Ter wackere Trinker.
Minona Blümchen.
Stadt. Mein Freund hoffte, von jetzt an wenigstens minder l
belästigt zu sein. Vergebene Hoffnung! die Plage nahm bis
zum Unerträglichen überhand. Bald brachte der Briefbote, bald
ein eigens für die Besorgung von Briefschaften bezahlter Lauf-
bursche, bald die Hausinagd ein zierliches in der Geheimkanzlei
I der Madame Blümchen ausgefertigtes Billetchen. Auch Andere
litten unter dieser Manie der seltsamen Frau, keiner aber in so
unleidlichem Maße, als mein bejammernswerther, nur allzuwill-
fähriger Freund. Zum Frühkaffee fragte die Dame an, wie er
geschlafen, und verband damit einen Strauß Blumen und zu-
gleich eine Kritik des Buches, mit dessen Lektüre sie sich am
Abend vorher beschäftiget hatte: gegen 11 Uhr war irgend ein
Auftrag zu besorgen oder ein Buch abzuholen: Nachmittag
drückte sie ihren Wunsch aus, daß ihm das Mittagessen wohl
bekommen sein möge; Abends wünschte sie ihm einen ge-
I sunden Schlaf und einen angenehmen Traum u. s. f.
Endlich ergriff mein Freund die sich darbictende Gelegen-
heit, ein Quartier in dem von Madame Blümchen bewohnten
Hause zu beziehen, ihr täglich im Vorübergehcn zu ver-
schiedenen Zeiten die Aufwartung zu machen, und sich per-
sönlich nach ihrem Befinden und ihren Aufträgen zu er-
kundigen. Auch dieses heroische Mittel verfehlte seinen Zweck.
Kanin wieder auf seinem Zimmer angelangt, wurde ihm auch
ein Brief eingehändigt, vielleicht des Inhaltes: »
Ihr in unsrer letzten leider nur allzu kurzen Unterredung
gethaner geistreicher Ausspruch,. thcuerster Freund! daß näm-
lich die Menschen sich so oft mißverstehen, weil sie einander
zu verstehen sich nicht die Mühe geben, hat mich eine Viertel-
stunde lang ungemein beschäftiget. Sie haben vollkommen
Recht: die Menschen mißverstehen sich darum so häufig, weil
sie einander zu verstehen nicht die Mühe geben. Ach, und
es ist doch eine so süße, leichte und angenehme Mühe! Man
braucht sich ja nur in einander hincinzuleben, um sich ver-
stehen zu wollen. Was man will, das kann man auch, wie
Sie so treffend bemerkten. Leider habe ich das Unglück, daß
man mich nur zu oft mißversteht und verkennt, daß man
mich falsch beurtheilt. Sie allein, theuerster Freund! miß-
kennen mich nicht; Sie haben meine leisesten Herzensregungen
belauscht; Sie horchen auf das zarteste Klopfen meines Herzens,
auf den geheimsten Ton, den die Saiten meiner Seele von
sich geben. Mein Gemüth liegt offen vor Ihnen da, wie
dieser Brief, welchen Sie so eben entfaltet haben. Darum
Dank, heißesten Dank Ihnen, mein verständiger zartfühlender
Freund! Ihre Minona.
Oder der Bursche brachte eine Feder und folgendes Billet:
Zürnen Sie mir nicht, theuerster Freund! wenn ich Sie in
Ihren wichtigen Geschäften unterbreche, und Sie mit der pro-,
saischen Bitte belästige, mir die beifolgende Feder zu corri-
gircn, da ich damit nicht zu Stande kommen konnte. Ich
bitte aber: keinen zu langen Spalt! — Ach, warum braucht
der Mensch überhaupt Federn, um seine innersten Empfind-
ungen denen mitzutheilen, die er liebt und versteht? Warum
hat es der Schöpfer in seiner Weisheit nicht angeordnet, daß
die Gedanken zärtlich fühlender Seelen sich auf dem Wege
der bloßen Sympathie einander mittheilen? Sie glauben gar
nicht, theuerster Freund, wie ungerne ich Briefe schreibe,
wie sehr sie mich quälen und anstrengen, und doch sind sie
! mir nothwendig als die fliegenden Boten meiner Gefühle,
als die rasch hin und wieder schießenden Sternschnuppen
21
meiner Gedanken. Wann sehen wir uns wieder? Im Geist
und in der Wahrheit Ihre Freundin Minolta.
Später ist mein Freund nach Nordamerika ausgewandert,
wie ich vermuthe, nur um dieser ihn unablässig plagenden Corre-
spondenz zu entgehen. Minona war trostlos. Ihre vielen Briefe
blieben unerwidert. Bald darauf starb sie. Ter Gram um
ihren hartherzigen Freund mochte ihr das Herz gebrochen haben;
sie welkte hin wie ein Vergißmeinnicht im Sonnenbrände.
- H. Marggraff.
Der wackere Trinker.
Bor Zeiten, wie man noch so trank,
Daß mancher unter der Bank versank;
Was heute selten mal passirt.
Weil Tugend Jedermann genirt: —
Ta ging ein Zecher einst nach Haus
Von einem großen Kirmesschmaus:
Hei di, hei di, hei trallerallalah!
Wie war dem Männlein schwüle da!
Er kam zum Steg am Unkenmoor:
Der Steg kam ihm nicht breit genug vor;
Da war er gar zu ausgebracht.
Daß man den Steg nicht breiter macht!
Und wie er sagt: so breit muß er sein!
Dip fällt er, plump! ins Master drein.
Hei di, hei di, hei trallerallalah!
Wie ward dem Männlein kühle da!
Nun glaubt man wohl, mit dem Juchhei
Bei diesem Schelmen war's vorbei? —
Doch hatt's mit dem noch keine Gefahr,
Weil er gewöhnt an's Trinken war:
Er trank das ganze Wasser aus,
Und ging mit trocknem Fuß nach Haus. — •
Hei di, hei di, hei trallerallalah!
Da war ein guter Zug, ha, ha! ha, ha, ha, ha!
August Kopisch.
Minona Blümchen.
Stadt. Mein Freund hoffte, von jetzt an wenigstens minder l
belästigt zu sein. Vergebene Hoffnung! die Plage nahm bis
zum Unerträglichen überhand. Bald brachte der Briefbote, bald
ein eigens für die Besorgung von Briefschaften bezahlter Lauf-
bursche, bald die Hausinagd ein zierliches in der Geheimkanzlei
I der Madame Blümchen ausgefertigtes Billetchen. Auch Andere
litten unter dieser Manie der seltsamen Frau, keiner aber in so
unleidlichem Maße, als mein bejammernswerther, nur allzuwill-
fähriger Freund. Zum Frühkaffee fragte die Dame an, wie er
geschlafen, und verband damit einen Strauß Blumen und zu-
gleich eine Kritik des Buches, mit dessen Lektüre sie sich am
Abend vorher beschäftiget hatte: gegen 11 Uhr war irgend ein
Auftrag zu besorgen oder ein Buch abzuholen: Nachmittag
drückte sie ihren Wunsch aus, daß ihm das Mittagessen wohl
bekommen sein möge; Abends wünschte sie ihm einen ge-
I sunden Schlaf und einen angenehmen Traum u. s. f.
Endlich ergriff mein Freund die sich darbictende Gelegen-
heit, ein Quartier in dem von Madame Blümchen bewohnten
Hause zu beziehen, ihr täglich im Vorübergehcn zu ver-
schiedenen Zeiten die Aufwartung zu machen, und sich per-
sönlich nach ihrem Befinden und ihren Aufträgen zu er-
kundigen. Auch dieses heroische Mittel verfehlte seinen Zweck.
