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Dohme, Robert
Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit: Biographien u. Charakteristiken (4,1): Kunst und Künstler der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts — Leipzig, 1886

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Rosenberg, Adolf: François Rude: geb. am 4. Januar 1784 in Dijon, gest. am 3. November 1855 in Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.36323#0260
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20 FRANgOISRUDE.

hatte, kann man fo recht begreifen, wenn feine Schüler an ihm rühmten, dafs
er allgemeine Typen durch den Ausdruck perfönlicher Empfindungen zu indi-
vidualifiren wufste. Der Aufbau der Gruppe ifl von vollendeter Harmonie in
den Umrifslinien, fo dafs nach der Seite äufserer Schönheit diefes Werk über
jeden Einwand erhaben ifl, wenn es auch kein wirklich religiöfes Gemüth be-
friedigen und erheben kann. Aufser diefer Arbeit hat er nur noch zwei Werke
religiöfen Inhalts gefchaffen: die Bronzegruppe eines Calvarienberges auf dem
Hochaltar der Kirche St. Vincent de Paul in Paris und die feltfame, in Marmor
ausgeführte Halbfigur eines Chriflus am Kreuz, welche vielleicht als Vorfludie
zu jenem bronzenen Kruzifix gedient hat. Wann diefes jetzt im I.ouvre befind-
liche Werk entftanden ifl, vermögen wir nicht zu lagen, weil Rüde es unterliefs,
feine Arbeiten mit einer Jahreszahl zu bezeichnen. Er ging fogar in feiner Be-
fcheidenheit, welche auch ein Grundzug feines wahrhaft antiken Charakters war,
fo weit, dafs er nicht einmal feine Werke mit feinem Namen verfall. "Wenn fie
es werth find«, pflegteer zu lagen, wwird man meinen Namen fpäter darauf fetzen.c
Jedenfalls ifl diefer Chriflus aber erft zu einer Zeit in Marmor ausgeführt worden,
als Rüde die antike Ueberlieferung mit dem modernen Naturalismus fo innig
verfchmolzen hatte, dafs fleh kein Zwiefpalt mehr daraus ergab. Jener Chriflus
in Marmor ftöfst zunächfl durch feine bizarre Kompofition ab. Er foll den Ein-
druck eines Fragments machen, welches nicht durch einen Zufall, fondern durch
die Abficht des Bildhauers unvollendet geblieben ifl. Die Arme find zwilchen
dem Ende des Schulterblatts und der Achfelhöhle glatt abgefchnitten, und der
Oberkörper ifl nur bis zum Ende der Rippen vorhanden. Von da ab ifl noch
ein fchmaler Streifen unbearbeiteten Marmors zu fehen, welcher unmittelbar auf
der Bafis auffitzt. Carpeaux, ein Schüler Rüdes, und andere moderne Franzofen
und Italiener haben uns inzwifchen an folche Extravaganzen, welche nicht durch
den Hinweis auf die florentinifche Skulptur des fünfzehnten Jahrhunderts ent-
fchuldigt werden können, gewöhnt. Rüde fcheint aber der erfle unter den Neueren
gewefen zu fein, welcher auf dielen feltfamen Gedanken verfallen ifl. Setzt man
fich über die befremdliche, übrigens mit durchdringender Formenkenntnifs be-
handelte Aufsenfeite hinweg, fo frappirt zunächfl die tiefe Empfindung, welche
aus dem Antlitz des fterbenden Erlöfers zu unterem Herzen fpricht. Hier hat
der Künftler zum erften und einzigen Male eine der Würde und Hoheit des
Gegenflandes entfprechende, plaflifche Verfinnlichung eines religiöfen Motivs
gefunden, wobei nur zu beklagen ifl, dafs er durch die äufsere Conception den
Gefammteindruck flark beeinträchtigt hat.
Auf die Gruppe für die Madeleinekirche folgte im Jahre 1842 ein Werk,
welches, obwohl ganz aufserhalb des Kreifes liegend, in dem fich Rüde bisher
auf Grund feiner Neigung und der ihm zu Theil gewordenen Aufträge bewegt
hatte, doch zu feinen vollendetflen gehört, die filberne Statue Louis' XIII. als
eines Jünglings von fiebenzehn Jahren für den Herzog von Luynes. Der junge
König fleht im Reitkoflüm, die linke Hand in die Seite geflemmt und in der
gelenkten Rechten die Reitgerte haltend, auf einem Piedeflal, welches, im Ge-
fchmacke der Zeit komponirt, an der Vorderfeite das königliche Wappen von
Frankreich und die Widmung des Herzogs tA la memoire du roi Louis XIII.
 
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