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Ein Pas quill.
,Wo führen Sie mick, hin?"
„Nach dem Schloß Saint-Michel."
Alsbald sprengte der Zug im Galopp fort, das Pflaster
erdröhnte von dem Hufschlag der Pferde. Die Einwohner
von Versailles, durch das Getöse herbeigelockt, legten sich an
die Fenster, um das Gericht des Königs vorbeiziehen zu sehen.
Das Schloß Saint-Michel ist ein finsterer und trauriger
Felsen von Sand und Unkraut umgeben. Die schwarzen und
eingefallenen Mauern, welche ihn krönen, bieten einen un-
heimlichen Anblick dar, welcher vollkommen den Namen
Geisterschloß rechtfertigt, den der Aberglaube der Bewohner
der Umgegend ihm ehemals gegeben hat, obgleich sie ein gott-
geweihtes Kloster waren. Ein dichter Schleier von Wolken
hatte den Horizont umhüllt; die Seevögel flatterten erschrocken
in den Lüften hin und her, der Wind heulte mit Gewalt
und wehte gen Himmel Berge von Sand, die brausenden
Meereswogen wälzten sich bis an den Fuß des engen und
gekrümmten Fußpfades heran, als eine Zugbrücke herabgelassen
wurde, um dem Geleite den Eingang zu gestatten. Herr von
Resseguier warf noch einen letzten Blick auf diese schauder-
j volle Natur, die ihin jetzt so reizend vorkam, da er sie vielleicht
für immer verlaßen sollte und die Thüre seines Grabes fiel
knarrend hinter ihm zu.
In einem feuchten und dunkeln Gemach, in dem untersten
Raume des Schlosses, befand sich ein viereckiger eiserner Käfig,
der zu eng und zu niedrig war, als daß der Gefangene
darin hätte aufrecht stehen oder sich strecken können. Hier
wurde der Ritter eingepfercht. Es war noch weniger als
ein Sarg, denn zu einem Sarg nimmt man wenigstens die
Länge des Leichnams, den er aufnehmen soll.
Ein Jahr war bereits langsamer als ein Jahrhundert
verflossen, ohne daß der Gefangene ein anderes Gesicht als
dasjenige des Kerkermeisters gesehen hätte, welcher ihm jeden
Morgen das Essen durch ein Gitter einschob, als ihn eines
Tages ein heftiges Geräusch von Schritten nnd Riegeln aus
seinem dumpfen Hinbrüten weckte; bald hörte er ganz in
seiner Nähe gehen, allein er sah nichts, denn seine Augen,
so lange Zeit des Tageslichtes beraubt, konnten die Helle der
Fackeln nicht ertragen.
Ein Mann näherte sich dem Gefangenen und sagte ihm
in's Ohr:
„Herr Ritter, ich biete Ihnen die Freiheit an."
„O, wer sind Sie," rief der Leidende, „der Sie sich
meiner so gütig annehmen, während Alles mich verlassen hat?
O sagen Sie mir Ihren Namen, damit er auf immer meinem
Herzen eingeprägt bleibe."
„Ich bin Binet."
Zugleich trat er bei diesen Worten einige Schritte zurück,
wie wenn er die Wirkung dieser Ofienbarung befürchtet hätte.
„Binet? O ja, ich erinnere mich gar wohl, Binet, der
Unterhändler der Pompadour; Binet, der Elende, der mich
verrathen hat und der, wie es scheint, gekommen ist, um
mich in meinem Unglück zu verhöhnen!"
„Ich bin der Verwandte derjenigen, die Sie so empfind-
lich beleidigt haben, und die bereit ist, Ihnen zu verzeihen."
„Mir verzeihen? Die Pompadour!"
„Ja sie."
„Unter welcher Bedingung willigt sie in diesen Vertrag,
denn es wäre Thorheit, auf ihre Milde zu rechnen?"
„Sie verlangt blos, daß Sie um ihre Gnade bitten."
„Ich sie um Gnade bitten?"
„Ist sie es nicht, die Sie beleidigt haben?"
„Die Favoritin um Gnade bitten? Niemals, lieber den
Tod!"
„So leben Sie wohl, Herr Ritter," sagte Binet mit
verbissenem Aerger, „doch werde ich wiederkonimen," fügte
er brummend hinzu.
Weder die Bitten des Maltheserordens, dessen Mitglied
Herr Resseguier war, noch das Zureden der Familie konnten
die so allmächtige Rache der Madame Pompadour besänftigen.
Der eiserne Käfig wurde erst nach sieben Jahren geöffnet,
doch nicht um den Gefangenen frei zu lassen, sondern uni
ihn in ein geräumigeres Gefüngniß zu bringen, wo er seine
Glieder ausdehnen und ein wenig aufathmen könnte, damit
der Tod das Schlachtopfer der Favoritin nicht so bald wegraffe.
Binet, ungeachtet mehrmaliger Versuche, die wie der
frühere gescheitert waren, den Gefangenen zum Kreuz kriechen
zu machen, besuchte ihn in seinem neuen Gefängniß und
wollte diesmal ohne Zeugen zu ihm reden. Der Unglückliche
war durch seine Leiden so niedergebeugt, und seine geistigen
Fähigkeiten so zerrüttet, daß er diesmal in seinem Herzen
kein Wort des Hasses oder der Verachtung gegen die Ur-
heberin seiner Leiden finden konnte.
Niemand wußte von dieser Unterredung, allein Binet,
der gewöhnlich ein düsteres Aussehen hatte, war, als er das
Gefängniß verließ, heiter und guter Dinge.
Einige Tage später sah man bei einem Abendzirkel der
Marquisin Pompadour, wo der ganze Hof versammelt war,
ein gespensterartiges, abgemagertes Männchen, auf einen Stock
gestützt, hereinwanken. Er zeigte, als er,sein Haupt ent-
blößte, einen kahlen Schädel, nur sparsam von einigen weißen
Haaren umgeben; seine gekrümmten Schultern schienen das !
Gewicht seines schwankenden Kopfes nicht tragen zu können.
Sobald er in der Mitte des Zirkels angekommen war, stand
die Marquisin auf, reichte ihm die Hand, die er krampfhaft
an seine Lippen drückte, und sagte zu den Umstehenden mit
einem vornehmen selbstgefälligen Lächelns „Ich stelle Ihnen
den Herrn Ritter von Resseguier vor, der meiner Milde
öffentlich zu huldigen kommt."
Der Triumph der Favoritin war also vollständig. Der
Ritter, von Reue und Scham verzehrt, reiste nach einigen
Tagen nach Malta ab und man hörte nichts mehr von ihm.
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Ein Pas quill.
,Wo führen Sie mick, hin?"
„Nach dem Schloß Saint-Michel."
Alsbald sprengte der Zug im Galopp fort, das Pflaster
erdröhnte von dem Hufschlag der Pferde. Die Einwohner
von Versailles, durch das Getöse herbeigelockt, legten sich an
die Fenster, um das Gericht des Königs vorbeiziehen zu sehen.
Das Schloß Saint-Michel ist ein finsterer und trauriger
Felsen von Sand und Unkraut umgeben. Die schwarzen und
eingefallenen Mauern, welche ihn krönen, bieten einen un-
heimlichen Anblick dar, welcher vollkommen den Namen
Geisterschloß rechtfertigt, den der Aberglaube der Bewohner
der Umgegend ihm ehemals gegeben hat, obgleich sie ein gott-
geweihtes Kloster waren. Ein dichter Schleier von Wolken
hatte den Horizont umhüllt; die Seevögel flatterten erschrocken
in den Lüften hin und her, der Wind heulte mit Gewalt
und wehte gen Himmel Berge von Sand, die brausenden
Meereswogen wälzten sich bis an den Fuß des engen und
gekrümmten Fußpfades heran, als eine Zugbrücke herabgelassen
wurde, um dem Geleite den Eingang zu gestatten. Herr von
Resseguier warf noch einen letzten Blick auf diese schauder-
j volle Natur, die ihin jetzt so reizend vorkam, da er sie vielleicht
für immer verlaßen sollte und die Thüre seines Grabes fiel
knarrend hinter ihm zu.
In einem feuchten und dunkeln Gemach, in dem untersten
Raume des Schlosses, befand sich ein viereckiger eiserner Käfig,
der zu eng und zu niedrig war, als daß der Gefangene
darin hätte aufrecht stehen oder sich strecken können. Hier
wurde der Ritter eingepfercht. Es war noch weniger als
ein Sarg, denn zu einem Sarg nimmt man wenigstens die
Länge des Leichnams, den er aufnehmen soll.
