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Dohme, Robert
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit: Biographien u. Charakteristiken (4,1): Kunst und Künstler der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1886

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Schmarsow, August: Pierre-Jean David d'Angers: geb. zu Angers d. 12. März 1788, gest. in Paris d. 5. Januar 1856
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https://doi.org/10.11588/diglit.36323#0235
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POLITISCHES SCHICKSAL UND ENDE.

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des Kanaris auszuführen, bei der er feinen Gram zu vergeffen hoffte. Aber das
Weh der Verbannung brach ihm das Herz; als er 1853 heimkehren durfte, kann-
ten ihn die Seinen, die ihm entgegengeeilt, kaum wieder. Noch einmal verfuchte
er zu arbeiten; die Statue Purry's für Neuchätel wurde vollendet, mehrere Ent-
würfe gezeichnet und modellirt. Das Bildnifs Daniel Manins, des letzten Dogen
von Venedig, der in Paris italienifchen Unterricht gab, fchlofs die lange Reihe
feiner Medaillons; fein letzter Befuch galt der Vaterfladt Angers, in deren Mu-
feum, das feinen Namen trägt, er noch einmal die Thätigkeit feines Künfllerlebens
überfchaute. Rührende Dankbarkeit für die PenPon, die ihm einfl feine Fort-
bildung ermöglicht, treue Anhänglichkeit an feine Heimath hatten ihn ver-
anlafst eine Kopie all feiner Arbeiten hierher zu fenden. Die erften Probe-
ftücke waren gar im Original, manches in Marmor oder Bronze, die lange Reihe
der fpäteren Werke in Gips vorhanden. Jetzt ifl ihre Zahl noch vervollPändigt,
und diefe Vereinigung fämmtlicher Schöpfungen eines fo fruchtbaren KünPlers
hat kaum ihresgleichen. Der Anblick deffen, was er geleiftet, regte ihn zu neuen
Plänen an; er wollte von jetzt ab nur noch für fein geliebtes Angers thätig fein.
Doch die Grenze war erreicht. Im AuguP 18$$ war er in Angers; am 5. Januar
i8$6 ifl er geflorben.

Ueberblicken wir das Leben eines Künfllers, das mit folcher Entfchieden-
heit und Confequenz einer felbflgewählten Aufgabe gewidmet war, fo ergiebt
lieh fein Charakter und feine Stellung zu den Zeitgenoffen wie von felbfl. David
d'Angers gehört fchon völlig der neuen Zeit. Das Ideal feines Wollens, die hiPo-
rifche Kunft, ifl ein ganz modernes. Auf der Schwelle der Revolution geboren,
in Armuth und Entfagung für die Freiheit erzogen, bleibt er ihr bewundernder
Anhänger. Ohne recht klare Begriffe von den allgemeinen Ideen, die ihre Folge
fein mufsten, identiheirt er diefe mit den Hauptperfonen jener Zeit; für die Män-
ner von 1789 hegt er eine Art von Kultus und erkennt als ihren würdigen Nach-
folger, werjimmer nach dem Beifpiel diefer fein Leben der Vertheidigung des
Fortfehrittes, der Freiheit, des Vaterlandes weiht, wer lieh bemüht die Menfch-
heit aufzuklären oder zu entzücken. Ihnen gehört feine Begeifterung, ihrer Ver-
herrlichung fein Schaffen. Solch eine Kunft aber Prebt nach innigem Zufammen-
hang mit dem geifligen Leben der Nation, nach Wechfelwirkung mit der Gegenwart.
Für ein fo lebhaftes Temperament wie Pierre-Jean David konnte das gar
nicht anders fein. »Un marbre ou un bronze fait avec äme est un ßambeau ä
guider les nations«. Er kann fich das Dafein nicht vorPellen ohne Bewegung;
auf die lebendige Offenbarung des Innern, auf den Charakter, das Individuelle,
geht feine ausgefprochene Begabung.'- So fand er fich felbfl, fein liebftes Wollen
und beftes Können im Widerfpruch mit dem, was die Schultradition damals lehrte
und verlangte. Die treuej Darftellung hiPorifcher Perfönlichkeiten vertrug Pch
nicht mit dem zeitlofen Kanon der Antike, die man als abfolutes Vorbild aufge-
Pellt, fein Drang nach ergreifendem Ausdruck, fein Bedürfnifs, den Pulsfchlag
des Lebens felbP zu fühlen, nicht mit der Ruhe und Gemeffenheit, die man vor
allem bewunderte.

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