Der arme Emil.
siebente Ballade des zweiten Dutzend kam, in welcher ein Gau-
graf seine einzige Tochter Berthalda umbringt, weil ihm sein
alter Burgwart mittheilt, daß besagte Tochter gar nicht seine
Tochter sei, sondern die Tochter des Ritters Fulco von Eichen-
horst, dem die verstorbene Gaugräfin in einer schwachen Stunde
zu viel Gehör geschenkt. Nachdem aber der Gaugraf die holde
Jungstau Berthalda in der achten Strophe umgebracht, hört er
in der neunten und zehnten, daß Berthalda doch seine Tochter
gewesen und daß der Burgwart, ein Jntriguant, aus einem un-
erklärlichen Haß gegen die Jungfrau Berthalda, den Gaugrafen
überredet, dieselbe umzubringen. Der Gaugraf ist deßhalb in
der zwölften Strophe ganz außer sich und bringt in der drei-
zehnten den intriguanten Burgwart um.
Die Gesellschaft hörte dieser grausamen Ballade mit großer
Spannung zu. Als aber der Vorleser an die Stelle kam, wo
der Gaugraf im Bette liegt, die Glocke Mitternacht schlägt und
der Geist seiner erschlagenen Tochter vor ihm erscheint; als er
an die Stelle kam, die da lautete:
„Was blickt der Graf so starr uni sich ?
Was tönt so leis' und fürchterlich?"
da hörte man aus der Ecke des Saales ein solch gewaltiges
Schnarchen, daß die ganze Gesellschaft erst in heftigem Schrecken
auffuhr. Als man aber gewahrte, daß die fürchterlichen Töne
von Emil herkamen, den die haarsträubenden Dichtungen auf
seinem Sitze eingeschläfert hatten, da wurde die ganze Ver-
sammlung von einem unaussprechlichen Unwillen überwältigt.
Der Dichter schlug zornglühend die zeisiggrüne Mappe zu; die
Gäste blickten nach der verhängnißvollen Ecke, wo der Unglück-
selige immer lauter schlief und als die Dame vom Hause sich
in die oft genannte Ecke begab, um ihn in's Stillschweigen
zu wecken, sah sie zu ihrem Entsetzen, daß unter dem schweren
Drucke seines rechten Armes die runde Schachtel so zusammen-
gequetscht worden, daß sie — nicht die Baronin, sondern die
Schachtel — wie ein himmelblauer Pfannkuchen aussah. Die
Baronin stieß bei diesem Anblick einen Schrei des Unwillens
aus. In dieser Schachtel lag nämlich der Lorbeerkranz, mit
dem die edle Frau nach der Vorlesung den Dichter schmücken
wollte. Sie hatte sich für diese feierliche Gelegenheit einige
Verse mit großer Mühe aufgesetzt und dieselben mit noch größe-
rer Mühe auswendig gelernt, und nun war alles verdorben,
die Schachtel, der Kranz und die Verse. —
Da es der Baronin nicht gelingen wollte, den Schläfer
zu wecken, so begaben sich der Regierungsrath von Faltersheim
und der Gymnasialdirektor Pickert in die verhängnißvolle Ecke
und brachten ihn nach vielem Rütteln und Schütteln endlich
dahin, daß er die Augen aufschlug. Der arme Emil wußte vor
Verlegenheit nicht, aus der Verlegenheit zu kommen. Er stotterte
einige Entschuldigungen, die weder Hand noch Fuß hatten und
das Ende war, daß er ein Pistoleu-Duell mit dem gereizten
Poeten bekam, der da behauptete, Emil habe gar nicht geschlafen,
sondern sich aus Neid nur so gestellt, uni die Wirkung der
Balladen zu verderben.