Ein Jahr war bereits langsamer als ein Jahrhundert
verflossen, ohne daß der Gefangene ein anderes Gesicht als
dasjenige des Kerkermeisters gesehen hätte, welcher ihm jeden
Morgen das Essen durch ein Gitter einschob, als ihn eines
Tages ein heftiges Geräusch von Schritten nnd Riegeln aus
seinem dumpfen Hinbrüten weckte; bald hörte er ganz in
seiner Nähe gehen, allein er sah nichts, denn seine Augen,
so lange Zeit des Tageslichtes beraubt, konnten die Helle der
Fackeln nicht ertragen.
Ein Mann näherte sich dem Gefangenen und sagte ihm
in's Ohr:
„Herr Ritter, ich biete Ihnen die Freiheit an."
„O, wer sind Sie," rief der Leidende, „der Sie sich
meiner so gütig annehmen, während Alles mich verlassen hat?
O sagen Sie mir Ihren Namen, damit er auf immer meinem
Herzen eingeprägt bleibe."
„Ich bin Binet."
Zugleich trat er bei diesen Worten einige Schritte zurück,
wie wenn er die Wirkung dieser Ofienbarung befürchtet hätte.
„Binet? O ja, ich erinnere mich gar wohl, Binet, der
Unterhändler der Pompadour; Binet, der Elende, der mich
verrathen hat und der, wie es scheint, gekommen ist, um
mich in meinem Unglück zu verhöhnen!"
„Ich bin der Verwandte derjenigen, die Sie so empfind-
lich beleidigt haben, und die bereit ist, Ihnen zu verzeihen."
„Mir verzeihen? Die Pompadour!"
„Ja sie."
„Unter welcher Bedingung willigt sie in diesen Vertrag,
denn es wäre Thorheit, auf ihre Milde zu rechnen?"
„Sie verlangt blos, daß Sie um ihre Gnade bitten."
„Ich sie um Gnade bitten?"
„Ist sie es nicht, die Sie beleidigt haben?"
„Die Favoritin um Gnade bitten? Niemals, lieber den
Tod!"
„So leben Sie wohl, Herr Ritter," sagte Binet mit
verbissenem Aerger, „doch werde ich wiederkonimen," fügte
er brummend hinzu.
Weder die Bitten des Maltheserordens, dessen Mitglied
Herr Resseguier war, noch das Zureden der Familie konnten
die so allmächtige Rache der Madame Pompadour besänftigen.
Der eiserne Käfig wurde erst nach sieben Jahren geöffnet,
doch nicht um den Gefangenen frei zu lassen, sondern uni
ihn in ein geräumigeres Gefüngniß zu bringen, wo er seine
Glieder ausdehnen und ein wenig aufathmen könnte, damit
der Tod das Schlachtopfer der Favoritin nicht so bald wegraffe.
Binet, ungeachtet mehrmaliger Versuche, die wie der
frühere gescheitert waren, den Gefangenen zum Kreuz kriechen
zu machen, besuchte ihn in seinem neuen Gefängniß und
wollte diesmal ohne Zeugen zu ihm reden. Der Unglückliche
war durch seine Leiden so niedergebeugt, und seine geistigen
Fähigkeiten so zerrüttet, daß er diesmal in seinem Herzen
kein Wort des Hasses oder der Verachtung gegen die Ur-
heberin seiner Leiden finden konnte.
Niemand wußte von dieser Unterredung, allein Binet,
der gewöhnlich ein düsteres Aussehen hatte, war, als er das
Gefängniß verließ, heiter und guter Dinge.
Einige Tage später sah man bei einem Abendzirkel der
Marquisin Pompadour, wo der ganze Hof versammelt war,
ein gespensterartiges, abgemagertes Männchen, auf einen Stock
gestützt, hereinwanken. Er zeigte, als er,sein Haupt ent-
blößte, einen kahlen Schädel, nur sparsam von einigen weißen
Haaren umgeben; seine gekrümmten Schultern schienen das !
Gewicht seines schwankenden Kopfes nicht tragen zu können.
Sobald er in der Mitte des Zirkels angekommen war, stand
die Marquisin auf, reichte ihm die Hand, die er krampfhaft
an seine Lippen drückte, und sagte zu den Umstehenden mit
einem vornehmen selbstgefälligen Lächelns „Ich stelle Ihnen
den Herrn Ritter von Resseguier vor, der meiner Milde
öffentlich zu huldigen kommt."
Der Triumph der Favoritin war also vollständig. Der
Ritter, von Reue und Scham verzehrt, reiste nach einigen
Tagen nach Malta ab und man hörte nichts mehr von ihm.
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