EINLEITUNG.
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Stimmung, die Vaterlandsliebe mächtig hervor, während Freundfchaft und ge-
fchlechtlichc Liebe noch um den Vorrang Breiten. Der letzteren hnnlichc Seite
gelangte bei Wieland zum Sieg, aber in geläuterter Schönheit erfcheint he crh
bei Goethe und Schiller (vgl. Gervinus IV, S. 192).
Erfl jetzt, nachdem wieder ein werthvoller Gehalt gegeben war, konnte auch
die dichterifche Form zu neuer Entwicklung kommen. Nachdem der Refpekt
vor den bisher giltigen Formen durch die Neigung, zur Antike zurückzukehren
befeitigt war, wie denn Klopflock, wiederum mit Bewufstfein und klarher Uebcr-
zeugung, den Hexameter und die alten Odenmafse neu belebte, fo konnte kurze
Zeit der ilürmifche Schöpfungsdrang, in der erlten Freude über die Befreiung
von verhafster Feffel, glauben, der hemmenden Formen gar nicht mehr zu be-
dürfen: das Genie follte allein genügen — auf das eine Extrem folgt das andre.
Aber bald fchon vollzogen lieh die wahrhaft erhebenden Läuterungsprozeffe,
welche Goethe und Schiller in bewufster Arbeit durchmachten, um das an hch
zu erleben und hch zu gewinnen, was wiederum die Wiffenfchaft vorher fchon
in fcharfen kritifchen Gängen fehgehellt hatte, die Erkenntnifs, dafs das wahrhaft
Grofse in der Antike das Mafs fei, dafs dies aber nicht in der Befolgung diefer
oder jener beftimmten einzelnen Regel behehe, fondern in der Selbhzucht, in
welche die tüchtige Natur hch nimmt, um das Gefetz zu jener geihigen Freiheit
umzuwandeln, die den Künhler die Norm in der eignen Brüh hnden läfst, weil
fein ganzes Wefen mafsvoll geworden ih und er auch, hch fclbh überiahen, nicht
zügellos die Schranken überfchreitet. So konnte ein bedeutfamer Inhalt, ein
felbhändiges Denken und Emphnden von fonnenheller Klarheit hch in die voll-
endet fchöne Form kleiden, die es bei einem immer wachfenden Kreife heimifch
werden und es zum höchften Ausdruck der nationalen Emphndungsweife heran-
reifen läfst. Ihren Gegnern aber, den Romantikern, bleibt das ruhclofe Sehnen
des Herzens ungehillt, weil he die Erfüllung von aufsen erwarten und, da die
rettende Offenbarung hch gar nicht vernehmen laffen will, nach überall hin-
greifen, um den Führer zu hnden, den he im eignen Herzen hch zu fchahen nicht
vermocht haben. Ihr Charakter bleibt daher Unbefriedigung, mögen he nun die
italienifche, die fpanifche oder die indifche Literatur zu Hilfe rufen, mögen he in
mittelalterliche Bhantaftik oder in Märchenträume hch vertiefen — die Schön-
heit will nicht Gehalt werden, fo dafs he hch endlich die Realität der rettenden
Offenbarung durch die Rückkehr in den Schoofs der alleinfeligmachenden Kirche
zu erzwingen fuchen.
In der bildenden Kunh geht es nicht anders. Auch hier erhebt hch der
Sturmruf gegen den ertödtenden Einhufs des franzöhfchen Regelunwefens. Aber
auch hier geht diefer Ruf nicht von den Künhlern, am wenigften von den Aka-
demien aus. Diefe verharren vielmehr noch lange mit gröfster Unbefangenheit
bei dem einmal als gütig Anerkannten, und es bedurfte noch geraumer Zeit bis
ein neuer Geih in ihre Inhitutionen einzog. Einhweilen galt noch überall jener
Grundfatz, welchen die Frankfurter Maler, als he 1767 an den Rath der Stadt mit
dem Plan zur Gründung einer Malerakademie herantraten, in den eingereichten
Statuten ausfprachen. Der Zweck der zu gründenden Anhalt wird dahin be-
himmt, dafs "die wahren Gründe der edlen Zeichenkunft auf das getreuehe und
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Stimmung, die Vaterlandsliebe mächtig hervor, während Freundfchaft und ge-
fchlechtlichc Liebe noch um den Vorrang Breiten. Der letzteren hnnlichc Seite
gelangte bei Wieland zum Sieg, aber in geläuterter Schönheit erfcheint he crh
bei Goethe und Schiller (vgl. Gervinus IV, S. 192).
