BERTEL THORWALDSEN.
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Ein Werk, in weichem der Gegenfatz zu Canova entfchieden mit einer ge-
wiffen Härte ausgeprägt erfcheint, ih die Gruppe der Grazien (181/ modellirt).
Offenbar war Thorwaldfen bei diefem Werk von feinem Genius nicht befonders
wohl berathen. Man erwartet in ihm den Inbegriff der höchflen Anmuth zu
erblicken und findet hch durch eine Herbigkeit der Behandlung befremdet, die
des Reizes allzufehr entbehrt. In dem Streben, jeden falfchen Reiz von dem
Werke fern zu halten, ifl der Künftler in der That beinahe ins Reizlofe verfallen.
Die Gehalten find von einer faft mageren Schlankheit, die Bildung der Formen
hat etwas Hartes, ihre Konture find nur wenig bewegt und entwickelt, die Kom-
pofition im Ganzen läfst einen weichen, anmuthigen Flufs der Finien vermiffen.
Obfchon auch diefes Werk von den Verehrern des Künfllers lebhaft gepriefen
wurde, fchien er felbfl doch nicht völlig von ihm befriedigt. Noch in fpätem
Alter (1842) nahm er eine Umarbeitung der Gruppe vor, die hauptfächlich darin
behänd, dafs er verbuchte, der Gehalt der mittleren Grazie eine leichtere und
bewegtere Haltung zu geben. Doch kann man nicht behaupten, dafs die Kom-
pofition durch diefc Umarbeitung wefentlich gewonnen hätte.
Zu den reizvollhen Werken des Ktinhlers gehört die Gehalt der Hebe; he
ih als Mundfchenkin der Götter dargehellt, wie he in der Linken anmuthig die
Nektarfchale erhebt, während he den Krug in der gefenkten Rechten hält. In die-
fem lieblichen Bild unfchuldiger, keufcher Jugend ih keine Linie, die nicht den
Eindruck dervollkommenhen ungefuchtehen Wahrheit machte. Vonbefonderer
Schönheit ih die einfache Behandlung des Gewandes, das, nur die Arme völlig
frei Iahend, die zarten Formen des Körpers anmuthig verhüllt.
Thorwaldfens Bedeutung auf dem Gebiete der Reliefbildnerei ih jederzeit
auf das unbedingtehe anerkannt worden. Während Canova auf diefem Gebiet
geradezu unbedeutend erfcheint, find Thorwaldfen's Reliefcompohtionen grossen-
theils den vorzüglichhen Feihungen der modernen Plahik zuzuzählen. Sie zeigen
einen Reichthum künhlerifcher Erfindung, eine Meiherfchaft der Behandlung,
die allein fchon genügen würden, den Ruhm feines Namens dauernd zu hchern.
Der etwas feltfame Ehrentitel wpatriarca del bassorilievoa, den die Römer
Thorwaldfen gaben, follte ohne Zweifel nicht blofs feine hervorragende Stellung
im Gebiet diefer Kunhgattung im Allgemeinen bezeichnen, fondern zugleich
andeuten, dafs er auf die hrengen Normen des alten Reliefhils zurückging, die
urfprünglichen, in der erhen Bltithezeit der griechifchen Kunh gütigen Regeln der
Reliefbildnerei wieder zumGefetz erhob. Die Natur des Reliefs, das gewiffermafsen
eine Mittelform zwifchen Malerei und Plahik bildet, macht es erklärlich, dafs im
Verlauf feiner gefchichtlichen Entwicklung eine Richtung ins Malerifche ziemlich
früh hervortrat. Noch innerhalb der griechifchen Kunh machte hch diefe Tendenz
bemerklich. Späterhin, namentlich in der Renaiffancezeit, wurde die malerifche
Behandlung des Reliefs ganz lyhematifch ausgebildet, indem man die Gefetze
der Linearperfpective dem Relief anpafste und die räumlichen Hintergründe
der Figuren nach Art von Gemälden behandelte. Bekannt ih, dafs hch unter
den Reliefdarhellungen diefer Art manche der ausgezeichnethen Schöpfungen der
Renaihanceplahik befinden. Gewiffe Grenzen wurden bei diefer malerifch freien
Darhellungsweife noch immer eingehalten, namentlich infofern, als man die land-
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Ein Werk, in weichem der Gegenfatz zu Canova entfchieden mit einer ge-
wiffen Härte ausgeprägt erfcheint, ih die Gruppe der Grazien (181/ modellirt).
