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Dobschütz, Ernst von
Christusbilder: Untersuchungen zur christlichen Legende — Leipzig, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.4919#0137
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V. Das Christusbilcl von Edessa.

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lieh einander entgegenstehenden, dann mit einander verknüpften
Legendenformen. Doch davon gleich mehr!

Zunächst müssen wir uns fragen: wie soll man sich das
Auftauchen des Wunderbildes im Jahre 544 vorstellen?

Wir brauchen nicht zu glauben, dass wirklich über dem
Thore ein altes vermauertes Christusbild aufgefunden worden
ist, was man unter Umständen erst ad hoc dorthin gebracht
hätte. Die näheren Umstände der Auffindung gehören sicher
der Legende an. Es ist unmöglich, dass ein Christusbild bei der
Verteidigung der Stadt eine solche öffentliche Rolle spielte, wie
unsere beiden Gewährsmänner uns berichten. Prokop, der zwei
Jahre nach den Ereignissen schreibt, hätte dies dann nicht un-
erwähnt lassen können. Wohl aber ist %es denkbar, dass ein
bestimmter Kreis innerhalb Edessas die allerdings wunderbare
Errettung der Stadt aus der Persernot der schützenden Kraft
eines Christusbildes zuschrieb. Zu der hochgradigen Erregung,
in der fromme Gemüter nach Wundern verlangten, und überall
gern Wunder glaubten, trat die Vorstellung, dass es wunderbar
entstandene Bilder von wunderbar schützender Macht gebe, welche
eben damals die Gedanken der griechischen Christen gefangen zu
nehmen begann. Kamen wirklich auffallende Erfolge der Be-
lagerten gegen die Ungläubigen dazu, so musste die Vorstellung
von dem durch Christus der Stadt gewährten Schutze sich dahin
verdichten, dass ein wunderbares Bild Christi Träger dieser schützen-
den Kraft sei. Hatte man bisher bildlich davon gesprochen, dass
Christus schützend vor der Stadt stehe,1) so setzte sich das jetzt
um in den Gedanken, dass ein Christusbild über dem Thore der
Stadt aufgestellt sei, wo man ja schon früher Kopien des Briefes
Christi thatsächlich als Phylakterien angebracht hatte.2) Die
Heldengestalt, auf die in Edessa alles zurückgeführt wurde, was
man an wertvollem besass, war der alte, durch seinen Verkehr
mit dem Herrn Jesus Christus in der Glorie der Heiligkeit

1) s. 17 c (61).

2) Für den Brief ist die Anbringung am Thore durch die aquitanische
Pilgerin (5 52.90 f.) und Prokop (20 a 32 f.) ganz sichergestellt. Für das Bild scheint
die Aufstellung daselbst rein legendär. Wo wir ihm weiterhin begegnen, ist
es in der Kirche. Selbst im Sinne der Legende müssen wir dasselbe wohl
alsbald nach seiner Auffindung von dem Thore an die heilige Stätte über-
führt denken.
 
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