Erfl jetzt, nachdem wieder ein werthvoller Gehalt gegeben war, konnte auch
die dichterifche Form zu neuer Entwicklung kommen. Nachdem der Refpekt
vor den bisher giltigen Formen durch die Neigung, zur Antike zurückzukehren
befeitigt war, wie denn Klopflock, wiederum mit Bewufstfein und klarher Uebcr-
zeugung, den Hexameter und die alten Odenmafse neu belebte, fo konnte kurze
Zeit der ilürmifche Schöpfungsdrang, in der erlten Freude über die Befreiung
von verhafster Feffel, glauben, der hemmenden Formen gar nicht mehr zu be-
dürfen: das Genie follte allein genügen — auf das eine Extrem folgt das andre.
Aber bald fchon vollzogen lieh die wahrhaft erhebenden Läuterungsprozeffe,
welche Goethe und Schiller in bewufster Arbeit durchmachten, um das an hch
zu erleben und hch zu gewinnen, was wiederum die Wiffenfchaft vorher fchon
in fcharfen kritifchen Gängen fehgehellt hatte, die Erkenntnifs, dafs das wahrhaft
Grofse in der Antike das Mafs fei, dafs dies aber nicht in der Befolgung diefer
oder jener beftimmten einzelnen Regel behehe, fondern in der Selbhzucht, in
welche die tüchtige Natur hch nimmt, um das Gefetz zu jener geihigen Freiheit
umzuwandeln, die den Künhler die Norm in der eignen Brüh hnden läfst, weil
fein ganzes Wefen mafsvoll geworden ih und er auch, hch fclbh überiahen, nicht
zügellos die Schranken überfchreitet. So konnte ein bedeutfamer Inhalt, ein
felbhändiges Denken und Emphnden von fonnenheller Klarheit hch in die voll-
endet fchöne Form kleiden, die es bei einem immer wachfenden Kreife heimifch
werden und es zum höchften Ausdruck der nationalen Emphndungsweife heran-
reifen läfst. Ihren Gegnern aber, den Romantikern, bleibt das ruhclofe Sehnen
des Herzens ungehillt, weil he die Erfüllung von aufsen erwarten und, da die
rettende Offenbarung hch gar nicht vernehmen laffen will, nach überall hin-
greifen, um den Führer zu hnden, den he im eignen Herzen hch zu fchahen nicht
vermocht haben. Ihr Charakter bleibt daher Unbefriedigung, mögen he nun die
italienifche, die fpanifche oder die indifche Literatur zu Hilfe rufen, mögen he in
mittelalterliche Bhantaftik oder in Märchenträume hch vertiefen — die Schön-
heit will nicht Gehalt werden, fo dafs he hch endlich die Realität der rettenden
Offenbarung durch die Rückkehr in den Schoofs der alleinfeligmachenden Kirche
zu erzwingen fuchen.
In der bildenden Kunh geht es nicht anders. Auch hier erhebt hch der
Sturmruf gegen den ertödtenden Einhufs des franzöhfchen Regelunwefens. Aber
auch hier geht diefer Ruf nicht von den Künhlern, am wenigften von den Aka-
demien aus. Diefe verharren vielmehr noch lange mit gröfster Unbefangenheit
bei dem einmal als gütig Anerkannten, und es bedurfte noch geraumer Zeit bis
ein neuer Geih in ihre Inhitutionen einzog. Einhweilen galt noch überall jener
Grundfatz, welchen die Frankfurter Maler, als he 1767 an den Rath der Stadt mit
dem Plan zur Gründung einer Malerakademie herantraten, in den eingereichten
Statuten ausfprachen. Der Zweck der zu gründenden Anhalt wird dahin be-
himmt, dafs "die wahren Gründe der edlen Zeichenkunft auf das getreuehe und