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ν. Dobschütz, Christusbilder.
das nun seine ganze Gestalt zeigte, und zwar mit dem besonderen
Wunder, dass am Karfreitag zu verschiedenen Stunden Jesu Figur
in den verschiedenen Lebensaltern darauf zu sehen war. Mag
diese eigenartige Ausgestaltung auf die Legenden von dem Ab-
druck des Körpers auf dem Leichentuch oder sonst auf fremde
Einflüsse zurückgehen, es ist offenbar, dass sie, trotz der direkten
Berufung auf Pilgerberichte, nicht aus Edessa selber stammen kann.
Einen neuen Anstoss, zu den Legenden des Orientes Stellung
zu nehmen, erhielt das Abendland durch die Kreuzzüge. Waren
bisher nur einzelne Pilger als Vermittler dieser frommen Sagen-
welt thätig gewesen, jetzt waren es ganze Heere, und mit ihnen
fahrende kirchliche und politische Persönlichkeiten, welche neben
den Trophäen ihrer Siege über die Ungläubigen tausende von
Wundergeschichten aus dem heiligen Lande mit heimbrachten.
Auch Edessa ward in die Bewegung der Kreuzzüge mit ver-
wickelt.1) Bohemunds Bruder Balduin, der nachmalige König
von Jerusalem, gewann noch im Jahre 1097 98 dort eine Herr-
schaft, zunächst so, dass ihn der türkische Vasallenfürst Thoros I.
(Theodoros) an Sohnesstatt annahm. Im März 1098 ermordeten
diesen die Edessener und seitdem regierte Balduin als selbständiger
Graf von Edessa, bis er nach Bohemunds Tode (1100) selbst den
Königsthron von Jerusalem bestieg, Edessa an Balduin von Burg
abgebend, dem dann Josselin I. und dessen Sohn Josselin II. folgte,
bis im J. 1144 am 28. Nov. der Emir Zengi von Mosul Edessa wieder
für die Herrschaft des Islam zurückgewann, worauf die Franken
die verlorene und völlig verwüstete Grafschaft 1152 in aller Form
dem byzantinischen Kaiser Manuel Komnenos abtraten;
Es ist nun sehr merkwürdig und höchst beachtenswert, dass
die älteren Berichterstatter, darunter ein direkter Augenzeuge,
Balduins Kaplan Fulcher von Carnot, wohl die Wichtigkeit
Edessas als der bekannten Metropole des Euphratlandes betonen,
aber nichts von seinen Heiligtümern sagen, während die legen-
darischen Traditionen Edessas erst bei späten, aus sekundären
1) H. von Sybel, Geschichte des ersten Kreuzzuges1 1841, 374—381;
B. Kugler, Geschichte der Kreuzzüge1 1880, 43; R. Duval, Jouin. Asiat.
XIX, 1892, 100—102; G. Dodu, Histoire des institutions monarchiques dans
le royaume latin de Jerusalem, Paris 1894, 78—SO. R. Röhricht, Geschichte
des Königreichs Jerusalem, 1898, 8f.
ν. Dobschütz, Christusbilder.
das nun seine ganze Gestalt zeigte, und zwar mit dem besonderen
Wunder, dass am Karfreitag zu verschiedenen Stunden Jesu Figur
in den verschiedenen Lebensaltern darauf zu sehen war. Mag
diese eigenartige Ausgestaltung auf die Legenden von dem Ab-
druck des Körpers auf dem Leichentuch oder sonst auf fremde
Einflüsse zurückgehen, es ist offenbar, dass sie, trotz der direkten
Berufung auf Pilgerberichte, nicht aus Edessa selber stammen kann.
Einen neuen Anstoss, zu den Legenden des Orientes Stellung
zu nehmen, erhielt das Abendland durch die Kreuzzüge. Waren
bisher nur einzelne Pilger als Vermittler dieser frommen Sagen-
welt thätig gewesen, jetzt waren es ganze Heere, und mit ihnen
fahrende kirchliche und politische Persönlichkeiten, welche neben
den Trophäen ihrer Siege über die Ungläubigen tausende von
Wundergeschichten aus dem heiligen Lande mit heimbrachten.
Auch Edessa ward in die Bewegung der Kreuzzüge mit ver-
wickelt.1) Bohemunds Bruder Balduin, der nachmalige König
von Jerusalem, gewann noch im Jahre 1097 98 dort eine Herr-
schaft, zunächst so, dass ihn der türkische Vasallenfürst Thoros I.
(Theodoros) an Sohnesstatt annahm. Im März 1098 ermordeten
diesen die Edessener und seitdem regierte Balduin als selbständiger
Graf von Edessa, bis er nach Bohemunds Tode (1100) selbst den
Königsthron von Jerusalem bestieg, Edessa an Balduin von Burg
abgebend, dem dann Josselin I. und dessen Sohn Josselin II. folgte,
bis im J. 1144 am 28. Nov. der Emir Zengi von Mosul Edessa wieder
für die Herrschaft des Islam zurückgewann, worauf die Franken
die verlorene und völlig verwüstete Grafschaft 1152 in aller Form
dem byzantinischen Kaiser Manuel Komnenos abtraten;
Es ist nun sehr merkwürdig und höchst beachtenswert, dass
die älteren Berichterstatter, darunter ein direkter Augenzeuge,
Balduins Kaplan Fulcher von Carnot, wohl die Wichtigkeit
Edessas als der bekannten Metropole des Euphratlandes betonen,
aber nichts von seinen Heiligtümern sagen, während die legen-
darischen Traditionen Edessas erst bei späten, aus sekundären
1) H. von Sybel, Geschichte des ersten Kreuzzuges1 1841, 374—381;
B. Kugler, Geschichte der Kreuzzüge1 1880, 43; R. Duval, Jouin. Asiat.
XIX, 1892, 100—102; G. Dodu, Histoire des institutions monarchiques dans
le royaume latin de Jerusalem, Paris 1894, 78—SO. R. Röhricht, Geschichte
des Königreichs Jerusalem, 1898, 8f.