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Der verschrieb ene Kammermusikus.
„Gewiß blind mitgefahren?" fragte der Thorschrciber in
seiner Amtswürde etwas verletzt und den lustigen Ton des Pas-
sagiers unangemessen findend. „Na! bleibt sich gleich. Hier gibt
Jeder seinen Namen ab, wer einfährt. Wie heißt der blinde
Paffagier hier draußen?" fragte er dann feierlich, Lichtenstein
ansehend.
„Lichtenstein", antwortete dieser.
„Was ist er?"
„Eben gar nichts, aber mein Verlangen steht nach einem
warmen Frühstück."
„Will sagen, was er treibt, was er ist?" erläuterte der
Thorschreiber.
„Ja so! Professor."
„WaS für eine Profession? Muß Alles sorgfältig notirt
werden."
„Abt und Professor."
Der Thorschreiber sah ihn groß an, als ob er's nicht glau-
ben wollte, und fuhr dann argwöhnisch fort, ob man sich etwa
einen Spaß mit ihm erlaube, die Nächstsitzenden um Namen
und Stand zu befragen. Aller sein Argwohn schwand aber
bis auf die letzte Spur, als er den Hosrath Beireis sah; den
Mann kannte er nicht allein, sondern verehrte ihn gar hoch
und dankbarlich. Hatte er ihm doch erst vor kurzem in einer
lebensgefährlichen Krankheit das Leben gerettet. Nach und nach
! gaben ihm alle Paffagiere Namen und Stand an, bis auf den
in dem hintersten Winkel des Wagens sanft schlummernden und
halb erstarrten Rector Magnificus Henke. Der Thorschreiber aber
war ein pünktlicher und gewissenhafter Beamte, der seinen Dienst
verstand. Er sah wieder forschend in den Wagen hinein. „Da
sitzt noch Jemand in der Ecke. Meine Herren, es thut mir
Leid, aber ich darf keinen fahren lassen, ohne ihn zu notiren,
auch im Schlafe nicht, besonders an dem gesegneten Geburtstage
unsers allerdurchlauchtigsten Landesvaters."
„Hört Ihr wohl, Ihr Herren?" wendete sich der Abt Lichten-
stein zu seinen Collegen in den Wagen hinein, „das heißt man
eine gute Polizei hier I das könnten wir in Helmstädt einführen,
was meinst du, Häberlin? nächstes Jahr, wenn du Rector bist,
das Donnerwetter! nicht einmal im Schlafe, besonders an dem
Geburtstage Seiner Durchlaucht." Alle lachten.
„Ja! so ist es," bekräftigte der Thorschreiber feierlich.
„Diese Verordnung ist noch von der hochseligsten Durchlaucht
erlassen und von dem Herrn Stadtdirektor mir erst ganz neuer-
lich wieder eingeschärft worden. Aber," auf den schlafenden
Abt Henke deutend, „wie heißt denn der Hinterste, der da so
fest schläft?"
„Podex;!" antwortete rasch der lustige Abt.
„Bodechs," notirte der Thorschreiber. „Und was ist und
treibt er?"
„Berühmter Kammer-Musikus! bläst Fagott!" replicirte
Lichtenstein, während die klebrigen kaum ihres Lachens Herr
werden konnten.
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„Berühmter Kammer-Musikus, bläst Fagott," notirte der
Thorschreiber mit vor fteudiger Aufregung zitternder Hand,
denn er erinnerte sich des geheimen Befehls der Frau Herzogin.
„Bolenz oder Bodechs," dachte er für sich, „er ist's, es ist der
sehnlichst Erwartete. Wecken Sie doch den Herrn einmal ge-
fälligst auf," rief er mit vor Freude stammelnder Stimme in
den Wagen hinein, „ich kenne den Herrn sehr wohl, den geehrten
Herrn. Wecken Sie ihn doch einmal, ich habe nothwendig mit
ihm zu sprechen. O! ich kenne ihn gar wohl." Es war nicht
nöthig den Schlummernden zu wecken; denn eben schlug er vor
dem lauten Gelächter seiner Begleiter von selbst die Augen auf.
„Hochgeehrtester!" rief ihm der Thorschreiber mit feierlicher,
unter dem Gewicht des ihm gewordenen Allerhöchsten Auftrags
bebender Stimme zu, „ich ersuche Sie gehorsamst, auszusteigen
und ihrem devotesten Diener einen Augenblick geneigtes Gehör
zu schenken. Ich habe Ihnen etwas sehr Wichtiges mitzutheilen."
„Können Sie mir denn nicht gleich hier sagen, was Sie
mir mitzutheilen haben?" erwiderte der noch halbschlaftrunkene
und vor Frost fast erstarrte Abt Henke; „Sie sehen, es wird
mir schwer, von meinem Sitze hier hinten vom Wagen herab-
zusteigen."
