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V.

ZUR BAUGESCHICHTE DES ERECHTHEIONS
IN GRIECHISCHER UND RÖMISCHER ZEIT

Die im vorigen Abschnitt aufgezählten Bauten, Altäre, Kultmale, Gräber und Bezirke ergeben
zusammen das Bild, das die ältesten Heiligtümer Athens, in der Mitte der Nordhälfte des
Burgfelsens dicht beieinander liegend, in der ersten Zeit nach der Abwehr des Persersturmes
darboten. Diese im Laufe mehrerer Jahrhunderte allmählich bis zur gegenseitigen Durch-
dringung unorganisch aneinandergewachsene Ansammlung von Kultplätzen mag zu Beginn
der klassischen Blüte Athens keinen sehr ehrfurchtgebietenden, geschweige denn monumen-
talen Eindruck gemacht haben. Die Dissonanzen werden nach der Perserzerstörung trotz
sofortiger Ausbesserungen und Erneuerungen noch krasser erschienen sein. Der mit seiner
wuchtigen Masse alles beherrschende „Alte Tempel" war so arg beschädigt worden, daß sich
eine gründliche Wiederherstellung in den alten Formen nicht mehr empfahl. Ein Teil seines
Gebälkes war zunächst beim eiligen Wiederaufbau der Burgmauer mitverwendet und absicht-
lich so im alten Zusammenhang nebeneinander eingemauert worden, daß es als Mahnmal an
die Zeiten größter Not von der Stadt aus zu sehen war. Der Entschluß, durch einen stattlichen
Neubau auch an dieser Stelle Wandel und Ordnung zu schaffen, wird also damals schon nahe-
gelegen haben und muß in einer Zeit, als südlich davon der Parthenon in seiner dritten und
endgültigen Form größer und schöner als vorher geplant wiedererstand, besonders leicht
durchzusetzen gewesen sein. Es gibt keine sichere Nachricht über den genauen Zeitpunkt des
Baubeginns, deshalb schwanken die Meinungen zwischen den beiden Möglichkeiten: entweder
vor Ausbruch des Peloponnesischen Krieges etwa um 435 oder in der kurzen Ruhezeit nach 421
während des Nikiasfriedens. Wilhelm Dörpfeld ist stets für das ältere Datum eingetreten,
wofür sich in der Tat die Anzeichen häufen. Zunächst liegt der Gedanke nahe, daß nach
Fertigstellung des Parthenon die Masse der frei werdenden Handwerker und Arbeiter sofort
vor neue Arbeiten gestellt wurde. Daß die Propyläen in den letzten 4 Friedensjahren bis
433/32 im wesentlichen so fertiggestellt wurden, wie sie bis zur Spätantike unverändert be-
standen und heute noch in Grundriß und Aufbau lückenlos zu ergänzen sind, ist bekannt. Die
Beschneidung der Flügelbauten — eher aus religiösen als aus politischen Gründen — muß
also ebenfalls schon in diesen Jahren gegen den Willen des Bauherrn Perikles von seinen
Gegnern durchgesetzt worden sein. Diese Feststellung ist wichtig, weil grundsätzlich die
gleichen Schwierigkeiten auch die Bauausführung des Erechtheions beeinflußten. Das ist
selbst an dem heute erhaltenen Abschluß des Baues im Westen deutlich zu erkennen und gilt
umsomehr für den ursprünglichen Plan, der noch weitere 25 m weiter nach Westen ausgriff.
Schon diese Gleichartigkeit der Neubau-Schicksale setzt auch eine Gleichzeitigkeit der Pro-
jekte voraus, denn angenommen, das Erechtheion sei erst ein Jahrzehnt nach den Propyläen
geplant, so hätte diese späte Planung von Anfang an die Bedingungen der konservativen
Priesterschaft — hier des Pandrosos-Tempels, des Kekropions, des Zeus Herkeios und des
Ölbaums, so wie es bei den Propyläen die Priesterschaft der Artemis und der Nike Apteros
war — zu erfüllen gehabt. Es kann sich unmöglich im Laufe einer Generation zweimal dasselbe
merkwürdige Spiel abrollen, daß eine starke „weltlich"-rücksichtslose Partei einen großen
Bau beginnt, der noch in den Fundamenten von einer „geistlichen" Reaktion gestört wird.
Dazu kommen einige stilistische Einzelheiten, die man immer schon beobachtet hat, wie die

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