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34 Der ar

die besten Gelegenheiten reich zu werden, wenn er nur die Geige
spielen könnte. Was den Dichter betrifft, so hätten sich schon
unzählige, einflußreiche Leute für ihn verwendet, wenn er den
Weg- und Brückenbau zu seinem Hauptstudium gemacht hätte;
und dem Ingenieur hätte vor Kurzem eine reiche Wittwe bei-
nahe ihr Herz geschenkt, wenn er die Fähigkeit besessen hätte,
Verse zu machen. Seine Reim-Unfähigkeit aber versperrte ihm
den schöne» Pfad, auf dem die Rentiers dieser Erde sorglos
wandeln. Kurz: meine Freunde sind nur Spielbälle in der
Hand des Schicksals und sic fallen gewöhnlich dahin, wo sie am
wenigsten hin gehören.

Der vorzüglichste meiner Freunde ist gerade der unglück-
seligste. Er heißt Emil Nelke. Emil ist ein höchst begabter
Mensch. Er spricht ein halbes Dutzend Sprachen geläufig, ist
witzig wie ein Salzwerk, belesen wie ein Conversations-Lexikon
und sein Herz ist so groß, daß die ganze Welt bequem darin
wohnen kann. Mit einem Worte: Emil ist ein Ideal von einem
jungen Manne. Aber er hat einen einzigen Fehler, der ihn
hindert glücklich zu werden; einen Fehler, der ihm gar nicht
angerechnet werden kann; einen Fehler, der gar kein Fehler ist,
sondern vielmehr von der Unschuld seines Herzens zeugt; einen
Fehler, den er sich durchaus nicht abgewöhnen kann, weil dieser
sich nur bemerkbar macht, wenn er schläft. Emil hat nämlich
den Fehler, daß er im Schlafe — schnarcht. Wenn Emil
dem Gott Morpheus in die Arme sinkt, so macht er — nicht
Morpheus sondern Emil — sich so laut, daß man ihn durch
fünf dicke Brandmauern deutlich hört. Und dieser vorlaute
Schlaf hat ihn schon uuzählige Male in die widerwärtigsten
Verlegenheiten, in die traurigsten Lagen gebracht. Wollte Emil
seine gesammelten Unglücksfälle herausgeben, er müßte ein
Dutzend dicker Quartbände füllen. Ich will aber nur einige
davon erwähnen.

Vor etwa zwei Jahren wird er in eine feine Theegesellschaft
bei der Baronin von Methbechcr eingcladen. Nun ist Emil
zwar kein Freund von Thcegesellschaften im Allgemeinen und
von der Baronin von Methbechcr im Besonder»; da er aber
hört, daß er dort die reizende Lcontine finden wird, zieht er
seinen innern und äußern Menschen sorgfältig an und begibt
sich in den Zirkel, wo schon ein großer Theil der städtischen
lmuto volee versammelt ist. Er findet dort die Gcheimräthin
von Wächtern, die gerade mit fremdem Eigenthum ein Bisquit
zermalmt. Die Gcheimräthin, die nämlich seit einer Reihe von
Jahren ihr Gebiß vom Zahnarzte bezieht, hält aus gewissen
Gründen, die hier zu erwähnen überflüßig wäre, die zahnärzt-
lichen Rechnungen keiner Beachtung werth und verursacht auf.
diese Weise dem Zahnarzt unheilbare Zahnschmerzen. Neben
der Gcheimräthin steht der Rcgierungsrath von Faltershcim,
ein Mann, dessen Nase Feuer und Flammen speit. Diese Nase
gleicht dem Dornbüsche Mosis. Sie brennt stets ohne sich zu
verzehren. Er unterhält sich höchst lebhaft mit dem Staats-
prokurator Scheuerwart, von dem manche böse Zunge zwitschert,
seine Anklage-Akten seien viel reicher an orthographischen Feh-
lern als an guten juristischen Einfällen. Außer diesen aristo-
kratischen Persönlichkeiten sind noch der Regierungspräsident von

ic Emil.

Duckheim mit seiner Gemahlin und ihren zwei Töchtern, der
Generaladvokat Motzbuchner, der Steuerdirektor Riegcr mit sei-
ner Schwester zugegen; dann der Gymnasialdirektor Pickert und
die Commerzienräthin Hasenbühel. Lauter feine Leute!

Emil begrüßte die Dame vom Hause und dann die Gesell-
schaft mit den zierlichsten Verbeugungen und sammelt seine zer-
streuten Liebenswürdigkeiten in ein wohlgeordnetes Heer, dem
nichts widerstehen kan». Bald tritt auch Leontine in den Saal
und nun ist Emil wo möglich noch unwiderstehlicher.

Warum blickt aber die Dame vom Hause, die Frau Baronin
von Methbechcr, so oft und so erwartungsvoll nach der Uhr?
Und für wen ist der rothsammtne Lehnstuhl bestimmt, der sich
hinter dem runden Tische so breit macht? Und warum stehen
auf dem runden Tische, gerade vor dem rothsammtenen Lehn-
stuhle, zwei große Lampen? Und welches Geheimniß birgt die
runde himmelblaue Schachtel, welche die Baronin so eben mit
bedeutungsvollen Geberden auf das Spiegeltischchen in der Ecke
gestellt?

Diese vier Fragen wurden unserm Emil sogleich beantwortet,
als der junge Graf von Ratzenklan-Bärentatz mit einer zeisig-
grünen Mappe unter dem Arm in den Saal trat. Alles um-
schwärmt den Grafen und die Frau Baronin von Methbechcr
theilt nun der Gesellschaft mit, daß der Graf so liebenswürdig
sein würde, aus seiner Balladensammlung vorzulesen. Allge-
meine Ueberraschnng! Allgemeines Entzücken! Der Graf nimmt
den rothsammtnen Lehnsessel ein, rückt sich die Lampen zurecht,
reckt und räuspert sich mit unaussprechlicher Würde, öffnet die
zeisiggrüne Mappe und sieht sich um, ob die Gesellschaft ihre
Ohren in Ordnung habe.

Die Gesellschaft hat sich unterdessen um den Tisch gesetzt,
bis auf Emil, der in der Ecke an dem oben erwähnten Spie-
geltischchen Platz genommen. Der Graf beginnt nun die erste
Ballade vorzutragen, die folgendermaßen anfängt:

„Ani Erker seufzet die trauernde Maid;

Es jagen die Knappen wohl über die Haid.

Wohl über die Haide jagen die Knappen;

Es schnauben und brausen die wiehernden Rappen."

Nachdem die Knappen gejagt, man weiß nicht, wohin; und
die wiehernden Rappen geschnaubt und gebraust, man weiß nicht,
warum: stürzte sich die trauernde Maid vom Erker hinab, man
weiß nicht weßwegen und so endet die erste Ballade. Und auf
diese Weise fing die zweite an und hörte die dritte auf. Und
nachdem der junge Graf das erste Dutzend Balladen gelesen, in
welchem nichts als gereimter Mord und Todtschlag niit haar-
sträubenden Gespenstern abwechseln, begann er das zweite Dutzend,
das, wie er der entzückten Gesellschaft versicherte, noch viel mehr
poetischen Werth habe, als das erste. Und in der That ver-
sprach das zweite Dutzend eine noch fürchterlichere Romantik.
„Schleichen und Leichen," „Hausen und Grausen,"
„Fenster und Gespenster," „finstre Stunde und
Adelgunde" waren die vorherrschenden Reime, welche der
Gesellschaft nicht erlaubten, auch nur auf einen Augenblick die
Gänsehaut abzulegen. So fuhr der Graf fort, bis er an die
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