Offenbar war Thorwaldfen bei diefem Werk von feinem Genius nicht befonders
wohl berathen. Man erwartet in ihm den Inbegriff der höchflen Anmuth zu
erblicken und findet hch durch eine Herbigkeit der Behandlung befremdet, die
des Reizes allzufehr entbehrt. In dem Streben, jeden falfchen Reiz von dem
Werke fern zu halten, ifl der Künftler in der That beinahe ins Reizlofe verfallen.
Die Gehalten find von einer faft mageren Schlankheit, die Bildung der Formen
hat etwas Hartes, ihre Konture find nur wenig bewegt und entwickelt, die Kom-
pofition im Ganzen läfst einen weichen, anmuthigen Flufs der Finien vermiffen.
Obfchon auch diefes Werk von den Verehrern des Künfllers lebhaft gepriefen
wurde, fchien er felbfl doch nicht völlig von ihm befriedigt. Noch in fpätem
Alter (1842) nahm er eine Umarbeitung der Gruppe vor, die hauptfächlich darin
behänd, dafs er verbuchte, der Gehalt der mittleren Grazie eine leichtere und
bewegtere Haltung zu geben. Doch kann man nicht behaupten, dafs die Kom-
pofition durch diefc Umarbeitung wefentlich gewonnen hätte.
Zu den reizvollhen Werken des Ktinhlers gehört die Gehalt der Hebe; he
ih als Mundfchenkin der Götter dargehellt, wie he in der Linken anmuthig die
Nektarfchale erhebt, während he den Krug in der gefenkten Rechten hält. In die-
fem lieblichen Bild unfchuldiger, keufcher Jugend ih keine Linie, die nicht den
Eindruck dervollkommenhen ungefuchtehen Wahrheit machte. Vonbefonderer
Schönheit ih die einfache Behandlung des Gewandes, das, nur die Arme völlig
frei Iahend, die zarten Formen des Körpers anmuthig verhüllt.
Thorwaldfens Bedeutung auf dem Gebiete der Reliefbildnerei ih jederzeit
auf das unbedingtehe anerkannt worden. Während Canova auf diefem Gebiet
geradezu unbedeutend erfcheint, find Thorwaldfen's Reliefcompohtionen grossen-
theils den vorzüglichhen Feihungen der modernen Plahik zuzuzählen. Sie zeigen
einen Reichthum künhlerifcher Erfindung, eine Meiherfchaft der Behandlung,
die allein fchon genügen würden, den Ruhm feines Namens dauernd zu hchern.
Der etwas feltfame Ehrentitel wpatriarca del bassorilievoa, den die Römer
Thorwaldfen gaben, follte ohne Zweifel nicht blofs feine hervorragende Stellung
im Gebiet diefer Kunhgattung im Allgemeinen bezeichnen, fondern zugleich
andeuten, dafs er auf die hrengen Normen des alten Reliefhils zurückging, die
urfprünglichen, in der erhen Bltithezeit der griechifchen Kunh gütigen Regeln der
Reliefbildnerei wieder zumGefetz erhob. Die Natur des Reliefs, das gewiffermafsen
eine Mittelform zwifchen Malerei und Plahik bildet, macht es erklärlich, dafs im
Verlauf feiner gefchichtlichen Entwicklung eine Richtung ins Malerifche ziemlich
früh hervortrat. Noch innerhalb der griechifchen Kunh machte hch diefe Tendenz
bemerklich. Späterhin, namentlich in der Renaiffancezeit, wurde die malerifche
Behandlung des Reliefs ganz lyhematifch ausgebildet, indem man die Gefetze
der Linearperfpective dem Relief anpafste und die räumlichen Hintergründe
der Figuren nach Art von Gemälden behandelte. Bekannt ih, dafs hch unter
den Reliefdarhellungen diefer Art manche der ausgezeichnethen Schöpfungen der
Renaihanceplahik befinden. Gewiffe Grenzen wurden bei diefer malerifch freien
Darhellungsweife noch immer eingehalten, namentlich infofern, als man die land-