdem wie auf heimischem Boden Schätze zu finden vermag: aber
wir müssen uns auch dagegen erklären, wenn man durch einen eroti-
schen Reiz von vorwiegend ethnographischem Interesse, wie es so oft
geschieht, den der poetischen Sympathie ersetzen zu können meint oder
gar daS Eine mit dem Andern verwechselt. Da begegnet es oft,
daß man, im aufdämmernden Gefühl von der unsrem Empfinden
fern liegenden Sphäre des zu behandelnden Stoffes diesem durch pi-
kante Beimischungen eine Art von haut gout zu geben sich veran-
laßt findet, der dann, mit Virtuosität zubereitet, oft einen vorüber-
gehenden Beifall sich wie im Rausch erobert, an nachhaltiger Be-
friedigung aber die Seele arm zurückläßt. Denn es fühlt sich trotz
der höchsten Begabung des Poeten doch immer heraus, wenn dieser
sich selbst künstlich zu seinem Gegenstand hat zwingen müssen, und
bei aller Glätte der Form, bei aller Gewandtheit des „Machwerks"
geht die Dichtung nicht zum Herzen, weil sie nicht vom Herzen
kommt. Solche Poeten sind es denn auch vorzugsweise, welche auf
das alleinseligmachende „Machwerk" pochen und jeden Stoff nur
als ein Vehikel für die Ausbildung ihres Formtalentes, als ein
Problem, mit dem man sich auf geistreiche Weise abzufinden habe,
betrachten.

Solche Verirrungen sind nicht Roquette's Sache. Es ist ein
starker Zug echt deutschen Sinnes in seinem Wesen, und seine bis-

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