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Dobschütz, Ernst von
Christusbilder: Untersuchungen zur christlichen Legende — Leipzig, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.4919#0307
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VII. Schlussbetrachtung.

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unter Abstossung des jedem von ihnen eigenen, dabin, dass als
die beiden wunderbar entstandenen Christusbilder eben das Abgar-
und das Veronicabild galten. Diese schon von der populären
Gelehrsamkeit des Reformationszeitalters vertretene Formel lag
wieder als das Resultat einer langen Entwicklung vor, als zu
Beo-inn unseres Jahrhunderts die wissenschaftliche Behandlung
dieses Legendenkreises anhub. Denn was protestantischerseits,
besonders von reformierten Theologen, jenen katholischen Werken
entgegengesetzt worden war,1) hatte doch nur die Bedeutung,
die geschichtliche Unhaltbarkeit jener Legenden aus dem Mangel
der Überlieferung darzuthun. Über diese negative Seite wollte
sich die Polemik gar nicht erheben; der Legende als solcher ein
positives Verständnis abzugewinnen, lag ihr so fern wie dem
Rationalismus des vorigen Jahrhunderts.2) Erst die deutsche
Romantik hat die Vorbedingungen hierfür geschaffen. Es war
kein Geringererais der Altmeister der Germanistik, Wilhelm Grimm,
der die hohe Bedeutung unserer Legenden für das religiöse Denken
wie für die Kunstübung des Mittelalters erkannte und „die Sage
vom Ursprung der Christusbilder" in seiner meisterhaften Weise
untersuchte.3) Hier wird zum erstenmal klar herausgestellt,
dass die ältere Veronicalegende nichts von dem schmerzvollen
Antlitz weiss und die Bedeutung dieser Thatsache für die kunst-
geschichtliche Betrachtung umfassend dargelegt. Hier wird zu-
gleich auf den merkwürdigen Parallelismus hingewiesen, der
zwischen der Abgar- und der Veronicalegende besteht. Jene ist

1) Vgl. S. 264, dazu Casaubonus (s. S. 158*) und Vossius (s. S. 2S6 A. 4),
der II6sp. 251—254 in schlagender Kürze den Beweis mangelhafter Tra-
dition führt.

2) Als charakteristisches Beispiel für dessen Legendenverachtung sehe
man Minerva, 1829, Dec. 483.

3) s. S. 160*. Die hervorragende Bedeutung dieser Schrift liegt in
der Zusammenfassung der litterarhistorisehen und kunstgeschichtlichen
Seite der Frage, wie sie kein Späterer wieder zusammen zu überschauen
vermocht hat. Eben hierin liegt freilich nach unserer Auffassung auch
eine Schwäche der Darlegung: der Nachweis ist nicht erbracht, dass diese
wunderbar entstandenen Bilder typusbildend gewirkt haben. Ausserdem
verfügte Grimm über eine sehr beschränkte Zahl litterar-historischer Quellen
(9 für Veronica und 7 für Abgar; Schoenbach dagegen für jene 46, Tixe-
ront für diesen 47) und schöpfte offenbar ausser auf seinem eigensten Ge-
biete meist aus 2. Hand.
 
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