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Dobschütz, Ernst von
Christusbilder: Untersuchungen zur christlichen Legende — Leipzig, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.4919#0251
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VI. Die Veronica-Legende.

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dieser Stelle zum erstenmal begegnet: danach war Pilatus der
Sohn eines Königs Tyrus von Mainz, gezeugt von Pila, der Tochter
des Müllers Atus, als der König einst im Babenberger Forste
jagte. Am Hofe des Vaters aufwachsend, hatte der Bastard aus
Neid den echten Königssohn erstochen, ebenso dann als Geissei
zu Rom einen Kameraden, den Sohn des französischen Königs
Paynus. Die Römer hatten ihn dann als Statthalter nach der
Insel Pontos gesandt, in der Hoffnung, die dortigen Barbaren
würden ihn umbringen; doch er hatte sie gebändigt. Der Ruf
dieser Herrscherkunst veranlasste Herodes, der mit seinen Juden
nicht fertig werden konnte, ihn zu sich zu rufen. Auch hier
hatte Pilatus bald die Gunst des Volkes und grosse Schätze
erworben, mit deren Hilfe er sich die Herrschaft von Judäa als
Lehen der Römer zu verschaffen wusste: daher die Feindschaft
zwischen Herodes und ihm, die erst beim Tode Jesu ihr Ende
fand.1) — Mag diese Geschichte von unserem Verfasser erfunden,
oder aus einer anderen Quelle übernommen sein,2) jedenfalls hat
er sie geschickt mit dem folgenden verbunden, das er auf Grund
des Uberlieferten so darstellt: Nach Jesu Hinrichtung fühlt
Pilatus doch das Bedürfnis, sich vor Tiberius deswegen zu recht-
fertigen und sendet einen Boten3) an den Kaiser. Dieser aber
wird nach Galizien (in Spanien) verschlagen, wo Vespasian als
Statthalter des Tiberius herrscht. Nach Landesbrauch dem Tode
verfallen, erkauft er sein Leben, indem er dem an Würmern in
der Nase leidenden Vespasian4) von Jesu Heilwundern erzählt.
Vespasian bekennt seinen Glauben, dass Jesus auch ihn heilen
könne; sofort fällen die Würmer zur Erde, worauf Vespasian
beschliesst, mit des Kaisers Erlaubnis Jesu Tod an den Juden
zu rächen. Inzwischen hatte der an Aussatz leidende Kaiser
Tiberius gerüchtweise von Jesu Wundern erfahren und schickte

1) s. Lc. 2312.

2) Sie hat eine Parallele an der — sehr häufig damit verbundenen —
lateinischen Prosadarstellung der Judas-Ischariot-Legende, nur dass diese
offenbar eine gelehrte Konzeption auf Grund der Oedipus-Motive ist, während
der Pilatuslegende ein solches Vorbild fehlt.

3) Der Name schwankt sehr: statt der verbreitetsten Form Adrianus
(8 codd. plur., 42) hat ein Teil der Handschriften von 8 Adanus (vielleicht
ursprünglich), Adranus 8ncl 41, Albanus 49 b. Keinen Namen bieten 14. 48.

4) α vespis dicebatur Vespesianus 8. t
 
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