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Das Duell fand statt, hatte aber glücklicher Weise weiter
keine Folgen, als daß dem balladcnsüchtigen Grafen der Schuß
fast durch die linke Seite des Rockkragens gegangen wäre und
daß in einigen Blättern eine Woche lang darüber gesprochen
wurde. Die Baronin von Methbecher aber und die Geheimräthin
von Wächtern mit dem geborgten Gebiß und der Regierungsrath
von Faltersheim mit der flackernden Nase und der Staatsproku-
rator Scheuerwart mit den orthographischen Schnitzern und der
Regierungspräsident von Duckheim mit seiner Gemahlin und
ihren zwei Töchtern und die übrigen Gäste der erwähnten Gesell-
schaft achteten seit jener Zeit den armen Emil keines Blicke?
werth. Was aber die geistreiche Leontine betrifft, so machte sie
die Bemerkung, sie hätte nie geglaubt, daß ein solch gebildeter
Mann wie Emil so ungebildet schlafen könne. —
Was ist dem armen Emil nicht in London widerfahren?
Er kommt nach England, um die Sitten und Unsitten dieses
Landes aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Mit den
besten Empfehlungen versehen, wird er in die angesehensten
Familienkreise eingeführt. Man findet ihn geistreich, liebens-
würdig, sssutlsmunliks und bewundert seine gute Aussprache.
Ein Millionär aus der City findet besonders großes Wohlge-
fallen an ihm; und da ein Engländer einem Fremden durch
nichts so sehr seine Hochachtung bezeugen kann, als wenn er
ihm für einen Sonntagsgottesdienst einen Sitz neben sich anbietet,
so erhält Emil eine Einladung von dem Millionär, nächsten
Sonntag mit ihm und seiner Familie in die Kirche zu gehen.
Emil nimmt die Einladung an und geht am nächsten Sonntag
mit dem Millionär und besten Familie in die Kirche, wo ihm
Jener neben sich einen Sitz in der Nähe der Kanzel anweist.
Der Gottesdienst beginnt; die Gemeinde ist voll Sammlung.
Der Geistliche besteigt die Kanzel und fängt an zu predigen.
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siebente Ballade des zweiten Dutzend kam, in welcher ein Gau-
graf seine einzige Tochter Berthalda umbringt, weil ihm sein
alter Burgwart mittheilt, daß besagte Tochter gar nicht seine
Tochter sei, sondern die Tochter des Ritters Fulco von Eichen-
horst, dem die verstorbene Gaugräfin in einer schwachen Stunde
zu viel Gehör geschenkt. Nachdem aber der Gaugraf die holde
Jungstau Berthalda in der achten Strophe umgebracht, hört er
in der neunten und zehnten, daß Berthalda doch seine Tochter
gewesen und daß der Burgwart, ein Jntriguant, aus einem un-
erklärlichen Haß gegen die Jungfrau Berthalda, den Gaugrafen
überredet, dieselbe umzubringen. Der Gaugraf ist deßhalb in
der zwölften Strophe ganz außer sich und bringt in der drei-
zehnten den intriguanten Burgwart um.
Die Gesellschaft hörte dieser grausamen Ballade mit großer
Spannung zu. Als aber der Vorleser an die Stelle kam, wo
der Gaugraf im Bette liegt, die Glocke Mitternacht schlägt und
der Geist seiner erschlagenen Tochter vor ihm erscheint; als er
an die Stelle kam, die da lautete:
„Was blickt der Graf so starr uni sich ?
Was tönt so leis' und fürchterlich?"
da hörte man aus der Ecke des Saales ein solch gewaltiges
Schnarchen, daß die ganze Gesellschaft erst in heftigem Schrecken
auffuhr. Als man aber gewahrte, daß die fürchterlichen Töne
von Emil herkamen, den die haarsträubenden Dichtungen auf
seinem Sitze eingeschläfert hatten, da wurde die ganze Ver-
sammlung von einem unaussprechlichen Unwillen überwältigt.