„Geht nicht, berühmter Herr, geht beim besten Willen nicht!"
erwiderte in der dringendsten Weise der Thorschreiber. „Ich
habe einen geheimen Auftrag für Sie von einer Dame."
„Für mich?" ftagte der gutmüthige Mann.
„Ja für Sie, hochgeehrtester, berühmtester Mann," antwortete
der Thorschreiber.
„Aber irren Sie sich denn auch nicht in meiner Person? !
Kennen Sie mich denn?" fragte Henke zweifelhaft.
„Gewiß, gewiß!" betheuerte der Geschäftige, „ich kenne Sie !
gar wohl, Werdens gleich inne werden, wenn ich Ihnen meinen
Auftrag ausrichte."
„Nun, meine Herren," wandte sich der Abt Henke an !
die vor ihm Sitzenden, „dann muß ich Euch einen Augenblick
bemühen. Ich will versuchen, über Euch wegzusteigen."
„Ei! seht dach den Mann mit dem heiligen Schein um das
geistliche Haupt," rief der lustige Lichtenstein den Uebrigen halb
leise zu, nicht im Entferntesten ahnend, daß hier ein Jrrthum
vorgehe; „schon am Thore bekommt er Bestellungen von schönen
Damen! Das heiß ich mehr Glück als Verstand."
Unterdessen war Abt Henke mit Mühe vom Wagen gestiegen.
Der Thorschreiber führte ihn unter vielen devoten Bücklingen
eine ganze Strecke fort aus die Seite und flüsterte ihm dann,
äußerst heimlich thuend, mit wichtiger Miene zu: „Ihre König-
liche Hoheit, die Frau Herzogin, haben allergnädigst geruhet, mir
Unwürdigen befehlen zu lassen, Sie, berühmter Mann, sofort bei
Ihrer Ankunft und zwar heimlich, daß Niemand etwas gewahr
werde, in das Hochfürstliche Residenzschloß zu führen, wo Zim-
mer für dieselben in Stand gesetzt sind."
„Aber irren Sie sich denn auch nicht in meiner Person,
lieber Mann?" fragte der Abt Henke noch immer zweifelhaft.
„ Ich bin der ..."
„ S'ist! S'ist! um Gotteswillen S'ist!" unterbrach ihn ängst-
lich der Thorschreiber, „daß uns Niemand hört. Ich kenne
Ihren Namen und Stand genugsam, Verehrtester. Nein! es ist
Der verschrieb ene Kammermusikus.
„Gewiß blind mitgefahren?" fragte der Thorschrciber in
seiner Amtswürde etwas verletzt und den lustigen Ton des Pas-
sagiers unangemessen findend. „Na! bleibt sich gleich. Hier gibt
Jeder seinen Namen ab, wer einfährt. Wie heißt der blinde
Paffagier hier draußen?" fragte er dann feierlich, Lichtenstein
ansehend.
„Lichtenstein", antwortete dieser.
„Was ist er?"
„Eben gar nichts, aber mein Verlangen steht nach einem
warmen Frühstück."
„Will sagen, was er treibt, was er ist?" erläuterte der
Thorschreiber.
„Ja so! Professor."
„WaS für eine Profession? Muß Alles sorgfältig notirt
werden."
„Abt und Professor."
Der Thorschreiber sah ihn groß an, als ob er's nicht glau-
ben wollte, und fuhr dann argwöhnisch fort, ob man sich etwa
einen Spaß mit ihm erlaube, die Nächstsitzenden um Namen
und Stand zu befragen. Aller sein Argwohn schwand aber
bis auf die letzte Spur, als er den Hosrath Beireis sah; den
Mann kannte er nicht allein, sondern verehrte ihn gar hoch
und dankbarlich. Hatte er ihm doch erst vor kurzem in einer
lebensgefährlichen Krankheit das Leben gerettet. Nach und nach
! gaben ihm alle Paffagiere Namen und Stand an, bis auf den
in dem hintersten Winkel des Wagens sanft schlummernden und
halb erstarrten Rector Magnificus Henke. Der Thorschreiber aber
war ein pünktlicher und gewissenhafter Beamte, der seinen Dienst
verstand. Er sah wieder forschend in den Wagen hinein. „Da
sitzt noch Jemand in der Ecke. Meine Herren, es thut mir
Leid, aber ich darf keinen fahren lassen, ohne ihn zu notiren,
auch im Schlafe nicht, besonders an dem gesegneten Geburtstage
unsers allerdurchlauchtigsten Landesvaters."
„Hört Ihr wohl, Ihr Herren?" wendete sich der Abt Lichten-
stein zu seinen Collegen in den Wagen hinein, „das heißt man
eine gute Polizei hier I das könnten wir in Helmstädt einführen,
was meinst du, Häberlin? nächstes Jahr, wenn du Rector bist,
das Donnerwetter! nicht einmal im Schlafe, besonders an dem
Geburtstage Seiner Durchlaucht." Alle lachten.
