DAS TASSOZIMMER.
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der andere leitet zur Symbolik über und gipfelt in der allegorifchen Darftellung
des Zieles des Gedichtes, das fomit einen doppelten und darum defto energi-
fchcrcn Ausdruck gewinnt.
Der rein epifche Theil findet feinen natürlichen Platz an den unteren Räu-
men, den gleichfam dem irdifchcn Reiche ungehörigen Wänden. Der zur Haupt-
thür diefes rechts vom Arioftzimmer gelegenen Raumes Eintretende findet als-
bald zu feiner Rechten an der Fenflerwand die Berufung Gottfrieds von Bouillon
zur Befreiung von Jerufalem durch den Erzengel Gabriel (Gef. I). Die zweite
Wand nach links zu, dem Eingänge gegenüber, zeigt die Zurüftungen zum Sturm
und die Anempfehlung eines allgemeinen Gebetes durch Peter von Amiens
(Gef. XI). Die nächfte Wand vereinigt drei Bilder: wie Armidas Truggeflalt dem
Helden Rinaldo in dem verzauberten Haine erfcheint, ohne deffen Entzauberung
das zur Herftellung der Belagerungswerke nöthige Holz nicht gewonnen werden
kann (Gef. XVIII, 30 ff), fodann Armida zwifchen dem zum Entfatz Jerufalems
herbeigezogenen ägyptifchen und dem chriftlichen Heere, den Rinaldo mit ihren
Pfeilen verfolgend (XX, 61 ff), und endlich* die ergreifende Scene des Todes der
Gildippe und ihres Gemahls Odoardo von der Hand des Sultans Soliman (XX,
94 ff.). An der Eintrittswand endlich, zu welcher der Betuchende lieh fchliefslich
wendet, erfcheint Gottfried in Jerufalem: die Eroberung ift erfolgt (XX, 144).
Nun aber wendet lieh der Blick von den irdifchen Ereigniffen nach oben. Von
den vier Wänden fteigen die Wölbungen aufwärts und ftofsen an den Spiegel
der Decke an. Auch in den Wölbungen finden wir zwar Ereigniffe aus dem
Gedichte; aber fie find zu höherem Zwecke auserlefen. Da fehen wir in der
Wölbung über der linken Wand, wie Rinaldo aus den verderblichen Netzen der
Armida auf der Zauberinfel gerettet wird (XVI, 1 ff). Diefer irdifchen Liebe
mit ihrer Erlöfung tritt die himmlifche Liebe in dem feiner Frömmigkeit wegen
zum Scheiterhaufen verurtheilten Paare Olint und Sofronia gegenüber, welchen
die Erlöfung in der Geffalt der Clorinde naht (II, 38). In der Wölbung der
Eintrittswand gegenüber rettet fich die Tankred auffuchende und von einer
Frankenfehaar verfolgte Erminia zu den Hirten (VI, 6 u. /). Diefer irdifchen
Einkehr tritt in der Wölbung über der Eintrittswand in der Taufe der fterbenden
Clorinde durch Tankreds Hand (XII, 63 ff) die himmlifche Einkehr entgegen;
he iE das letzte Bild, welches der Befchauer fleht, dem fo der Weg zum Heile,
als letztes Ziel alles irdifchen Strebens, gezeigt wird. Diefe zum Symbolifchen
gewendeten Scenen treten natürlich aus der gefchichtlichen Reihenfolge heraus.
Ihre Aufgabe ift, auf das Mittelbild der Decke vorzubereiten, welches nun die
Gerufalemme liberata felbft als fchöne Frauengeftalt darftellt, welcher von Engeln
die Ketten abgenommen werden. (S. S. 81.) Erfährt man nun, dafs der Engel
mit dem Rofenkranz den Glauben darftellt, der Engel mit dem Schwerte aber
die Gewalt, fleht man dann, wie den erften Schritt zur Befreiung der Engel mit
dem Rofenkranz macht, erft dann aber der andere Engel Hand anlegt, fo ergiebt
fleh deutlich, wie das Epifche in das Symbolifche übertragen ift, und wie der
bildende Künftler den orthodoxen Sinn feines Dichters zum Ausdruck zu bringen
verbanden hat: der Glaube ift es, der zuerft die Feffeln löfst, die Gewalt, die
äufsere Macht, kann nur helfend und dienend an zweiter Stelle eintreten. In
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der andere leitet zur Symbolik über und gipfelt in der allegorifchen Darftellung
des Zieles des Gedichtes, das fomit einen doppelten und darum defto energi-
fchcrcn Ausdruck gewinnt.
Der rein epifche Theil findet feinen natürlichen Platz an den unteren Räu-
men, den gleichfam dem irdifchcn Reiche ungehörigen Wänden. Der zur Haupt-
thür diefes rechts vom Arioftzimmer gelegenen Raumes Eintretende findet als-
bald zu feiner Rechten an der Fenflerwand die Berufung Gottfrieds von Bouillon
zur Befreiung von Jerufalem durch den Erzengel Gabriel (Gef. I). Die zweite
Wand nach links zu, dem Eingänge gegenüber, zeigt die Zurüftungen zum Sturm
und die Anempfehlung eines allgemeinen Gebetes durch Peter von Amiens
(Gef. XI). Die nächfte Wand vereinigt drei Bilder: wie Armidas Truggeflalt dem
Helden Rinaldo in dem verzauberten Haine erfcheint, ohne deffen Entzauberung
das zur Herftellung der Belagerungswerke nöthige Holz nicht gewonnen werden
kann (Gef. XVIII, 30 ff), fodann Armida zwifchen dem zum Entfatz Jerufalems
herbeigezogenen ägyptifchen und dem chriftlichen Heere, den Rinaldo mit ihren
Pfeilen verfolgend (XX, 61 ff), und endlich* die ergreifende Scene des Todes der
Gildippe und ihres Gemahls Odoardo von der Hand des Sultans Soliman (XX,
94 ff.). An der Eintrittswand endlich, zu welcher der Betuchende lieh fchliefslich
wendet, erfcheint Gottfried in Jerufalem: die Eroberung ift erfolgt (XX, 144).
Nun aber wendet lieh der Blick von den irdifchen Ereigniffen nach oben. Von
den vier Wänden fteigen die Wölbungen aufwärts und ftofsen an den Spiegel
der Decke an. Auch in den Wölbungen finden wir zwar Ereigniffe aus dem
Gedichte; aber fie find zu höherem Zwecke auserlefen. Da fehen wir in der
Wölbung über der linken Wand, wie Rinaldo aus den verderblichen Netzen der
Armida auf der Zauberinfel gerettet wird (XVI, 1 ff). Diefer irdifchen Liebe
mit ihrer Erlöfung tritt die himmlifche Liebe in dem feiner Frömmigkeit wegen
zum Scheiterhaufen verurtheilten Paare Olint und Sofronia gegenüber, welchen
die Erlöfung in der Geffalt der Clorinde naht (II, 38). In der Wölbung der
Eintrittswand gegenüber rettet fich die Tankred auffuchende und von einer
Frankenfehaar verfolgte Erminia zu den Hirten (VI, 6 u. /). Diefer irdifchen
Einkehr tritt in der Wölbung über der Eintrittswand in der Taufe der fterbenden
Clorinde durch Tankreds Hand (XII, 63 ff) die himmlifche Einkehr entgegen;
he iE das letzte Bild, welches der Befchauer fleht, dem fo der Weg zum Heile,
als letztes Ziel alles irdifchen Strebens, gezeigt wird. Diefe zum Symbolifchen
gewendeten Scenen treten natürlich aus der gefchichtlichen Reihenfolge heraus.
Ihre Aufgabe ift, auf das Mittelbild der Decke vorzubereiten, welches nun die
Gerufalemme liberata felbft als fchöne Frauengeftalt darftellt, welcher von Engeln
die Ketten abgenommen werden. (S. S. 81.) Erfährt man nun, dafs der Engel
mit dem Rofenkranz den Glauben darftellt, der Engel mit dem Schwerte aber
die Gewalt, fleht man dann, wie den erften Schritt zur Befreiung der Engel mit
dem Rofenkranz macht, erft dann aber der andere Engel Hand anlegt, fo ergiebt
fleh deutlich, wie das Epifche in das Symbolifche übertragen ift, und wie der
bildende Künftler den orthodoxen Sinn feines Dichters zum Ausdruck zu bringen
verbanden hat: der Glaube ift es, der zuerft die Feffeln löfst, die Gewalt, die
äufsere Macht, kann nur helfend und dienend an zweiter Stelle eintreten. In