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138

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Herzog, so stolz er auch auf seine Ahnen und seine Titel
sein mochte, der sich nicht wenig darauf cinbildete, stehend
dem kleinen Lever der sehr edlen und allmächtigen Johanna
Poisson (dies war ihr wahrer Alaine) beizuwohnen. Der
König sogar, wenn er durch seine Anwesenheit diesen ehren-
werthen Hof vermehrte, bekam nur durch eine besondere Ver-
günstigung einen einfachen Stuhl.

So viel Unverschämtheit auf der einen und so viel
Feigheit auf der andern Seite vermehrten die Verachtung
und den Unwillen des Volks, allein die Verwünschungen der
Stadt gelangten selten bis in das Innere des Pallastes und
während der Haß in den Herzen kochte, hielt die Furcht oder
die Habsucht den Ausbruch zurück. Die auffallende Ent-
lassung des Ministers Maurepas und das Verschwinden der
Madame Sauvä, Wiegenfrau des Herzogs von Bourgogne,
welche wegen Beleidigung der königlichen Maitresse in die
Bastille eingesperrt wurde, dienten allen beherzten Gemüthern
als warnende Beispiele.

An einem Tage des Jahres 1748 war die Aufregung groß
zu Versailles. Es war ein beständiges Hin- und Hergehen in
dem Pallast. Auf dem Bodengeschoß, in den Zimmern der
Madame Pompadour, sowie im ersten Stock, wo der König
wohnte, begegnete man nur bleichen und bestürzten Gesichtern;
aller Augen waren niedergeschlagen; jeder Mund verstummte.
Es handelte sich um ein entsetzliches Staatsverbrechen; Exem-
plare eines für Madame Pompadour ehrenrührigen Pas-
quills sind in Menge ausgetheilt worden. Die stolze Mar-
quisin, deren Wuth keine Grenzen mehr kannte, versprach
20,000 Franken und ihren allmächtigen Schutz dem Ent-
decker des Schuldigen. Zu gleicher Zeit drohte sie dem
Könige, sich von dem Hofe zu entfernen, wenn er ihr nicht
eine glänzende Genugthuung widerfahren ließe.

Der Saal der Garden war ganz mit dienstthuenden Be-
amten und Edclleuten angefüllt, welche leise und geheimniß-
voll sich untereinander über die entsetzliche Begebenheit unter-
hielten; aber bald wurden die Gemüther hitziger und der
wirkliche oder geheuchelte Unwille brach in lauten Verwünsch-
ungen gegen den Schuldigen aus. Ein einziger Mann, jung,

> schön und von gefälligem Aeußeren, blieb mitten unter diesem
Tumult ruhig und unbewegt. Es war Herr von Resseguier,
ein Maltheserritter und Officier der königlichen Garden.
Seine Haltung machte ihn Binct verdächtig, Kammerdiener
des Prinzen und Verwandter der Madame Poinpadour, die
ihn als Beobachter dahingestellt hatte.

„In der That, meine Herren," sagte Binet mit einem
Tone der Vertraulichkeit, welche die Gunst des Herrn zu
rechtfertigen schien, „Sie haben viel zu viel zu thun, von
vier schlechten Versen so große Wichtigkeit zu machen, wo-
von drei ganz fehlerhaft sind. Der Urheber dieses schönen
Meisterstücks 'ist wahrlich mehr zu beklagen als zu tadeln."

Ein allgemeines Gelächter nahm diese Worte auf. Herr
von Resseguier allein lachte nicht. Diese Beobachtung ent-
ging dem verschmitzten Hofschranzcn nicht; er fuhr fort:

»Ich behaupte, um gerecht zu sein, daß der vierte Vers

asquill.

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nähme macht; er ist regelrecht, rein, schön und geistreich; er
hat nur einen kleinen Fehler: der Dichter hat ihn dem Herrn
von Voltaire gestohlen."

„Das ist falsch!" rief Herr von Resseguier aus, dessen
schon so grausam auf die Probe gestellte Eigenliebe diesen
neuen Stich nicht ertragen konnte.

Alle Blicke fielen mit Staunen auf den Officier. Ein sata-
nisches Lächeln umzog die Lippen des Kammerdieners, welcher
mit einem großen Schein von Gutmüthigkeit folgende Er-
widerung gab:

„Sie sind ein besserer Kenner als ich, Herr Ritter, ich
habe mich ohne Zweifel geirrt."

Herr von Resseguier war zu angegriffen, um zu antworten,
auch hatte er eingesehen, daß seine Festigkeit, anstatt die Gefahr
zu vermindern, sie nur verdoppeln würde. Binet schlich sich ver-
stohlen hinaus, und das Gespräch nahm bald eine andere Wendung.

Zwei Stunden waren kaum seit diesem Vorfall verflossen,
als plötzlich die beiden Flügel der Saalthüre sich öffneten und
'einPolizeidiener von vier bewaffneten Schergen begleitet, eintrat.

„Meine Herren," fragte der unglückbringeude Mann, in-
dem er einige Schritte vor das Gefolge hintrat, „wer von
Ihnen ist der Ritter Resseguier?"

„Ich bin's," sagte der Officier mit fester Stimme, „was
steht zu Diensten?"

„Im Namen des Königs, Ritter, fordere ich Sie auf
mir Ihren Degen zu geben."

Der junge Mann, roth von Scham und Wuth, gehorchte
nicht ohne Zaudern, dann setzte er hinzu:

„Ist das Alles, was man Ihnen befohlen hat?"

„Ich habe außerdem den Befehl, Ihrer Person habhaft
zu werden."

„Wessen beschuldigt man mich?"

„Des Majestätsverbrechens."

„Auf welche Beweise gründet man diese Beschuldigung?"

„Auf einen Beweis, den Sie nicht widerlegen können," rief
Binet aus, der jetzt mit einem Papier in der Hand in den
Saal trat; „ich habe Ihre Schrift, sehen Sic, erkennen Sie sie?"

Der Ritter verbeugte sich, ohne zu antworten.

Der verschmitzte Kammerdiener hatte, sobald er den Ver-
fasser des Schmähartikels entdeckt, einen Gerichtsdiener be-
auftragt, eine Haussuchung bei Herrn Resseguier anzustellen
und das Resultat war die Beschlagnahme eines durchstriche-
nen Manuscripts.

„Thun Sie Ihre Pflicht," sagte Binet zu den Polizeiagenten.

Sogleich umgaben die vier Schergen den Gefangenen,
welcher einen Seufzer unterdrückte und seinen Gefährten die
Hand reichte, welche kaum das Herz hatten, sie zu drucken,
so sehr befürchteten die stolzen Edellcute der Buhlerin zu
mißfallen. Eine Postchaise mit vier Pferden, von einer
starken Abtheilung Reiterei begleitet, hielt vor einem der
Seitengitter des Schlosses. Der Lieutenant stieg ohne Wider-
streben hinein, setzte sich dem Polizeibeamten gegenüber und
fragte ihn in gerührtem aber ruhigem Tone:
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