Der Dichter schlug zornglühend die zeisiggrüne Mappe zu; die
Gäste blickten nach der verhängnißvollen Ecke, wo der Unglück-
selige immer lauter schlief und als die Dame vom Hause sich
in die oft genannte Ecke begab, um ihn in's Stillschweigen
zu wecken, sah sie zu ihrem Entsetzen, daß unter dem schweren
Drucke seines rechten Armes die runde Schachtel so zusammen-
gequetscht worden, daß sie — nicht die Baronin, sondern die
Schachtel — wie ein himmelblauer Pfannkuchen aussah. Die
Baronin stieß bei diesem Anblick einen Schrei des Unwillens
aus. In dieser Schachtel lag nämlich der Lorbeerkranz, mit
dem die edle Frau nach der Vorlesung den Dichter schmücken
wollte. Sie hatte sich für diese feierliche Gelegenheit einige
Verse mit großer Mühe aufgesetzt und dieselben mit noch größe-
rer Mühe auswendig gelernt, und nun war alles verdorben,
die Schachtel, der Kranz und die Verse. —
Da es der Baronin nicht gelingen wollte, den Schläfer
zu wecken, so begaben sich der Regierungsrath von Faltersheim
und der Gymnasialdirektor Pickert in die verhängnißvolle Ecke
und brachten ihn nach vielem Rütteln und Schütteln endlich
dahin, daß er die Augen aufschlug. Der arme Emil wußte vor
Verlegenheit nicht, aus der Verlegenheit zu kommen. Er stotterte
einige Entschuldigungen, die weder Hand noch Fuß hatten und
das Ende war, daß er ein Pistoleu-Duell mit dem gereizten
Poeten bekam, der da behauptete, Emil habe gar nicht geschlafen,
sondern sich aus Neid nur so gestellt, uni die Wirkung der
Balladen zu verderben.
35
Das Duell fand statt, hatte aber glücklicher Weise weiter
keine Folgen, als daß dem balladcnsüchtigen Grafen der Schuß
fast durch die linke Seite des Rockkragens gegangen wäre und
daß in einigen Blättern eine Woche lang darüber gesprochen
wurde. Die Baronin von Methbecher aber und die Geheimräthin
von Wächtern mit dem geborgten Gebiß und der Regierungsrath
von Faltersheim mit der flackernden Nase und der Staatsproku-
rator Scheuerwart mit den orthographischen Schnitzern und der
Regierungspräsident von Duckheim mit seiner Gemahlin und
ihren zwei Töchtern und die übrigen Gäste der erwähnten Gesell-
schaft achteten seit jener Zeit den armen Emil keines Blicke?
werth. Was aber die geistreiche Leontine betrifft, so machte sie
die Bemerkung, sie hätte nie geglaubt, daß ein solch gebildeter
Mann wie Emil so ungebildet schlafen könne. —
Was ist dem armen Emil nicht in London widerfahren?
Er kommt nach England, um die Sitten und Unsitten dieses
Landes aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Mit den
besten Empfehlungen versehen, wird er in die angesehensten
Familienkreise eingeführt. Man findet ihn geistreich, liebens-
würdig, sssutlsmunliks und bewundert seine gute Aussprache.
Ein Millionär aus der City findet besonders großes Wohlge-
fallen an ihm; und da ein Engländer einem Fremden durch
nichts so sehr seine Hochachtung bezeugen kann, als wenn er
ihm für einen Sonntagsgottesdienst einen Sitz neben sich anbietet,
so erhält Emil eine Einladung von dem Millionär, nächsten
Sonntag mit ihm und seiner Familie in die Kirche zu gehen.
Emil nimmt die Einladung an und geht am nächsten Sonntag
mit dem Millionär und besten Familie in die Kirche, wo ihm
Jener neben sich einen Sitz in der Nähe der Kanzel anweist.
Der Gottesdienst beginnt; die Gemeinde ist voll Sammlung.
Der Geistliche besteigt die Kanzel und fängt an zu predigen.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der arme Emil. Eine auffallende Geschichte"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 16.1852, Nr. 365, S. 35
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg