Der arme Emil.
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Er sängt an; aber der Anfang sieht so aus, als wolle er gar
kein Ende nehmen. Als er aber da angelangt zu sein scheint,
wo das Ende vom Anfang anfangen muß und die andächtige
Versammlung in feierlichster Stille an den Lippen des Predigers
hängt: da kündigt sich an der Seite des City-Millionärs Emil's
Schlaf so laut an, daß die sämmtliche andächtige Nachbarschaft
unwillig auffährt und der Prediger zürnend um sich blickt. Der
City-Millionär, der am meisten Ursache hat, außer sich zu sein,
ermahnt mit den silbernen Kanten seines Gebetbuches so lange
die Rippen seines Gastes, bis dieser endlich die Augen aufschlägt
und nach einigem Räuspern das Unheil sieht, das er angerichtet.
An Entschuldigungen war in diesem Augenblicke natürlich nicht
zu denken und so mußte der arme Emil so lange auf glühenden
Kohlen sitzen, bis der Gottesdienst zu Ende war und der City-
Millionär mit der Frage, ob auf dem Kontinente alle junge
Leute sich in der Kirche so benehmen, einen verächtlichen Blick
auf ihn warf und mit seiner Frau und den übrigen Mitgliedern
seiner Familie ihm den Rücken kehrte.
Wie oft schon wurde Emil durch seinen ungezogenen Schlaf
in die unangenehmsten Händel verwickelt! Er hat noch nie eine
Reise in einem Eilwagen gemacht, ohne die heftigsten Verwün-
schungen seiner Reisegefährten auf sich zu ziehen. Er hat sich
schon mit jedem Alter, mit jedem Stande überworfen; und
wollte ich alle Störungen aufzählen, die er in Concerten verur-
sacht hat, so würde ich fast eben so viel Geduld bei mir, als bei
meinen Lesern voraussetzen müffen.
Emil war auch schon verheirathet; aber kaum vier Wochen
war er Gatte. Seine Frau, die liebenswürdige Lucilie, geborne
Burrscheid, ein sehr liebenswürdiges, hochgebildetes und fein-
fühlendes Wesen, vermochte den Schlummer ihres Gatten nicht
lange zu ertragen. Ganz natürlich! Sie konnte nur schlafen, wenn
er wachte und mußte wachen, wenn er schlief. Dies Verhältniß
konnte begreiflicherweise nicht lange währen und kaum war ein
Monat seit dem priesterlichen Segen verfloffen, der das holde
Paar zusammenband, als auch schon die Trennung erfolgte.
Boshafte Leser werden nun behaupten, daß es manchen Ehe-
mann gebe, der sich glücklich schätzen würde, ein ähnliches Unglück
zu erleben und daß es nicht Jedem gelinge, sich seine Frau
gleichsam vom Halse zu schlafen; aber Emil dachte eben nicht so.
Und doch ist es nicht das Aergste, das er seinem Schlafe zu
verdanken hat! Sein größtes Unglück ist, daß er keine Wohnung
lange behalten kann, da sein unglückseliger Schlaf keinen Nachbar,
Der arme Emil! Welch' trauriges Schicksal ist ihm beschieden!
Der Räuber der hinter Gebüsch versteckt mit gespanntem Hahn
aus die Entweihung des Eigenthums sinnt; der Wucherer,
der mit gierigem Auge den Mammon zählt, den er auf Kosten
bedrängter Wittwen und hülfloser Waisen zusammengescharrt; der
Wolf, der das grimme Gebiß in's Fleisch des sanften Lanimes
schlägt und am Geröchel seines Opfers sich weidet; der finstere
Tyrann, den kein Bitten und Flehen vom Verderben eines ganzen
Volkes abzuhalten vermag: — Räuber, Wucherer, Wölfe und
Tyrannen sind doch harmlos, wenn sie schlafen; aber der gute,
liebenswürdige, gemüthliche Emil verletzt, wenn er schläft. Seine
eigene Nachtruhe duldet keine andere Nachtruhe neben sich. Deß-
halb legt er sich mit Furcht nieder und steht mit bösem Gewiffen
auf, da er nie sicher weiß, ob nicht sein Schlaf irgend ein Unheil
angerichtet. Er sieht ganz bleich und angegriffen aus und wenn
ihn Jemand, der ihn nicht kennt, um die Ursache seines Kummers
fragt, so kann er denselben nicht nennen. Denn wer. würde
nicht lachen, oder lächeln, oder wenigstens mit Mühe das Lächeln
unterdrücken, oder ungläubig den Kopf schütteln, sobald er das
lächerliche Unglück des jungen Mannes hörte, das um so größer,
gerade weil es lächerlich ist? Denn cs gibt kein entsetzlicheres
Unglück, als das Unglück in der Schellenkappe. Armer Emil!
Dein Mißgeschick wird die ernsteMelpomene niemals beschäftigen ;
es wird höchstens Stoff geben zu einem mittelmäßigen komischen
Artikel. Armer Emil! L. Kalisch.
Die Zwillinge.
Dame. „Ah! welch niedliche Kinder. Das sind wohl
Zwillinge?!"
Mädchen. „Ja!"
Dame. „Wem gehören denn die kleinen Dinger?"
Mädchen. „Ens is den Schulmester, des andere is den
Müller."
oder vielmehr: da kein Nachbar seinen unglückseligen Schlaf
duldet. Kaum hat er sich in einer Wohnung eingerichtet, als
auch gewöhnlich der Hausbesitzer ihn bittet, die Wohnung zu
verlaffen, weil seine übrigen Miethsleute gegen die benachbarte
Ohrenqual die entschiedensten Beschwerden führen. So besteht
jetzt sein Dasein aus einem beständigen Ein- und Ausziehen.
Fast jeden Monat wohnt er eine andre Straße durch. Er hat
sich schon mit den Ohren der halben Stadt verfeindet und am
Ende wird er noch in einer Taubstummen-Anstalt sein Quartier
ausschlagen müffen. Er hat bereits unzählige Aerzte um ein
Mittel gegen sein Uebel gefragt und sic haben ihm unzählige
Mittel angerathen; aber keines derselben schlug an.
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Er sängt an; aber der Anfang sieht so aus, als wolle er gar
kein Ende nehmen. Als er aber da angelangt zu sein scheint,
wo das Ende vom Anfang anfangen muß und die andächtige
Versammlung in feierlichster Stille an den Lippen des Predigers
hängt: da kündigt sich an der Seite des City-Millionärs Emil's
Schlaf so laut an, daß die sämmtliche andächtige Nachbarschaft
unwillig auffährt und der Prediger zürnend um sich blickt. Der
City-Millionär, der am meisten Ursache hat, außer sich zu sein,
ermahnt mit den silbernen Kanten seines Gebetbuches so lange
die Rippen seines Gastes, bis dieser endlich die Augen aufschlägt
und nach einigem Räuspern das Unheil sieht, das er angerichtet.
An Entschuldigungen war in diesem Augenblicke natürlich nicht
zu denken und so mußte der arme Emil so lange auf glühenden
Kohlen sitzen, bis der Gottesdienst zu Ende war und der City-
Millionär mit der Frage, ob auf dem Kontinente alle junge
Leute sich in der Kirche so benehmen, einen verächtlichen Blick
auf ihn warf und mit seiner Frau und den übrigen Mitgliedern
seiner Familie ihm den Rücken kehrte.
Wie oft schon wurde Emil durch seinen ungezogenen Schlaf
in die unangenehmsten Händel verwickelt! Er hat noch nie eine
Reise in einem Eilwagen gemacht, ohne die heftigsten Verwün-
schungen seiner Reisegefährten auf sich zu ziehen. Er hat sich
schon mit jedem Alter, mit jedem Stande überworfen; und
wollte ich alle Störungen aufzählen, die er in Concerten verur-
sacht hat, so würde ich fast eben so viel Geduld bei mir, als bei
meinen Lesern voraussetzen müffen.
Emil war auch schon verheirathet; aber kaum vier Wochen
war er Gatte. Seine Frau, die liebenswürdige Lucilie, geborne
Burrscheid, ein sehr liebenswürdiges, hochgebildetes und fein-
fühlendes Wesen, vermochte den Schlummer ihres Gatten nicht
lange zu ertragen. Ganz natürlich! Sie konnte nur schlafen, wenn
er wachte und mußte wachen, wenn er schlief. Dies Verhältniß
konnte begreiflicherweise nicht lange währen und kaum war ein
Monat seit dem priesterlichen Segen verfloffen, der das holde
Paar zusammenband, als auch schon die Trennung erfolgte.
Boshafte Leser werden nun behaupten, daß es manchen Ehe-
mann gebe, der sich glücklich schätzen würde, ein ähnliches Unglück
zu erleben und daß es nicht Jedem gelinge, sich seine Frau
gleichsam vom Halse zu schlafen; aber Emil dachte eben nicht so.
Und doch ist es nicht das Aergste, das er seinem Schlafe zu
verdanken hat! Sein größtes Unglück ist, daß er keine Wohnung
lange behalten kann, da sein unglückseliger Schlaf keinen Nachbar,
Der arme Emil! Welch' trauriges Schicksal ist ihm beschieden!
Der Räuber der hinter Gebüsch versteckt mit gespanntem Hahn
aus die Entweihung des Eigenthums sinnt; der Wucherer,
der mit gierigem Auge den Mammon zählt, den er auf Kosten
bedrängter Wittwen und hülfloser Waisen zusammengescharrt; der
Wolf, der das grimme Gebiß in's Fleisch des sanften Lanimes
schlägt und am Geröchel seines Opfers sich weidet; der finstere
Tyrann, den kein Bitten und Flehen vom Verderben eines ganzen
Volkes abzuhalten vermag: — Räuber, Wucherer, Wölfe und
Tyrannen sind doch harmlos, wenn sie schlafen; aber der gute,
liebenswürdige, gemüthliche Emil verletzt, wenn er schläft. Seine
eigene Nachtruhe duldet keine andere Nachtruhe neben sich. Deß-
halb legt er sich mit Furcht nieder und steht mit bösem Gewiffen
auf, da er nie sicher weiß, ob nicht sein Schlaf irgend ein Unheil
angerichtet. Er sieht ganz bleich und angegriffen aus und wenn
ihn Jemand, der ihn nicht kennt, um die Ursache seines Kummers
fragt, so kann er denselben nicht nennen. Denn wer. würde
nicht lachen, oder lächeln, oder wenigstens mit Mühe das Lächeln
unterdrücken, oder ungläubig den Kopf schütteln, sobald er das
lächerliche Unglück des jungen Mannes hörte, das um so größer,
gerade weil es lächerlich ist? Denn cs gibt kein entsetzlicheres
Unglück, als das Unglück in der Schellenkappe. Armer Emil!
Dein Mißgeschick wird die ernsteMelpomene niemals beschäftigen ;
es wird höchstens Stoff geben zu einem mittelmäßigen komischen
Artikel. Armer Emil! L. Kalisch.
Die Zwillinge.
Dame. „Ah! welch niedliche Kinder. Das sind wohl
Zwillinge?!"
Mädchen. „Ja!"
Dame. „Wem gehören denn die kleinen Dinger?"
Mädchen. „Ens is den Schulmester, des andere is den
Müller."
oder vielmehr: da kein Nachbar seinen unglückseligen Schlaf
duldet. Kaum hat er sich in einer Wohnung eingerichtet, als
auch gewöhnlich der Hausbesitzer ihn bittet, die Wohnung zu
verlaffen, weil seine übrigen Miethsleute gegen die benachbarte
Ohrenqual die entschiedensten Beschwerden führen. So besteht
jetzt sein Dasein aus einem beständigen Ein- und Ausziehen.
Fast jeden Monat wohnt er eine andre Straße durch. Er hat
sich schon mit den Ohren der halben Stadt verfeindet und am
Ende wird er noch in einer Taubstummen-Anstalt sein Quartier
ausschlagen müffen. Er hat bereits unzählige Aerzte um ein
Mittel gegen sein Uebel gefragt und sic haben ihm unzählige
Mittel angerathen; aber keines derselben schlug an.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Zwillinge"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 16.1852, Nr. 365, S. 36
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg