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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 1.1854

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JM 9. u. 10.


2

Donnerstag,

den 4. Mai.



1834.

Inhalt: Eritis sicut Deus.

Ein anonymer Roman. —

- Prinz Minnewin. Von W. Müller v. Königswinter. — Zeitung.

Berlin.












Eritis sicut Deus.

Ein anonymer Roman.

Drei Bände. Hamburg, Agentur des Rauhen Hauses. 1854. 8.

Wohl oder übel sind wir Deutsche si'ir die laufende Periode
der Europäischen Geschichte einmal in den Ruf gekommen, das phi-
losophische Volk zu sein und so darf es nicht Wunder nehmen, von
Zeit zu Zeit bei uns auch Romane austauchen zu sehen, welche die
Philosophie selber zu ihrem Gegenstand nehmen. Zu dieser Classe
gehört auch der vorliegende Roman, welcher das Thema der Gutz-
kowschen Wally wieder anfnimmt, daß das Weib dem Untergang
verfällt, wenn es sich der Philosophie bemächtigen will. Er nimmt
aber die Philosophie in derjenigen- radicalen Richtung auf, die bei
uns unter dem Namen der Junghegelschen bekannt genug ist und
stellt als ihren Repräsentanten einen Aesthetiker hin, der Alles nicht
sowohl sub specie aeterni als zunächst sub specie pulcri auf-
faßt, so daß die Schönheit oder Häßlichkeit der Erscheinung noth-
wendig sein wesentlichstes Interesse ausmacht und die Lieferen Fragen
der Philosophie so wie die ernstern Versuche zu ihrer Lösung dage-
gen zurücktreten. Der Roman schlägt von dieser Seite auch in die
Classe der Kunstromane. Dem Philosophen wird ein Maler ge-
genübergestellt. Lebende Bilder, theatralische Aufführungen, Gemälde
aus der heiligen Geschichte, Landschafterei, Poesie, nehmen wohl die
Hälfte des Raumes hin und der eigentliche Gehalt der hierbei ge-
äußerten Betrachtungen gehört ganz der Hegelschen Philosophie an.

Es würde eine sehr weitschichtige Procedur erfordern, das Ur-
theil über diesen Roman durch Belagstellen ans ihm zu motiviren.
Für ein ab kürzend es Verfahren sehen wir uns deshalb genöthigt,
den Inhalt desselben vorweg in gedrängten Zügen anzugeben, weil
wir ohnedem einem mit dem Buch unbekannten. Leser gar nicht ver-
ständlich werden könnten.

Ein junges, schönes, elternlos gewordenes Mädchen- Elisabeth,
lebt bei Verwandten in einer kleinen Stadt. Ein Offizier macht
ihr den Hof. Seine Bewerbungen mißfallen ihr nicht, allein sie
empfindet für ihn keine entschiedene Zuneigung. Ihre Tante neigt
zu einer strengen Orthodoxie, welche ihr Gemüth zu beklemmen be-
ginnt. In dieser Situation wird sie mit einem talentvollen Privat-
docenten der Philosophie, Dr. Robert Schärtel, bekannt, der, von
ihrer Schönheit tief ergriffen, ihre Liebe gleichsam im Sturm er-
obert. Da er sein Auskommen hat, sie auch einiges Vermögen be-
sitzt, so wird auch schnell zur Heirath geschritten. Vor der Hochzeit
auf einem Balle, den sie allein besucht, spricht jener Offizier wäh-
rend des Tanzes seine glühende Liebe zu ihr aus, schützt sie vor-
der Zudringlichkeit und Unverschämtheit eines Andern, begleitet sie
nach Haus, umarmt und küßt sie zum Abschied, duellirt sich ihret-
wegen am andern Morgen und wird erschossen. Sie eilt zu seiner

Mutter, die ihre Theilnahme mit einem Fluch erwidert, der durch
ihr ganzes Leben nachdröhnt und den ersten Keim zu ihrer spätem
Seelenverdüsterung legt.

In der Universitätsstadt lebt sie anfänglich mit ihrem Manne
sehr glücklich, bis ein Maler Bertram in ihre Kreise tritt. Diesen
Maler, einen schönen, feingebildeten, in allen ritterlichen Künsten
meisterlich bewanderten jungen Mann hat der Philosoph schon früher
auf Reisen in Italien kennen gelernt und freuet sich der Erneuerung
seiner Bekanntschaft außerordentlich. Mit entgegenkommendem Wohl-
wollen eröffnet er ihm sein Haus und entzückt sich ebensowohl an
seiner classischen persönlichen Erscheinung, als an den Gesprächen,
die er, der Theoretiker, mit ihm, dem Praktiker, über die Kunst, ihre
Geschichte und ihre Ausübung hat. Elisabeth entwickelt immer mehr
eine von ahnungsvollem Instinct und von Grübelei sonderbar ge-
mischte Natur. Eitel, neidisch, ungeschickt in der Wirthschaft, ist sie
durch ihre süße Schönheit und Liebenswürdigkeit das überschwängliche
Glück ihres Mannes. In die Philosophie, von der sie viel reden
hört, möchte sie auch eindringen, allein ihr Mann, so sehr er sie
liebt, weißt sie bei dein ersten Versuch, den sie mit ihm macht, ent-
schieden ab, indem er erklärt, daß sich für Frauen der Begriff so
wenig passe, als für die Männer die Nadel und daß sie die ein-
fache Wahrheit der Bibel hinnehme und stehen lasse, wie sie steht.
(Bd. 1. S. 261.) Mit dieser Grübelei, wie denn eigentlich die
Philosophie sich zum positiven Glauben verhalte, wird ein zweiter
Keim zu ihrer Entzweiung gelegt.

Der Maler aber verliebt sich von Anfang an in Elisabeth und
sie wird sich allmälig inne, daß auch sie ihn liebt. Jene Auffüh-
rungen lebender Bilder, der Sophokleischen Antigone, Bellinis Ro-
meo und Julie, ein Ausflug auf das Land, ein Unterricht im Laud-
schaftzeichnen, zu welchem die junge Frau Talent hat, bringen die
Liebenden in mannigfache Berührungen. Der Philosoph wird zu-
weilen unruhig, überzeugt sich aber seiner Meinung nach immer
wieder von der Nichtigkeit seines Argwohns und bauet zuletzt auf
die felsenfeste Treue seiner Frau. Die maaßlose Romanleserei der-
selben, welche der Ordnung des Haushaltes zu gefährlich wird, bringt
ihn dazu, ihr selber vorzulesen und das Buch zu verschließen. So
liest er ihr Tristan und Jsölv von Gottfried von Straßburg vor. Sie
aber in ihrer Begierde kann den fragmentarischen Genuß nicht er-
tragen und borgt sich das Buch heimlich vom Maler. Die zufällige
Entdeckung desselben führt zu entsetzlichen Wahrheiten, die Robert
(Bd. II., S. 272) mit den Worten endet, daß sie weder sich selbst
noch ihr Haus regieren könne und daß sie weder sich selbst noch
ihr Haus glücklich machen werde. Dieser Entdeckung folgt aber auch
der Ausbruch der Katastrophe. Mit tiefem Schmerz, weil er den
Maler gar gern hat und weil er das Unglück seiner Leidenschaft
selber tief empfindet, schreibt er ihm die Aufkündigung ihres Um-
gangs (II., 306), weil „wir unaufhaltsam in Schuld und Elend

Literatur-Blatt.

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