DER FAUSTCYKLUS. GOETHES URTHEILE. DIE NIBELUNGEN.
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Richtung, welche die hch erneuernde deutfche Kunh einzufchlagen im Begriffe
Rand, wenn auch zugeflanden werden mufs, dafs die noch von Winckelmann
her beeinhufste Auffaffung Goethes, welchem die Antike als eine folche zweite
Naturwelt galt, deren Nachahmung als höchftes Ziel erhrebt werden mühe,
wefentlich derfelbe Irrthum ilt, der freilich nach der Seite der Schönheit hin
eine beffere Begründung hatte. Goethe erkennt aber auch "Sinn für Grofsheit
und Schönheit« wenigflens als trefflichfte Anlage in diefen Zeichnungen, und
in Bezug auf Grofsheit wird man ihm gerne beiftimmen, ebenfo in feiner Be-
wunderung der "Reinlichkeit und Leichtigkeit der Feder und der grofsen Ge-
wandtheit im Technifchen« wie er auch in den Tag- und Jahresheften von 1811
eine jedenfalls fpäter hinzugefügte Bemerkung über die Nibelungen macht, "deren
alterthümlich tapferen Sinn, mit unglaublicher technifcher Fertigkeit ausgefpro-
chen, man höchlich bewundern mufste«. In einem Briefe an Baron von Reinhard
aus dem Mai 1811, fagt Goethe, der junge Mann habe hch "ganz in die alte deutfche
Art und Weife vertieft«, er habe "fehr geiftreiche, gut gedachte, ja oft unübertreff-
liche glückliche Einfälle zu Tage gefördert«, und es fei "wahrfcheinlich, dafs er
es noch weit bringen wird, wenn er nur erh die Stufen gewahr werden kann,
die noch über ihm liegen«. (S. die Korrefpondenz bei Förfler, Cornelius, I,
S. 77 ff.) Demgemäfs betrachtete Goethe diefe Schöpfungen nicht als eine künft-
lerifche Leiflung von dauernder Bedeutung, fondern nur als einen Durchgangs-
punkt: "ob man gleich eine vergangene Vorfleilungsweife weder zurückrufen
kann noch foll, fo iff es doch löblich, hch hiftorifch praktifch an ihr zu üben
und durch neuere Kunfl das Andenken einer älteren aufzufrifchen, damit man,
ihre Verdienfle erkennend, hch alsdann um fo lieber zu freieren Regionen er-
hebe (Tag- und Jahreshefte, 1816: Bd. 32, S. 105).
Dies war nun freilich des Künftlers Meinung durchaus nicht. Er glaubte
vielmehr hier die wahre deutfche Kunft neu gefunden zu haben. Mit vollem
Bewufstfein übte er die "Dürerifche Art« und zwar "glühend und ftreng«, "gegen
die laulich-liederliche Nachläfhgkeit«, und Freunde wie Mosler, Xeller, Barth
hatten hch ihm bereits in Deutfchland angefchloffen und gradezu einen "Bund«
mit ihm zur Verfolgung diefer Tendenz gebildet. Und felbfl in Italien läfst er
zunächfl nicht von diefer Grundauffaffung; ja, während er in den dort gefchaffe-
nen Fauftzeichnungen mancherlei neuen Einhüffen nachgiebt, fcheint er in dem
gleichzeitig enthandenen zweiten Cykluswerk, den ))Nibelungen«, mit um fo
gröfserer Konfequenz hch in diefe Art verfenkt zu haben, je tiefer ihn fein
Stoff in die alte deutfche Zeit zurückführte. Je weniger er hier hch an Vorbilder
anfchliefsen konnte, die der Zeit des Gedichtes, gefchweige denn jener der er-
zählten Handlung entflammt wären, defto energifcher mufste er die Konfequen-
zen feiner Grundauffaffung ziehen und unmittelbare Einhüffe aus fpäteren Zeiten
zurückweifen. Dafs er dies aber konnte, zeigt, dafs er hch deflen, was er that,
fehr wohl bewufst war und jenen Einhüffen nicht in dunklem Drange, fondern
mit Ueberlegung folgte. Selbhverftändlich fchliefst dies jedoch nicht aus, dafs
die höhere Reife im Grofsen und Ganzen hch wohl bemerkbar macht. Am
deutlichhen tritt dies in der Kompohtion als folcher hervor, in der Art und
Weife, in welcher er die einzelnen Glieder zu einem Ganzen fügt und he zur
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Richtung, welche die hch erneuernde deutfche Kunh einzufchlagen im Begriffe
Rand, wenn auch zugeflanden werden mufs, dafs die noch von Winckelmann
her beeinhufste Auffaffung Goethes, welchem die Antike als eine folche zweite
Naturwelt galt, deren Nachahmung als höchftes Ziel erhrebt werden mühe,
wefentlich derfelbe Irrthum ilt, der freilich nach der Seite der Schönheit hin
eine beffere Begründung hatte. Goethe erkennt aber auch "Sinn für Grofsheit
und Schönheit« wenigflens als trefflichfte Anlage in diefen Zeichnungen, und
in Bezug auf Grofsheit wird man ihm gerne beiftimmen, ebenfo in feiner Be-
wunderung der "Reinlichkeit und Leichtigkeit der Feder und der grofsen Ge-
wandtheit im Technifchen« wie er auch in den Tag- und Jahresheften von 1811
eine jedenfalls fpäter hinzugefügte Bemerkung über die Nibelungen macht, "deren
alterthümlich tapferen Sinn, mit unglaublicher technifcher Fertigkeit ausgefpro-
chen, man höchlich bewundern mufste«. In einem Briefe an Baron von Reinhard
aus dem Mai 1811, fagt Goethe, der junge Mann habe hch "ganz in die alte deutfche
Art und Weife vertieft«, er habe "fehr geiftreiche, gut gedachte, ja oft unübertreff-
liche glückliche Einfälle zu Tage gefördert«, und es fei "wahrfcheinlich, dafs er
es noch weit bringen wird, wenn er nur erh die Stufen gewahr werden kann,
die noch über ihm liegen«. (S. die Korrefpondenz bei Förfler, Cornelius, I,
S. 77 ff.) Demgemäfs betrachtete Goethe diefe Schöpfungen nicht als eine künft-
lerifche Leiflung von dauernder Bedeutung, fondern nur als einen Durchgangs-
punkt: "ob man gleich eine vergangene Vorfleilungsweife weder zurückrufen
kann noch foll, fo iff es doch löblich, hch hiftorifch praktifch an ihr zu üben
und durch neuere Kunfl das Andenken einer älteren aufzufrifchen, damit man,
ihre Verdienfle erkennend, hch alsdann um fo lieber zu freieren Regionen er-
hebe (Tag- und Jahreshefte, 1816: Bd. 32, S. 105).
Dies war nun freilich des Künftlers Meinung durchaus nicht. Er glaubte
vielmehr hier die wahre deutfche Kunft neu gefunden zu haben. Mit vollem
Bewufstfein übte er die "Dürerifche Art« und zwar "glühend und ftreng«, "gegen
die laulich-liederliche Nachläfhgkeit«, und Freunde wie Mosler, Xeller, Barth
hatten hch ihm bereits in Deutfchland angefchloffen und gradezu einen "Bund«
mit ihm zur Verfolgung diefer Tendenz gebildet. Und felbfl in Italien läfst er
zunächfl nicht von diefer Grundauffaffung; ja, während er in den dort gefchaffe-
nen Fauftzeichnungen mancherlei neuen Einhüffen nachgiebt, fcheint er in dem
gleichzeitig enthandenen zweiten Cykluswerk, den ))Nibelungen«, mit um fo
gröfserer Konfequenz hch in diefe Art verfenkt zu haben, je tiefer ihn fein
Stoff in die alte deutfche Zeit zurückführte. Je weniger er hier hch an Vorbilder
anfchliefsen konnte, die der Zeit des Gedichtes, gefchweige denn jener der er-
zählten Handlung entflammt wären, defto energifcher mufste er die Konfequen-
zen feiner Grundauffaffung ziehen und unmittelbare Einhüffe aus fpäteren Zeiten
zurückweifen. Dafs er dies aber konnte, zeigt, dafs er hch deflen, was er that,
fehr wohl bewufst war und jenen Einhüffen nicht in dunklem Drange, fondern
mit Ueberlegung folgte. Selbhverftändlich fchliefst dies jedoch nicht aus, dafs
die höhere Reife im Grofsen und Ganzen hch wohl bemerkbar macht. Am
deutlichhen tritt dies in der Kompohtion als folcher hervor, in der Art und
Weife, in welcher er die einzelnen Glieder zu einem Ganzen fügt und he zur