„Ja! so ist es," bekräftigte der Thorschreiber feierlich.
„Diese Verordnung ist noch von der hochseligsten Durchlaucht
erlassen und von dem Herrn Stadtdirektor mir erst ganz neuer-
lich wieder eingeschärft worden. Aber," auf den schlafenden
Abt Henke deutend, „wie heißt denn der Hinterste, der da so
fest schläft?"
„Podex;!" antwortete rasch der lustige Abt.
„Bodechs," notirte der Thorschreiber. „Und was ist und
treibt er?"
„Berühmter Kammer-Musikus! bläst Fagott!" replicirte
Lichtenstein, während die klebrigen kaum ihres Lachens Herr
werden konnten.
i
„Berühmter Kammer-Musikus, bläst Fagott," notirte der
Thorschreiber mit vor fteudiger Aufregung zitternder Hand,
denn er erinnerte sich des geheimen Befehls der Frau Herzogin.
„Bolenz oder Bodechs," dachte er für sich, „er ist's, es ist der
sehnlichst Erwartete. Wecken Sie doch den Herrn einmal ge-
fälligst auf," rief er mit vor Freude stammelnder Stimme in
den Wagen hinein, „ich kenne den Herrn sehr wohl, den geehrten
Herrn. Wecken Sie ihn doch einmal, ich habe nothwendig mit
ihm zu sprechen. O! ich kenne ihn gar wohl." Es war nicht
nöthig den Schlummernden zu wecken; denn eben schlug er vor
dem lauten Gelächter seiner Begleiter von selbst die Augen auf.
„Hochgeehrtester!" rief ihm der Thorschreiber mit feierlicher,
unter dem Gewicht des ihm gewordenen Allerhöchsten Auftrags
bebender Stimme zu, „ich ersuche Sie gehorsamst, auszusteigen
und ihrem devotesten Diener einen Augenblick geneigtes Gehör
zu schenken. Ich habe Ihnen etwas sehr Wichtiges mitzutheilen."
„Können Sie mir denn nicht gleich hier sagen, was Sie
mir mitzutheilen haben?" erwiderte der noch halbschlaftrunkene
und vor Frost fast erstarrte Abt Henke; „Sie sehen, es wird
mir schwer, von meinem Sitze hier hinten vom Wagen herab-
zusteigen."
„Geht nicht, berühmter Herr, geht beim besten Willen nicht!"
erwiderte in der dringendsten Weise der Thorschreiber. „Ich
habe einen geheimen Auftrag für Sie von einer Dame."
„Für mich?" ftagte der gutmüthige Mann.
„Ja für Sie, hochgeehrtester, berühmtester Mann," antwortete
der Thorschreiber.
„Aber irren Sie sich denn auch nicht in meiner Person? !
Kennen Sie mich denn?" fragte Henke zweifelhaft.
„Gewiß, gewiß!" betheuerte der Geschäftige, „ich kenne Sie !
gar wohl, Werdens gleich inne werden, wenn ich Ihnen meinen
Auftrag ausrichte."
„Nun, meine Herren," wandte sich der Abt Henke an !
die vor ihm Sitzenden, „dann muß ich Euch einen Augenblick
bemühen. Ich will versuchen, über Euch wegzusteigen."
„Ei! seht dach den Mann mit dem heiligen Schein um das
geistliche Haupt," rief der lustige Lichtenstein den Uebrigen halb
leise zu, nicht im Entferntesten ahnend, daß hier ein Jrrthum
vorgehe; „schon am Thore bekommt er Bestellungen von schönen
Damen! Das heiß ich mehr Glück als Verstand."
Unterdessen war Abt Henke mit Mühe vom Wagen gestiegen.
Der Thorschreiber führte ihn unter vielen devoten Bücklingen
eine ganze Strecke fort aus die Seite und flüsterte ihm dann,
äußerst heimlich thuend, mit wichtiger Miene zu: „Ihre König-
liche Hoheit, die Frau Herzogin, haben allergnädigst geruhet, mir
Unwürdigen befehlen zu lassen, Sie, berühmter Mann, sofort bei
Ihrer Ankunft und zwar heimlich, daß Niemand etwas gewahr
werde, in das Hochfürstliche Residenzschloß zu führen, wo Zim-
mer für dieselben in Stand gesetzt sind."
„Aber irren Sie sich denn auch nicht in meiner Person,
lieber Mann?" fragte der Abt Henke noch immer zweifelhaft.
„ Ich bin der ..."
„ S'ist! S'ist! um Gotteswillen S'ist!" unterbrach ihn ängst-
lich der Thorschreiber, „daß uns Niemand hört. Ich kenne
Ihren Namen und Stand genugsam, Verehrtester. Nein! es ist