Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Dohme, Robert
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit: Biographien u. Charakteristiken (4,1): Kunst und Künstler der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1886

DOI article:
Eggers, Friedrich: Johann Gottfried Schadow und Christian Daniel Rauch
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.36323#0199
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
KUNSTGESCHICHTLICHE PARALLELE.

93

er bei aller Anerkennung des grofsen Dänen gleichwohl über keinen Kunftgenoffen
herbere Urtheile fällt, als über Thorwaldfen. ((Durch die Natur verführt", — fo
fagt er bei Erwähnung feiner eigenen Arbeit, welche als Nymphe Salmacis lange
Thorwaldfen zugefchrieben wurde, — ((wird man nicht, wie Thorwaldfen in einer
Imitation des idealen Stils der Antike verbleiben, fondern feine Originalität dar-
bieten " Alfo im Idealen erfchien Thorwaldfen ihm nicht originell, und im Realen
(was Schadow konfequent mit Kprofaifch" bezeichnet) ungefchickt. ((Von dem
grofsen Meifter Thorwaldfen konnte man fagen, wie er das Profaifche (nämlich
am Guttenberg-Denkmal) ungefchickt durchführte."
Zu beiden Heroen der Plaflik trat nun Rauch mit feiner Kuntl in eine ver-
mittelnde, verföhnende Stellung, infofern er den Anforderungen der Kunft nach
beiden Seiten hin, nach der idealen wie nach der realen, mit Meifterfchaft gerecht
ward; zugleich aber erfcheint er in einem ganz augenfälligen Gegenfatz, der feine
tiefere Begründung findet gerade in dem grundverfchiedenen Verhältnifs der drei
KünfHer zu ihrer Zeit und zu ihrem Volke, in der Ausprägung ihres National-
gefühls und deffen Einwirkung auf ihre Kunft.
Thorwaldfen, als Däne geboren, ging als Penfionär der Akademie von Kopen-
hagen noch in jugendlichem Alter nach Rom und behielt diefen dauernden Mittel-
punkt feiner Wirkfamkeit bis fünf Jahre vor feinem Tode. Einer Staatsangehörig-
keit ift er hch nach Ablauf feines dreijährigen Reifeftipendiums ferner nicht mehr
bewufst geworden. Er war fein Leben lang Mitglied der internationalen Künftler-
Kolonie Roms, in vorzugsweifem Verkehr mit Deutfchen, insbefondere im Haufe
Humboldt's, fo dafs feine allgemeine Bildung wefentlich deutfche Färbung erhielt.
Doch ift er weder Deutfcher, noch Römer geworden, noch endlich Däne ver-
blieben. Das Land der Hellenen war fein geiftiges Vaterland, ein anderes kannte
er nicht, und bei folcher Negation jeglichen lebendigen Nationalgefühls konnte
feine Kunft von diefem Gefühl kein Gepräge hernehmen. Grofs und unvergäng-
lich blieb fie in der Verkörperung der allgemeinen Schönheitsideale, wie es die
griechifchen Götter find, und unter diefen wird zu feiner bevorzugten Idealgeftalt
Eros, der Vertreter des allgemeinften und göttlichften Gefühls, das die Menfchen-
feele belebt.
Bei Schadow fehen wir das Nationalgefühl nicht negirt, aber dem Staats-
bürger-Verhältnifs in einem abfoluten Staate entfprechend im Zuftande des In-
differentismus, noch nicht zu lebendigem Dafein erwacht. Soll man dies Deficit
mit verantwortlich machen für den Mangel eines weiteren Entwickelungsganges in
feiner Kunft, nachdem er fchnell zum Meifter gereift war? — Es ift jedenfalls
auffällig, dafs auch Thorwaldfen fofort mit feinem Jafon die Stufe der Meifter-
fchaft in dem ihm eigenen Gebiete betrat, welche er nie mehr übertroffen hat.
Seine Werke im Gebiete der chriftlichen Kunft waren ficher keine Fortfehritte, und
diejenigen im Gebiete der Porträtplaftik bleiben unter dem Niveau feines Kunft-
vermögens. Dafs aber an fich das Nationalgefühl ein kräftiger Hebel zum Fort-
fchritte fein kann, wer wollte dies leugnen? Und für Rauch's Entwickelung in
feiner Kunft fcheint uns diefe Funktion deffelben fich augenfällig in den Haupt-
perioden feines Schaffens auszufprechen. Auf die römifchen Wanderjahre folgte
die Periode der vorzugsweife iiiftorifchen Schöpfungen, in welchen wir das fort-
 
Annotationen