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ν. Dobschütz, Christusbilder.
griechischer Artemissagen mit dem Kulte der phrygischen Mutter-
göttin Ma anzunehmen. Die Darstellung der ephesinischen Göttin
als der dea multimammea ist erst jüngeren Ursprunges.1) Mit
dem Palladion hat dies Bild offenbar gar nichts gemein; und
doch haben die christlichen Exegeten der Apostelgeschichte bei
jenem „himmelentstammten Bilde", wenn nicht verkehrte etymo-
logische Spielerei sie vielmehr auf ein Zeusheiligtum hinführte,
lieber an das Palladion als an das Kultbild der „grossen Artemis
der Ephesier" denken wollen: ein interessanter Beleg für das
Übergewicht, welches jene Sage durch ihre litterarische Berühmt-
heit erlangt hatte.
Auch auf ägyptischem Boden begegnen wir jenem Glauben
an himmlischen Ursprung eines Götterbildes in der Ptolemäer-
zeit. Es handelt sich um ein unter Ptolemaios Philadelphos
(283—247) nach Alexandrien überführtes Bild des Serapis.2) Nach
einer Erzählung erschien es dem König im Traum und befahl
selbst seine sofortige Überführung. Der König wusste nicht,
was es für ein Bild sei, noch wo es sich finde. Ein vielgereister
unter den Gelehrten des Hofes aber erkannte nach des Königs
Beschreibung, dass es sich um ein kolossales Bild des Plutos zu
Sinope handele, welches man denn auch mit unsäglicher Mühe nach
Alexandrien schaffte und hier als Serapis ausgab. Die Berichte
sind uneins darüber, ob es aus Sinope am Pontos oder aus dem
syrischen Seleukeia kam: es sollte — so sagte man ■— ein Dank-
geschenk der betreffenden Stadt für eine Unterstützung in schwerer
Hungersnot durch den ägyptischen König sein: aus dem mythischen
Raub ist in historischer Zeit ein nur etwas verhüllter Erwerb
durch Kauf getreten3); der Gedanke der Überführung ist ge-
blieben4), und er ist hier nicht sagenhaft, sondern geschichtlich,
1) Nach 0. Gruppe, Griechische Mythologie2 1897 (Handbuch V 2)
S. 284 findet sich diese Darstellungsforin erst seit der nominellen Herr-
schaft des Mithradates über Ephesos 87—84 v. Chr.
2) Neben Plutarch (64 e) kommt besonders Clem. AI. (74 s) in Betracht,
der eine ganze Anzahl von Überlieferungen .nebeneinanderstellt.
3) Plutarch (64e) scheut sich nicht, von „Diebstahl''und zugleich von
„göttlicher Vorsehung-' zu sprechen.
4) Die einzige Theorie, die, jene Überführung verleugnend, den Versuch
machte, jenem Serapisbilde ägyptische Herkunft zuzusprechen, verzichtete
ν. Dobschütz, Christusbilder.
griechischer Artemissagen mit dem Kulte der phrygischen Mutter-
göttin Ma anzunehmen. Die Darstellung der ephesinischen Göttin
als der dea multimammea ist erst jüngeren Ursprunges.1) Mit
dem Palladion hat dies Bild offenbar gar nichts gemein; und
doch haben die christlichen Exegeten der Apostelgeschichte bei
jenem „himmelentstammten Bilde", wenn nicht verkehrte etymo-
logische Spielerei sie vielmehr auf ein Zeusheiligtum hinführte,
lieber an das Palladion als an das Kultbild der „grossen Artemis
der Ephesier" denken wollen: ein interessanter Beleg für das
Übergewicht, welches jene Sage durch ihre litterarische Berühmt-
heit erlangt hatte.
Auch auf ägyptischem Boden begegnen wir jenem Glauben
an himmlischen Ursprung eines Götterbildes in der Ptolemäer-
zeit. Es handelt sich um ein unter Ptolemaios Philadelphos
(283—247) nach Alexandrien überführtes Bild des Serapis.2) Nach
einer Erzählung erschien es dem König im Traum und befahl
selbst seine sofortige Überführung. Der König wusste nicht,
was es für ein Bild sei, noch wo es sich finde. Ein vielgereister
unter den Gelehrten des Hofes aber erkannte nach des Königs
Beschreibung, dass es sich um ein kolossales Bild des Plutos zu
Sinope handele, welches man denn auch mit unsäglicher Mühe nach
Alexandrien schaffte und hier als Serapis ausgab. Die Berichte
sind uneins darüber, ob es aus Sinope am Pontos oder aus dem
syrischen Seleukeia kam: es sollte — so sagte man ■— ein Dank-
geschenk der betreffenden Stadt für eine Unterstützung in schwerer
Hungersnot durch den ägyptischen König sein: aus dem mythischen
Raub ist in historischer Zeit ein nur etwas verhüllter Erwerb
durch Kauf getreten3); der Gedanke der Überführung ist ge-
blieben4), und er ist hier nicht sagenhaft, sondern geschichtlich,
1) Nach 0. Gruppe, Griechische Mythologie2 1897 (Handbuch V 2)
S. 284 findet sich diese Darstellungsforin erst seit der nominellen Herr-
schaft des Mithradates über Ephesos 87—84 v. Chr.
2) Neben Plutarch (64 e) kommt besonders Clem. AI. (74 s) in Betracht,
der eine ganze Anzahl von Überlieferungen .nebeneinanderstellt.
3) Plutarch (64e) scheut sich nicht, von „Diebstahl''und zugleich von
„göttlicher Vorsehung-' zu sprechen.
4) Die einzige Theorie, die, jene Überführung verleugnend, den Versuch
machte, jenem Serapisbilde ägyptische Herkunft zuzusprechen, verzichtete