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Kämmerer, Christian; Kellmann, Thomas; Lufen, Peter Ferdinand
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 7,2): Nördlicher Teil: mit den Städten Bad Gandersheim und Dassel, den Ortsteilen der Stadt Einbeck (einschließlich der 2013 eingemeindeten Ortsteile der Gemeinde Kreiensen) und der Gemeinde Kalefeld — Altenburg: E. Reinhold Verlag, 2018

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.65342#0416
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Jagdhaus wählte, waren vielschichtig. Zum
einen kannte er aufgrund seines Studiums in
Göttingen das Leinebergland, zum anderen
handelte es sich um einen ertragreichen Mus-
terbetrieb. Die weitläufigen Staatsforste im
Solling und im Sollingvorland galten als gutes
Jagdrevier, das von Hannover wesentlich leich-
ter zu erreichen war als das alte Jagdschloss
in der Göhrde im hannoverschen Wendland.
Die prunkvolle Anlage mit 100 Zimmern eigne-
te sich zudem nicht als privater Rückzugsort.
Zwischen 1819 und 1827 wurde parallel zum
Ausbau in Rotenkirchen das Jagdschloss in
der Göhrde komplett abgebrochen. In den
Jahren 1813-16 konnte der jüngste Sohn
von König Georg III. als Militärgouverneur im
Königreich Hannover noch vor der offiziellen
Ernennung zum Generalgouverneur den Aus-
bau von Rotenkirchen in die Wege leiten. Die
pittoreske landschaftliche Situation mit dem
alten Bergschloss Grubenhagen als Kulisse,
die Verknüpfung mit einer Landwirtschaft und
die bürgerliche Privatheit in dem bescheide-
nen Amtshaus werden maßgeblich zu der Ent-
scheidung beigetragen haben. Auch Adolph
Friedrichs Vermählung mit der Landgräfin
Auguste Wilhelmine Luise von Hessen-Kas-
sel (1797-1889), der jüngsten Tochter von
Landgraf Friedrich von Hessen-Kassel, im
Jahr 1818 dürfte bei der Standortwahl 1816
bereits eine Rolle gespielt haben, konnten hier
doch die familiären Beziehungen der jungen
Ehefrau zum elterlichen Hof in Kassel besser
gepflegt werden. An der Ausgestaltung und
den Ausbau des Sommersitzes nahmen beide
über einen längeren Zeitraum lebhaft Anteil.
Der Bau der Fasanerie, der neben dem Land-
schaftsgarten und dem Aussichtsturm auf dem
Burgberg zu den ersten Maßnahmen gehörte,
war keineswegs eine fürstliche Spielerei und
Prestigeangelegenheit, sondern ein kapitalin-
tensiver Zuchtbetrieb mit Marktorientierung.
Die Einsetzung Adolph Friedrichs als Vizekö-
nig ab 1831 brachte zunächst keine Änderung
in Rotenkirchen. Die wesentlichen Projekte wie
der Blumengarten mit Orangerie, die Erweite-
rung und der Ausbau des Landschaftsgartens,
der Küchenflügel am Jagdschloss, der Ausbau
des Logierhauses, der Hundezwinger und der
als Ruinenarchitektur getarnte Unterstand auf
dem Burgberg waren bereits in den zwanziger
Jahren des 19. Jahrhunderts fertiggestellt. Mit
der Fusionierung der beiden Ämter Salzderhel-
den und Rotenkirchen 1826 sorgte die Verla-
gerung des Rotenkirchener Amtshaushaltes
nach Salzderhelden für eine räumliche Ent-
spannung. Das geräumte Amtsschreibergehöft
konnte als dringend benötigtes Gästehaus der
königlichen Hofhaltung umgenutzt werden.

Bis zur Auflösung der Personalunion mit dem
Königreich Großbritannien 1837 bildeten die
Schweizerei, die Wagenremise und die Wild-
meisterei die letzten königlichen Bauprojekte.
Ein Vizekönig in Hannover war fortan nicht
mehr erforderlich. Der neue König, Ernst Au-
gust I. (1771-1851), behielt Rotenkirchen
zunächst noch als königliches Landhaus
bei. Sein jüngster Bruder Adolph Friedrich
von Hannover kehrte zusammen mit seiner
Frau nach London zurück. Neue Bauprojek-
te wurden in Rotenkirchen mit dem Wech-
sel der Hausherren vermutlich nicht mehr in
Angriff genommen. Für den Nachfolger von
Ernst August, König Georg V. von Hannover
(1819-1878), spielte Rotenkirchen keine Rol-
le mehr. Spätestens ab 1857 liefen die Pla-
nungen für eine neue Sommerresidenz in der
Nähe der Festung Calenberg im Calenberger
Land, die spätere Marienburg, benannt nach
Königin Marie. Der 1867 weitgehend fertig-
gestellte Neubau im Stil eines romantischen
Bergschlosses mit 130 Zimmern war das
komplette Gegenteil der Anlage in Rotenkir-
chen. An die Stelle der bürgerlich-liberalen
Wertvorstellungen von Adolph Friedrich traten
die absolutistischen Machtgelüste eines reak-
tionären Monarchen.
Zwischen 1858 und 1860 wurde der Kronbe-
sitz mit den Baulichkeiten des ehemaligen
Landsitzes an die Domänenverwaltung abge-
treten, die Domäne ab 1860 erstmals wieder
verpachtet. Seit 1874 konnten die Pachtver-
träge ohne Unterbrechung von der Pächter-
familie Rabbethge alle 18 Jahre erneut ver-
längertwerden. Die Domäne Rotenkirchen mit
435 ha und das Vorwerk Wetze mit 222,7 ha
wurden dabei kontinuierlich durch den priva-
ten Zukauf von Ländereien erweitert. Während
und nach dem Zweiten Weltkrieg konnte die
personalintensive Viehwirtschaft noch einmal
ausgedehnt werden. Einen starken Einschnitt
bedeutete das Jahr 1989, als auf einen reinen
Ackerbaubetrieb umgestellt wurde. Mit einem
Schlag waren die umfangreichen Stallanlagen
aus dem 18. und 19. Jahrhundert auf dem
1,75 ha großen Domänenhof ohne adäquate
Nutzung.
Der Domänenhof ist nach Westen und Osten
mit einer Mauer umgeben, in deren Verlauf
wesentliche Gebäude der Anlage seit dem
16. Jahrhundert errichtet wurden. Der heutige
Bestand mit einem vorderen Wirtschaftshof
und der Hauptzufahrt sowie einem hinteren
Wirtschaftshof geht weitgehend auf die Um-
gestaltung zwischen 1816 und 1837 zurück.
Die beiden Höfe werden durch den teilweise
offen geführten Bachlauf getrennt, der auch
als Zufluss zum ehemaligen Mühlenteich

und zum Wasserlauf Rebbe dient. Die Feld-
scheunen liegen außerhalb im Norden an der
Grenze zur Feldmark. Der Landschaftsgar-
ten schließt sich nach Osten und Norden an
den Wirtschaftsbetrieb an. Der eingefriedete
Küchengarten, der heute beweidet wird, er-
streckt sich mit einer Gartenpforte westlich
der Anlage. Das Gefälle innerhalb der Anla-
ge beträgt rund 9,0 m von der Einfriedung
im Süden bis zur Kläranlage im Anschluss
an den Park im Norden. In einer Studie von
2003 wurden Möglichkeiten untersucht, den
weitgehend von Leerstand geprägten Gebäu-
debestand mit einer zusammenhängenden
Nutzung als Internat, Seminarhotel oder Well-
ness-Zentrum zu betreiben. Die Agrarflächen
werden heute mit wenigen Ausnahmen ohne
den landesgeschichtlich wertvollen histori-
schen Gebäudebestand der Domäne bewirt-
schaftet. Die Bauunterhaltung ist daher auf ein
notwendiges Minimum heruntergefahren, um
die Zeit bis zu einer Umnutzung überbrücken
zu können.
Der vordere, westliche Wirtschaftshof
Das Pächter-Wohnhaus
Gebäude Nr. 1
Der Neubau von 1735 bis zur Umnutzung als
königliches Jagdhaus 1816
Das Wohnhaus des Domänenpächters im
Zentrum der Anlage zwischen dem vorde-
ren Wirtschaftshof und den Teichen im Park
geht auf den Neubau eines Wohnhauses und
Dienstsitzes für den Rotenkirchener Amtmann
von 1735 zurück. Dieses Amtshaus wird we-
sentlich geprägt von der Erweiterung und
dem Umbau als privates Jagdhaus und Som-
mersitz des hannoverschen Königshauses im
frühen 19. Jahrhundert. Im Inventar von 1735
wird es als „das neue Ambts-Haus“ ausführ-
lich beschrieben. Der Vorgängerbau, das alte
Wohnhaus aus dem 16. Jahrhundert unmittel-
bar östlich davon, wurde zunächst als Bren-
nerei umgenutzt und 1785 abgebrochen, als
es einer Erweiterung des neuen Amtshauses
im Wege stand. Die fürstlichen Gemächer, die
bei Aufenthalten des Herzogs und späteren
Kurfürsten genutzt wurden, befanden sich
weiterhin im sogenannten Fürstenhaus, dem
späteren Kavaliers-, Logier- oder Ableger-
haus. Der Neubau für das Amtshaus entstand
zeitgleich mit dem des Amtshauses in Salz-
derhelden und wenige Jahre vor dem Neubau
für den Amtsschreiber. Der massive Unterbau
mit fünf eingewölbten Wirtschaftsräumen wur-
de in Kalkbruchstein aufgemauert, innen wie

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