Kanin wieder auf seinem Zimmer angelangt, wurde ihm auch
ein Brief eingehändigt, vielleicht des Inhaltes: »
Ihr in unsrer letzten leider nur allzu kurzen Unterredung
gethaner geistreicher Ausspruch,. thcuerster Freund! daß näm-
lich die Menschen sich so oft mißverstehen, weil sie einander
zu verstehen sich nicht die Mühe geben, hat mich eine Viertel-
stunde lang ungemein beschäftiget. Sie haben vollkommen
Recht: die Menschen mißverstehen sich darum so häufig, weil
sie einander zu verstehen nicht die Mühe geben. Ach, und
es ist doch eine so süße, leichte und angenehme Mühe! Man
braucht sich ja nur in einander hincinzuleben, um sich ver-
stehen zu wollen. Was man will, das kann man auch, wie
Sie so treffend bemerkten. Leider habe ich das Unglück, daß
man mich nur zu oft mißversteht und verkennt, daß man
mich falsch beurtheilt. Sie allein, theuerster Freund! miß-
kennen mich nicht; Sie haben meine leisesten Herzensregungen
belauscht; Sie horchen auf das zarteste Klopfen meines Herzens,
auf den geheimsten Ton, den die Saiten meiner Seele von
sich geben. Mein Gemüth liegt offen vor Ihnen da, wie
dieser Brief, welchen Sie so eben entfaltet haben. Darum
Dank, heißesten Dank Ihnen, mein verständiger zartfühlender
Freund! Ihre Minona.
Oder der Bursche brachte eine Feder und folgendes Billet:
Zürnen Sie mir nicht, theuerster Freund! wenn ich Sie in
Ihren wichtigen Geschäften unterbreche, und Sie mit der pro-,
saischen Bitte belästige, mir die beifolgende Feder zu corri-
gircn, da ich damit nicht zu Stande kommen konnte. Ich
bitte aber: keinen zu langen Spalt! — Ach, warum braucht
der Mensch überhaupt Federn, um seine innersten Empfind-
ungen denen mitzutheilen, die er liebt und versteht? Warum
hat es der Schöpfer in seiner Weisheit nicht angeordnet, daß
die Gedanken zärtlich fühlender Seelen sich auf dem Wege
der bloßen Sympathie einander mittheilen? Sie glauben gar
nicht, theuerster Freund, wie ungerne ich Briefe schreibe,
wie sehr sie mich quälen und anstrengen, und doch sind sie
! mir nothwendig als die fliegenden Boten meiner Gefühle,
als die rasch hin und wieder schießenden Sternschnuppen
21
meiner Gedanken. Wann sehen wir uns wieder? Im Geist
und in der Wahrheit Ihre Freundin Minolta.
Später ist mein Freund nach Nordamerika ausgewandert,
wie ich vermuthe, nur um dieser ihn unablässig plagenden Corre-
spondenz zu entgehen. Minona war trostlos. Ihre vielen Briefe
blieben unerwidert. Bald darauf starb sie. Ter Gram um
ihren hartherzigen Freund mochte ihr das Herz gebrochen haben;
sie welkte hin wie ein Vergißmeinnicht im Sonnenbrände.
- H. Marggraff.
Der wackere Trinker.
Bor Zeiten, wie man noch so trank,
Daß mancher unter der Bank versank;
Was heute selten mal passirt.
Weil Tugend Jedermann genirt: —
Ta ging ein Zecher einst nach Haus
Von einem großen Kirmesschmaus:
Hei di, hei di, hei trallerallalah!
Wie war dem Männlein schwüle da!
Er kam zum Steg am Unkenmoor:
Der Steg kam ihm nicht breit genug vor;
Da war er gar zu ausgebracht.
Daß man den Steg nicht breiter macht!
Und wie er sagt: so breit muß er sein!
Dip fällt er, plump! ins Master drein.
Hei di, hei di, hei trallerallalah!
Wie ward dem Männlein kühle da!
Nun glaubt man wohl, mit dem Juchhei
Bei diesem Schelmen war's vorbei? —
Doch hatt's mit dem noch keine Gefahr,
Weil er gewöhnt an's Trinken war:
Er trank das ganze Wasser aus,
Und ging mit trocknem Fuß nach Haus. — •
Hei di, hei di, hei trallerallalah!
Da war ein guter Zug, ha, ha! ha, ha, ha, ha!
August Kopisch.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der wackere Trinker"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 2.1846, Nr. 27, S. 21
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg